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Eheliche Wohnung – Entrichtung einer Nutzungsentschädigung während des Trennungsjahres

AG Westerstede, Az.: 85 F 5053/15 Ri, Beschluss vom 09.12.2015

1. Der Antragsgegner wird verpflichtet, an die Antragstellerin monatlich 400,00 € für die Zeit von März bis Juni 2015 und monatlich 490,00 € ab Oktober 2015 zu zahlen nebst 5 % über den Basiszinssatz ab 26.06.2015 auf 1.200,00 €.

Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin zu 1/3, der Antragsgegner zu 2/3.

Gründe

I.

Die Antragstellerin verlangt mit dem am 26.06.2015 zugestellten Antrag ab März 2015 vom Antragsgegner eine Nutzungsentschädigung für die von ihm nach der Trennung allein weiter bewohnte, im gemeinsamen Eigentum stehende Immobilie … (Einfamilienhaus, Baujahr 2002, Wohnfläche rund 300 qm, Grundstücksgröße rund 2.500 qm) in Höhe von monatlich 490,00 Euro. Den zwischenzeitlich höheren Betrag von 650,00 Euro ab Oktober 2015 macht sie nicht mehr geltend. Der Antragsgegner, der die Trennung am 03.10.2014 durch Austausch der Schlösser herbeigeführt hat, beabsichtigt nach wie vor, den Eigentumsanteil der Antragstellerin zu übernehmen. Diesem Ansinnen steht die Antragstellerin grundsätzlich zustimmend gegenüber.

Die Beteiligten haben am … geheiratet. Der am … geborene gemeinsame Sohn … lebt im Haushalt der Antragstellerin; ebenso wie die aus 1. Ehe der Antragstellerin stammende Tochter …, geboren am … .

Der Antragsgegner hat der Antragstellerin in Anlehnung an die notarielle Vereinbarung vom 11.05.2005 des Notars … UR.-Nr. …) zum nachehelichen Unterhalt bis einschließlich Juni 2015 monatlich 2.000,00 Euro und bis Oktober 2015 monatlich 1.000,00 Euro gezahlt. Ab Juli 2015 hat der Antragsgegner den Trennungsunterhalt „inkl. etwaiger d.h. nicht zugestandener Nutzungsentschädigung“ gezahlt (Schriftsatz vom 30.06.2015). Ab November 2015 hat er die Zahlungen eingestellt. Für … werden monatlich durchgängig 490,00 Euro entrichtet.

Mit Schriftsatz vom 17.02.2015 hat die Antragstellerin den Antragsgegner aufgefordert, eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 490,00 Euro ab Februar 2015 zu zahlen. Am 25.02.2015 hat sie die Veräußerung und hälftige Teilung des Erlöses angeregt. Mit Schriftsatz vom 05.03.2015 ließ der Antragsgegner die Antragstellerin wissen, dass der Nutzungsentschädigung der Höhe nach nicht zugestimmt werden könne und anheimgestellt, eine insofern akzeptable Forderung zu beziffern. Mit Schriftsatz vom 18.08.2015 hat die Antragstellerin das Zahlungsverlangen wiederholt und den Antragsgegner aufgefordert, die Immobilie andernfalls kurzfristig zu räumen, damit eine Veräußerung erfolgen könne.

Eheliche Wohnung - Entrichtung einer Nutzungsentschädigung während des Trennungsjahres
Symbolfoto: vchal/Bigstock

Mit der am 23.11.2015 nach Schluss der mündlichen Verhandlung im streitgegenständlichen Verfahren eingegangen Antragsschrift vom 17.11.2015 (Amtsgericht Westerstede 85 F 5130/15) verlangt die Antragstellerin vom Antragsgegner neben Kindesunterhalt ab Juli 2015 einen monatlichen Trennungsunterhalt von 1.645,00 Euro (bei Abzug erfolgter Zahlungen). In die Unterhaltsberechnung stellt sie die beiderseitigen Erwerbseinkommen (Ehemann 5.100,00 € netto, Ehefrau 808,00 € netto) und auf ihrer Seite noch Einkünfte aus Nutzungsentschädigung von monatlich 490,00 Euro ein. Der Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2013 weist Einkünfte des Antragsgegners von 107.707,00 Euro aus.

Die Antragstellerin beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, an sie ab Juni 2015 eine monatliche Nutzungsentschädigung in Höhe von 490,00 Euro, zahlbar monatlich im Voraus jeweils bis spätestens 3. Werktag eines jeden Monats und eine rückständige Nutzungsentschädigung für den Zeitraum März bis Mai 2015 in Höhe von 1.470,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 % über den Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass es an einem tauglichen Entschädigungsverlangen im Sinne von „zahlen oder ausziehen“ fehle. Neben dem gezahlten Unterhalt könne eine Nutzungsentschädigung nicht verlangt werden, deren Höhe zudem weit übersetzt sei. Im ersten Trennungsjahr komme nicht die objektive Kaltmiete, sondern allenfalls die Hälfte der angemessenen selbst ersparten Miete in Betracht. Selbst nach einem ordnungsgemäßen Nutzungsentschädigungsverlangen sei ihm eine angemessene Überlegungsfrist zuzubilligen.

