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Betäubungsmittelkonsum der Mutter – Inobhutnahme Kind

AG Frankfurt – Az.: 984 Ds 3220 Js 249173/14 – Beschluss vom 03.05.2018

Der auf Eröffnung des Hauptverfahrens gerichtete Antrag der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 17. 2. 2017 wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeschuldigten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

Die Entscheidung beruht auf § 204 Absatz 1 StPO.

Die Angeschuldigten sind der ihnen vorgeworfenen Tat aus rechtlichen Gründen nicht hinreichend verdächtig.

Die Angeschuldigten handelten nicht rechtswidrig. Ihr Handeln ist nach § 42 Absatz 1 Nr. 2 Buchstabe b Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) gerechtfertigt. Die Voraussetzungen von § 42 Absatz 1 Nr. 2 Buchstabe b SGB VIII liegen vor. Es bestand insbesondere eine Gefahr, die im Sinne dieser Vorschrift als „dringend“ einzuordnen ist. Insofern ist vom Gericht eine objektive Gefahrenprognose aus ex ante-Sicht eines verständigen Dritten im Zeitpunkt des Handelns der Angeschuldigten zu treffen.

Die vom hiesigen Gericht in der Vergangenheit erlassenen familienrechtlichen Entscheidungen entfalten dabei keine Bindungswirkung. Mit Ausnahme des Beschlusses vom 3.10.2014 (Eilregister Nr. …) setzen sich diese Entscheidungen nicht damit auseinander, ob die Inobhutnahmen des Kindes rechtmäßig waren. Das Gericht stellt vielmehr jeweils mit Blick in die Zukunft fest, dass es im Moment seiner Entscheidung keiner kindesschutzrechtlichen Maßnahmen bedürfe. Der Beschluss vom 3.10.2014 nimmt zwar inhaltlich dazu Stellung, ob die Voraussetzungen von § 42 Absatz 1 SGB VIII vorliegen. Das hiesige Gericht ist dafür aber nicht zuständig, weil insofern nach § 40 Absatz 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.

Für die Gefahrenprognose ist auch ohne Bedeutung, welche rechtliche und tatsächliche Würdigung das Jugendamt bei ähnlicher Sachlage in der Woche zuvor getroffen hat. Eine Selbstbindung der Behörde dahingehend, eine bestimmte, möglicherweise unrichtige Entscheidungspraxis fortsetzen zu müssen, existiert nicht. Bei der Beurteilung der Dringlichkeit einer Gefahr mögen Erfahrungen, nach denen rund eine Woche lang augenscheinlich keine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit des Kindes eingetreten ist, eine Rolle spielen, wenn sich die befürchtete Gefahr während dieses Zeitraums bereits (teilweise) als Rechtsgutsverletzung realisiert hat und deren Auswirkungen auf das geschützte Rechtsgut weniger gravierend erscheinen als ursprünglich angenommen. Ist – wie vorliegend im Zeitpunkt des Handelns der Angeschuldigten – eine plötzliche Rechtsgutsverletzung zu befürchten, beseitigt ein (überdies nicht unbedingt langer) Zeitraum ohne Eintritt einer Rechtsgutsverletzung die Dringlichkeit einer Gefahr nicht.

Die Dringlichkeit der dem damals vierjährigen Kind drohenden Gefahr rührt aus einer Gemengelage her, die einerseits von dem (auch von Seiten der Anklagebehörde nicht in Abrede gestellten) Betäubungsmischmittelkonsum der Mutter, andererseits dem zum Zeitpunkt des Einschreitens der Angeschuldigten bevorstehenden Zeitraum ohne Überwachung des Wohlergehens des Kindes von dritter Seite (Freitag, 3.10.2014, bis Sonntag, 5.10.2014) gekennzeichnet ist.

