OLG Karlsruhe – Az.: 5 WF 133/16 – Beschluss vom 09.12.2016
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengerichts – Freiburg im Breisgau vom 12.08.2016 aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
Der Beschwerdeführerin wird für den ersten Rechtszug mit Wirkung ab Antragstellung Verfahrenskostenhilfe bewilligt (§ 76 Abs. 1 FamFG, §§ 114, 119 Abs. 1 ZPO).
Rechtsanwältin … wird als Verfahrensbevollmächtigte beigeordnet (§§ 76, 78 Abs. 2 FamFG).
Die Bewilligung erfolgt ohne Anordnung von Zahlungen.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich mit der sofortigen Beschwerde gegen die Versagung der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe aufgrund fehlender Erfolgsaussicht für ein Verfahren über einen Scheidungsantrag vor Ablauf des Trennungsjahres.
Die Antragstellerin und der Antragsgegner haben am … die Ehe geschlossen. Aus der Ehe sind mehrere Kinder hervorgegangen (I 1, 3).
Die Antragstellern trägt vor, sie habe sich endgültig Ende März 2016 für die Scheidung entschieden (I 15), nachdem sie sich bereits am 12.01.2016 vom Antragsgegner getrennt habe (I 3) und es in der Zwischenzeit zu mehreren Versöhnungsversuchen gekommen sei (I 3). Ein Abwarten des Trennungsjahres würde für sie aufgrund des Verhaltens des Antragsgegners eine unzumutbare Härte darstellen. Der Antragsgegner habe sie bereits im Oktober 2014 mit einem Hammer auf den Kopf geschlagen (I 13). Am 12.01.2016 habe er sie mit einem Staubsaugerrohr schlagen wollen, was durch das Eingreifen des erwachsenen Sohnes verhindert worden sei (I 13). Zwischen dem 19. und dem 21.01.2016 habe er telefonische Morddrohungen geäußert (I 13). Am 29.02.2016 habe er sie trotz bestehenden Abstandsgebots auf dem Rückweg vom Kindergarten abgepasst, am Nacken gepackt und wiederum bedroht (I 13). Nachdem die Antragstellerin den Antragsgegner nach einem letzten Versöhnungsversuch im März 2016 darüber unterrichtet habe, dass sie sich um der Kinder willen für die Scheidung entschieden habe, habe er sie erneut am Nacken gepackt, sie angebrüllt und bedroht (I 15). Auch gegenüber den Kindern sei der Antragsgegner wiederholt tätlich geworden (I 15). Die 15jährige Tochter habe er gegen ein Entgelt von 5.000,00 € verheiraten wollen (I 15). Am 16.08.2016 sei der Antragsgegner vor der Flüchtlingsunterkunft erschienen, in welcher sie untergebracht gewesen sei und deren Anschrift vor dem Antragsgegner geheim gehalten werden sollte, und habe nachhaltig aggressiv versucht, sich Zugang zu ihr zu verschaffen (VKH 15, 19).
1. Die Antragstellerin beantragt vor diesem Hintergrund, die Ehe vor Ablauf des Trennungsjahres zu scheiden und ihr hierfür Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen (I 1 und VKH 1). Das Familiengericht hat den Antrag auf Verfahrenskostenhilfe mit Beschluss vom 12.08.2016 (VKH 3) zurückgewiesen. Der Beschluss ist der Antragstellerin am 16.08.2016 zugestellt worden (VKH 9). Mit am 02.09.2016 eingegangenem Schriftsatz (VKH 11) hat die Antragstellerin hiergegen sofortige Beschwerde eingelegt, welcher das Familiengericht nicht abgeholfen hat (VKH 21).
Der Antragsgegner hat mitgeteilt, die Scheidung abzulehnen (I 11).