II.

Der zulässige Antrag ist teilweise begründet. Der Antragsgegner ist verpflichtet, der Antragstellerin eine monatliche Nutzungsentschädigung von 400,00 € (März bis Juni 2015) bzw. 490,00 € (ab Oktober 2015) zu zahlen, § 1361 b Abs. 3 S. 2 BGB.

Für die Dauer des Getrenntlebens richtet sich dieser Anspruch auch bei gemeinsamem Eigentum ausschließlich nach § 1361 b Abs. 3 S. 2 BGB als lex specialis zu § 745 BGB (der erst ab Rechtskraft der Scheidung greift, BGH, FamRZ 2014, 460 unter Aufgabe bzw. Ergänzung seiner bisherigen Rechtsprechung).

Danach kann die Antragstellerin vom Antragsgegner, der jetzt auch nach ihrem Willen die gemeinsame Immobilie alleine nutzen (und auch ihren Eigentumsanteil grundsätzlich erwerben) kann, eine Vergütung für die Nutzung verlangen, soweit dies der Billigkeit entspricht.

Die familienrechtliche Nutzungsvergütung soll den Verlust des Wohnungsbesitzes und die damit einhergehenden wirtschaftlichen Nachteile für den weichenden Ehegatten im Einzelfall und nach Billigkeit kompensieren. Zugleich schafft sie einen Ausgleich dafür, dass nur noch der Verbliebene alleine diejenigen Nutzungen zieht, die nach der ursprünglichen ehelichen Lebensplanung beiden Ehegatten gemeinsam zustehen sollten (BGH FamRZ 2014, 460).

Bei der Billigkeitsprüfung ist neben den wirtschaftlichen Verhältnissen zu berücksichtigen, ob dem in der Wohnung verbleibenden Ehegatten die Nutzung gegen seinen Willen aufgedrängt worden ist, ob der rechnerisch anzusetzende Wohnwert den tatsächlichen Wohnbedarf des verbleibenden Ehegatten übersteigt bzw. ob dem aus der Wohnung ausgezogenen Ehepartner ein zumutbares Angebot auf Wiedereinräumung des Mitbesitzes gemacht worden ist (Palandt-Brudermüller, BGB, 74. Auflage, § 1361 b Rn. 21 mwN).

Im Hinblick auf die Höhe der Nutzungsentschädigung ist nach Ablauf des ersten Trennungsjahres in der Regel die ortsübliche Miete anzusetzen; bei Miteigentümer der anteilige, in der Regel hälftige, objektive Mietwert.

Vor Ablauf des ersten Trennungsjahres wird in der Regel eine Kürzung des erzielbaren vollen objektiven Mietwerts in Betracht kommen (Palandt-Brudermüller, § 1361 b Rn. 22 mwN).

Von dieser Regel abzuweichen, sieht das Gericht keine Veranlassung.

Beim objektiven Mietwert nach Ablauf des ersten Trennungsjahres ab Oktober 2015 gehen die Beteiligten übereinstimmend von jedenfalls erzielbaren 980,00 € aus.

Für die Zeit davor hält das Gericht eine Kürzung auf 800,00 € für angemessen. Dabei hat es die gehobenen wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragsgegners ebenso berücksichtigt wie die Tatsache, dass er die Schlösser ausgetauscht und damit und mit seinem tatsächlichen Verhalten in der Folgezeit zum Ausdruck gebracht hat, die Immobilie selbst nutzen zu wollen. Ein Angebot auf Wiedereinräumung des Mitbesitzes ist weder erfolgt noch beabsichtigt, denn der Antragsgegner will den Eigentumsanteil der Antragstellerin erwerben. Die Frage der Zumutbarkeit einer Rückkehr für die Antragstellerin bedarf mithin keiner Entscheidung.

Von diesen Beträgen steht der Antragstellerin jeweils die Hälfte zu.

Der Vergütungsanspruch setzt voraus, dass eine solche Vergütung verlangt wird. Erforderlich, aber auch ausreichend ist ein deutliches Zahlungsverlangen, mithin ein konkret bezifferter Betrag (Erman-K.Kroll-Ludwigs, BGB, 14. Auflage, § 1361 b, Rn. 13; für einen rückwirkenden Vergütungsanspruch bereits ab dem Verlassen der Ehewohnung bei zeitlich späterer Geltendmachung Staudinger-Voppel, BGB, Bearbeitung 2012, § 1361 b, Rn. 75; Erbarth FamRZ 1998, 1007, 1009 ff; Kotzur JZ 1988, 1076, 1079).

Der Antragsgegner ist mit Schriftsatz vom 17.02.2015 eindeutig zur Zahlung aufgefordert worden. Dass er das auch so verstanden hat, zeigt seine Reaktion mit Schriftsatz vom 05.03.2015, in welchem er der Höhe der geltend gemachten Nutzungsentschädigung widersprochen hat.

In der Zahlungsaufforderung muss der andere Miteigentümer nicht vor die Alternative „Zahlung oder Auszug“ gestellt werden.