Betäubungsmittelkonsum der Mutter - Inobhutnahme Kind
(Symbolfoto: Von fizkes/Shutterstock.com)

Zwar vermochte der am Vormittag des 2.10.2014 durchgeführte Drogenschnelltest Zeitpunkt und Umfang des vorangegangenen Betäubungsmittel(misch)konsums der Mutter nicht näher einzugrenzen. Gerade deswegen ist aber bei der Gefahrenprognose mit Blick auf die Effektivität der Gefahrenabwehr von einem Konsumverhalten bzw. einem Suchtdruck auszugehen, mit dem die für das Kind denkbar ungünstigsten Folgen einhergehen würden. Die von § 42 Absatz 1 Nr. 2 SGB VIII (unter anderem) geschützte körperliche Unversehrtheit des Kindes ist wegen Artikel 2 Absatz 2 GG, der in § 8a SGB VIII einfach-gesetzliche Ausprägung erfährt, ein Rechtsgut von überragender Bedeutung, so dass die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nach allgemeinen polizeirechtlichen Grundsätzen als niedrig einzuordnen sind. Der Prognoseentscheidung ist folglich die (als solche medizinisch ohne weiteres nachvollziehbare) Besorgnis zugrunde zu legen, dass im Laufe der bevorstehenden Tage bei der Mutter entweder aufgrund von Intoxikation erhebliche Ausfallerscheinungen und damit die Unfähigkeit zur Versorgung des Kindes eintreten würden oder die körperlichen Bedürfnisse des Kindes – insbesondere die Nahrungsaufnahme – aufgrund von Suchtdruck zugunsten weiteren Betäubungsmittelkonsums längere Zeit vernachlässigt werden würden.

Dass die Mutter zum Zeitpunkt des Handelns der Angeschuldigten keine Ausfallerscheinungen zeigte, die Wohnung einen aufgeräumten Eindruck machte und der Kühlschrank gut gefüllt war, ändert daran nichts. Ausfallerscheinungen wegen Betäubungsmittelkonsums müssen nicht in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Konsum auftreten, insbesondere kann auch die Phase abklingender Intoxikation für den Konsumenten mit ganz erheblichen Einschränkungen des körperlichen oder geistigen Leistungsbildes verbunden sein („cold turkey“). Suchtdruck liegt bei einer Suchterkrankung in latenter Form dauerhaft vor, manifestiert sich aber typischerweise nicht durchgängig und auch nicht in gleichbleibender Intensität.

Die von der Mutter unterhaltenen Beziehungen zur Beratungsstelle des … veranlassen keine andere Bewertung der Gefahrenlage. Kennzeichen einer Suchterkrankung sind Verhaltensweisen, die den Betäubungsmittelkonsum trotz Wissens um die damit verbundenen Gefahren anderen – eigenen wie fremden – Interessen überordnen. Dass die suchtkranke Mutter die Beratungsstelle am Samstag, den 4.10.2014, aufgesucht und dort gegebenenfalls erforderliche Maßnahmen zum Schutz des Kindes eingeleitet hätte bzw. solche Maßnahmen von den dortigen Mitarbeitern eingeleitet worden wären, stellte vor diesem Hintergrund im Zeitpunkt des Handelns der Angeschuldigten eine zwar nicht völlig fernliegende, aber im Ergebnis spekulative Annahme dar. Ebenso gut hätte die Mutter am Donnerstagabend bereits verstorben und ihr hilfloses Kind am Samstag schon fortgeschritten dehydriert sein können.

Auf welcher tatsächlichen Grundlage und mit welchem Erwartungshorizont die Angeschuldigten die Inobhutnahme des Kindes durchführten, ist bei einer nach objektiven Maßstäben zu treffenden Prognoseentscheidung ohne Belang. Da die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes erfüllt sind, ist allein eine Strafbarkeit wegen untauglichen Versuchs (hier: § 235 Absatz 3, Absatz 1 Nr. 2 StGB) denkbar, wenn die Angeschuldigten ohne Kenntnis der für den Rechtfertigungsgrund maßgeblichen Umstände oder ohne den Willen, von dem Rechtfertigungsgrund Gebrauch zu machen, gehandelt hätten. Das ist nicht der Fall. Tatsächliche Grundlage der Gefahrenprognose ist das Ergebnis des Drogenschnelltests, das den Angeschuldigten bekannt war. Ihnen ging es ersichtlich auch darum, mit diesem Umstand einhergehende Gefahren vom Kind durch Inobhutnahme abzuwenden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Absatz 1 StPO.

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