Das Familiengericht hat seine Entscheidung maßgeblich darauf gestützt, dass die Antragstellerin im parallelen Umgangsverfahren im Rahmen der Anhörung vom 15.03.2016 in Abwesenheit des Antragsgegners mitgeteilt habe, sie habe ihrem Mann verziehen, wünsche nichts anderes, als wieder mit diesem zusammen zu leben, dies auch vor dem Hintergrund der muslimischen Religionszugehörigkeit (VKH 5).
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig gemäß § 113 Abs. 1 FamFG, §§ 127 Abs. 2, 567, 569 ZPO. Sie wurde insbesondere formgerecht und unter Wahrung der einmonatigen Notfrist, § 113 Abs. 1 FamFG, § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO eingelegt.
2. Die sofortige Beschwerde ist begründet, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig ist, §§ 113 Abs. 1 FamFG, 114 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO.
a) Hinreichende Erfolgsaussicht einer Rechtsverfolgung ist anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Verfahrenskostenhilfe begehrenden Beteiligten zumindest für vertretbar hält (Zöller/Geimer, ZPO, 31. Auflage 2016, § 114 Rn. 19; Johannsen/Henrich/Markwardt, Familienrecht, 6. Auflage 2015, § 114 ZPO Rn. 11). Das Verfahrenskostenhilfe-Verfahren dient nicht dazu, über zweifelhafte Rechtsfragen abschließend vorab zu entscheiden (Zöller/Geimer, a.a.O., § 114 Rn. 21). An die Prüfung der Erfolgsaussicht dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf insbesondere nicht dazu führen, die Rechtsverfolgung in das summarische Verfahrenskostenhilfeverfahren zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Verfahrenskostenhilfeverfahren soll den gebotenen Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern erst zugänglich machen (BVerfG vom 08. Dezember 2009, 1 BvR 2733/06, Rn. 12, juris).
b) Vorliegend hat das Familiengericht seine Verneinung hinreichender Erfolgsaussichten auf die Erwägung gestützt, zwar lägen mit den vom Antragsgegner vorgenommenen Bedrohungen und Misshandlungen in dessen Person liegende Gründe im Sinne des § 1565 Abs. 2 BGB vor, welche grundsätzlich eine Scheidung vor Ablauf des Trennungsjahres rechtfertigen könnten. Aufgrund der von der Antragstellerin mitgeteilten nachfolgenden ernsthaften Verzeihung seien diese Gründe aber nicht mehr geeignet, eine unzumutbare Härte zu begründen. Es stehe nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Gründe von der Antragstellerin im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung als Härte empfunden würden. Das Fehlverhalten des Antragsgegners nach dem Versöhnungsversuch wiege für sich gesehen nicht schwer genug, um eine Härtefallscheidung zu rechtfertigen.
c) Ob diese Erwägungen rechtlichen Bestand haben können, ist zweifelhaft und einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorzubehalten.
aa) Für die Richtigkeit der rechtlichen Erwägungen des Familiengerichts spricht der Zweck des § 1565 Abs. 2 BGB, voreiligen Scheidungsentschlüssen entgegenzuwirken (BGH, Urteil vom 05.11.1980, IVb ZR 538/80, Rn. 14, juris). Das Gesetz geht davon aus, dass bei einem weniger als ein Jahr bestehenden Getrenntleben die Prognose, dass die Wiederherstellung der eheliche Lebensgemeinschaft aussichtslos erscheint, nicht stets mit der erforderlichen Zuverlässigkeit getroffen werden kann (BGH, a.a.O., Rn. 15). Diese gesetzgeberische Erwägung greift in besonderem Maße in Fällen, in welchen es wie vorliegend bereits wiederholt zu Versöhnungsversuchen gekommen ist.