Soweit in der Kommentierung (soweit ersichtlich nur Palandt-Brudermüller, § 1361 b Rn. 23) ein solches Erfordernis als Voraussetzung des Zahlungsanspruchs angesehen wird, geben die hierfür als Beleg zitierten Entscheidungen nichts her. Zum Teil sind sie veraltet, weil sie vor der Entscheidung des BGH (FamRZ 2014, 460) zum Verhältnis von § 1361 b Abs. 3 S. 2 BGB zu § 745 BGB ergangen sind und/oder Entscheidungen für die Zeit nach Rechtskraft der Scheidung betreffen, für die im Verhältnis der Miteigentümer § 745 BGB mit anderen Tatbestandsvoraussetzungen zum Tragen kommt. Nur für die Aktivierung dieses Anspruchs auf Nutzungsvergütung nach § 745 BGB bedarf es nach überwiegender Ansicht und der noch nicht ausdrücklich aufgegebenen Rechtsprechung des BGH (FamRZ 1986, 434, 435; davon ohne Begründung abweichend BGH FamRZ 2008, 2015, 2018 -bloße Zahlungsaufforderung) mehr als ein Zahlungsverlangen, nämlich ein Verlangen nach Neuregelung der Verwaltung und Benutzung (Wever, FamRZ 2015, 1243; OLG Bremen FamRZ 2014, 1299, 1300).

Dass es neben dem Verlangen auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung bei der hier einschlägigen Regelung nach § 1361 b Abs. 3 S. 2 BGB weiterer Voraussetzungen bedarf im Sinne von „Zahlung oder Auszug“, ist auch der Entscheidung des BGH (FamRZ 2014, 460) nicht zu entnehmen.

Zumindest im ersten Trennungsjahr „passt“ die Alternative „Zahlung oder Auszug“ nicht. Denn gerade im Trennungsjahr sollen keine endgültigen Fakten geschaffen werden. Es soll nach dem Willen des Gesetzgebers den Eheleuten eine gewisse Überlegungszeit geben werden (Münchener Kommentar-Weber-Monecke, BGB, 6. Auflage, § 1361 b, Rn. 24). Dies findet ua darin seinen Ausdruck, dass der die Nutzungsentschädigung fordernde Ehepartner, der -so wie hier- nicht wieder in die Immobilien zurückkehren soll und will, keine Möglichkeit hat, in dieser Zeit die Teilungsversteigerung auf den Weg zu bringen oder bei Fehlen eines Härtegrundes iSv § 1361 b Abs. 1 BGB den anderen nicht aus der Wohnung verdrängen kann.

Unabhängig davon hat die Antragstellerin den Antragsgegner noch während des ersten Trennungsjahres hat mit Schriftsatz vom 18.08.2015 vor die Alternative „Zahlung oder Auszug“ gestellt.

Ob dem Antragsgegner eine Überlegungszeit aus Billigkeitsgründen zuzugestehen ist, kann dahin stehen. Eine solche Frist wäre jedenfalls verstrichen. Denn durch sein gesamtes Verhalten beginnend mit dem Austausch der Schlösser hat er deutlich gemacht, dass er in der Immobilie bleiben will (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 15.05.2014 – juris; OLG Bremen FamRZ 2014, 1299, 1300; grundsätzlich gegen eine Überlegungszeit (Wever, FamRZ 2008, 1485, 1486; Erman-K.Kroll-Ludwigs, § 1361 b, Rn. 12).

Das jetzt von der Antragstellerin eingeleitete Unterhaltsverfahren schließt die Geltendmachung einer Nutzungsentschädigung nicht aus. Es hat keinen Vorrang. Das ist nur dann der Fall, wenn eine Unterhaltsregelung durch Gerichtsentscheidung oder Vergleich unter Einbeziehung des Nutzungsvorteils der Wohnung bereits getroffen ist (Palandt-Brudermüller, Rn. 20; Staudinger-Voppel, § 1361 b , Rn. 71, der es bei dieser Konstellation für ratsam hält, die Verfahren nach § 20 FamFG zu verbinden; für eine -vom erkennenden Gericht nicht für erforderlich gehaltene- Notwendigkeit der Verbindung OLG Köln FamRZ 1997; 943).

Für die Zeit von Juli bis Oktober 2015 ist der Anspruch erfüllt. In den monatlichen Zahlungen von 1.000,00 Euro ist anteilig die Nutzungsentschädigung enthalten. Denn insoweit hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 30.06.2015 eine wirksame Anrechnungsbestimmung vorgenommen, § 366 Abs. 1 BGB. Daran fehlt es für die vorangegangenen Monate März bis Juni 2015. Eine etwaige nach außen nicht erkennbare Vorstellung des Antragsgegners reicht insoweit nicht aus. Wegen der zurzeit noch ungeklärten Unterhaltsproblematik kann eine Zuordnung entsprechend § 366 Abs. 2 BGB nicht vorgenommen werden.

Der Betrag für die Monate März bis Mai 2015 ist antragsgemäß zu verzinsen, § 288 Abs. 1, 291 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG.

Die Entscheidung über den Verfahrenswert folgt aus § 48 Abs. 1 FamGKG.

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