bb) Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass der Bundesgerichtshof in seiner maßgeblichen Entscheidung zur Auslegung der Härteklausel des § 1565 Abs. 2 BGB ausgeführt hat, diese sei bei Gründen anzunehmen, welche „so schwer wiegen, dass dem Antragsteller bei objektiver Beurteilung nicht angesonnen werden kann, an den Antragsgegner als Ehepartner weiter gebunden zu sein“ (BGH, a.a.O., Rn. 16, juris; zur Gegenmeinung, welche auch auf das subjektive Härteempfinden abstellt, vgl. Johannsen/Henrich/Jaeger/Hamm, Familienrecht, 6. Auflage 2015, § 1565 BGB Rn. 63 mit weiteren Nachweisen). Demgegenüber verneint das Familiengericht die unzumutbare Härte der Sache nach aufgrund der in der Vergangenheit gezeigten subjektiven Bereitschaft der Antragstellerin, Vorgänge zu verzeihen, aufgrund welcher bei objektiver Beurteilung niemandem angesonnen werden könnte, an den Ehepartner weiterhin gebunden zu sein. Die Berücksichtigung subjektiver Elemente im Rahmen des § 1565 Abs. 2 BGB erscheint insbesondere vor dem Hintergrund nicht als systematisch geboten, als ihnen im Rahmen der Prüfung des Scheiterns der Ehe gemäß § 1565 Abs. 1 BGB, insbesondere der hierbei anzustellenden Prognose, hinreichend Rechnung getragen werden kann.
cc) Auch ist fraglich, ob die Argumentation des Familiengerichts mit der Wertung des § 1567 Abs. 2 BGB vereinbar ist. Dessen Normzweck liegt darin zu verhindern, dass ein Ehegatte sich durch andernfalls eintretende nachteilige Auswirkungen auf die Trennungsfristen von einem Versöhnungsversuch abhalten lässt (Johannsen/Henrich/Jaeger/Hamm, a.a.O., § 1567 BGB Rn. 5). Diesem Zweck entsprechend ist § 1567 Abs. 2 BGB im Rahmen des § 1565 BGB für die Erfüllung des grundsätzlichen Erfordernisses des ersten Trennungsjahres analog anwendbar (Johannsen/Henrich/Jaeger/Hamm, a.a.O., § 1567 BGB Rn. 32). Es erscheint konsequent, diese Wertung auch bei der Beantwortung der Frage heranzuziehen, ob ein zwischenzeitlicher Versöhnungsversuch eine unzumutbare Härte im Sinne des § 1565 Abs. 2 BGB ausschließt.
d) Auch im Übrigen hat die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg. Insbesondere kann aufgrund der Entwicklungen nach Scheitern des Versöhnungsversuchs im März 2016 – Unterbringung der Antragstellerin in einer anderen Flüchtlingsunterkunft unter Geheimhaltung der Anschrift vor dem Antragsgegner, erneutes aggressives Auftreten des Antragsgegners, nachdem er den Aufenthaltsort in Erfahrung gebracht hat – nicht ausgeschlossen werden, dass es der Antragstellerin gelingen wird, auch ohne die als weiterer Gesetzeszweck in § 1565 Abs. 2 BGB enthaltene Beweiserleichterung (Johannsen/Henrich/Jaeger/Hamm, a.a.O., § 1565 BGB Rn. 45) den Nachweis des Scheiterns der Ehe im Sinne des § 1565 Abs. 1 BGB zu führen.
e) Ansatzpunkte für die Annahme einer Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung sind nicht gegeben.
III.
Die Antragstellerin ist auch bedürftig, §§ 113 Abs. 1 FamFG, 114 Abs. Satz 1, 115 ZPO, da sie als Einkommen lediglich Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bezieht und die Kosten der Verfahrensführung nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht aufbringen kann. Es ergibt sich folgende Berechnung zur Verfahrenskostenhilfe:
Einkommen: 690,52 €
Hiervon sind abzusetzen:
- Freibeträge
- Antragstellerin: – 468,00 €
- Tochter: – 353,00 €
- Verbleibendes einzusetzendes Einkommen: – 130,48 €
- Monatsraten gemäß § 115 ZPO 0,00 €
IV.
Eine Entscheidung über die Kosten ist nicht veranlasst.