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Ehewohnungszuweisung an die auf den Rollstuhl angewiesene Ehefrau

Oberlandesgericht Hamburg – Az.: 2 UF 58/18 – Beschluss vom 09.08.2018

Auf die Beschwerde des Antragsgegners und die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Harburg – Familiengericht – vom 23.4.2018 geändert.

Im Wege der einstweiligen Anordnung wird die Ehewohnung der Beteiligten, ein Einfamilienhaus in der …, … einschließlich Keller und Garten der Antragstellerin bis zum 30.11.2018 zur alleinigen Benutzung zugewiesen.

Ab dem 1.12.2018 bis zur Rechtskraft der Scheidung wird der Antragstellerin das Erdgeschoss des Einfamilienhauses in der …, … zugewiesen. Dem Antragsgegner werden die übrigen Teile des Hauses und der Garten zur Nutzung zugewiesen. Der Antragsgegner ist berechtigt, das im Erdgeschoss belegene Bad und die Küche täglich von 8-10 Uhr und von 19-21 Uhr zu nutzen. Weiter ist er berechtigt, das Erdgeschoss zu nutzen, um Zugang zu den im 1. OG bzw. im Keller belegenen Räumen zu erhalten oder diese zu verlassen. Die Antragstellerin ist berechtigt, die Zuwegung zum Haus zu nutzen.

Die Antragstellerin wird verpflichtet, dem Antragsgegner ab dem 1.12.2018 den Besitz an dem Einfamilienhaus in dem vorgenannten Umfang einzuräumen.

Im Übrigen werden die Beschwerde und die Anschlussbeschwerde zurückgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten wird nicht angeordnet.

Der Gegenstandswert des Verfahrens wird für beide Instanzen auf 1.500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im einstweiligen Anordnungsverfahren um die Zuweisung der Ehewohnung während der Trennungszeit.

Hinsichtlich des Sachverhalts wird zunächst auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung des Familiengerichts verwiesen.

Die Ehewohnung – ein kleines Einfamilienhaus mit 67 qm Wohnfläche – gehörte ursprünglich den Großeltern des Antragsgegners. Die Eheleute haben gemeinsam einen noch nicht getilgten Kredit zwecks Renovierung des Hauses aufgenommen. In diesem Zusammenhang wurde der Antragstellerin das hälftige Miteigentum an dem Grundstück eingeräumt.

Das Haus verfügt über eine Küche und ein Bad, die sich beide im Erdgeschoss befinden. Im Bad ist auch die Waschmaschine installiert. Eine Nottoilette (ohne Waschbecken) befindet sich im Keller. Der Zugang zum Haus ist nicht barrierefrei (4 Stufen).

Ehewohnungszuweisung an die auf den Rollstuhl angewiesene Ehefrau
(Symbolfoto: Amorn Suriyan /Shutterstock.com)

Die Ehefrau bezieht eine Rente von 740 € monatlich, die durch Grundsicherungsleistungen aufgestockt wird. Das bislang gezahlte Pflegegeld wird derzeit auf Sachleistungen umgestellt, ein Pflegedienst betreut die Ehefrau dreimal wöchentlich. Der Ehemann ist derzeit einkommenslos. Er erhält weder Arbeitslosen- noch Krankengeld, da er im Rahmen seines bestehenden Arbeitsverhältnisses bei der Post wegen der von ihm früher übernommenen Pflege seiner Ehefrau bis zum Ende des Jahres 2018 beurlaubt ist. ALG II ist beantragt. Eine Wiedereingliederung ab September 2018 ist geplant. Der Ehemann wird dann wieder – wie zuvor – im Dauernachtschichtdienst arbeiten, zunächst voraussichtlich beginnend ab 1 Uhr nachts, später dann wieder vollschichtig ab 22 Uhr.

Das Familiengericht hat der Antragstellerin die Ehewohnung durch Beschluss vom 23.4.2018 bis zum 31.7.2018 zur alleinigen Nutzung zugewiesen; bezogen auf die Folgezeit hat es die Nutzung des Hauses zwischen den Eheleuten aufgeteilt.

Zu dem erstinstanzlich angedachten Umzug der Ehefrau in eine neue Wohnung ist es bis zum 31.7.2018 nicht gekommen. Zwar hat die Ehefrau zwischenzeitlich einen Dringlichkeitsschein erhalten. Sie will auch weiterhin ausziehen, benötigt aufgrund ihrer Erkrankungen jedoch eine Wohnung mit barrierefreiem Zugang. Die Ehefrau zahlt derzeit alle Nebenkosten des Hauses und die Raten der aufgenommenen Kredite in Höhe von 190 € und 99 € monatlich.

Der Ehemann ist weiterhin wohnungslos. Er übernachtet zusammen mit seinem Hund bei Freunden, auf einem Campingplatz oder im Auto. Der fehlende Zugang zum Internet und seine Einkommenslosigkeit erschweren ihm die Suche nach einer Wohnung. Der Ehemann verfügt bislang nicht über einen Dringlichkeitsschein. Er beabsichtigt, in die Ehewohnung zurückzukehren und – falls finanziell möglich – das Haus im Familienbesitz zu halten.

Gegen den Beschluss des Familiengerichts vom 23.4.2018, der beiden Beteiligten am 24.4.2018 zugestellt worden ist, richten sich die am 7.5.2018 beim Familiengericht eingegangene Beschwerde des Antragsgegners und die Anschlussbeschwerde der Antragstellerin vom 30.7.2018.

Der Antragsgegner wendet sich gegen die angeordnete Alleinnutzung der Ehewohnung durch die Antragstellerin bis zum 31.7.2018 oder darüber hinaus und weist zur Begründung auf seine Wohnungs- und Einkommenslosigkeit hin. Er hält ein Zusammenleben der Eheleute in dem Einfamilienhaus bei Aufteilung der Räumlichkeiten und Nutzungszeiten zumindest für einen Übergangszeitraum für möglich. Allerdings benötige er – insbesondere vor dem Hintergrund seines demnächst wieder beginnenden Nachtdienstes – andere und weitergehende Nutzungsmöglichkeiten für Bad und Küche. Für die Antragstellerin sei die Aufnahme einer stationären Therapie sinnvoll, durch die sich zugleich das Wohnungsproblem lösen ließe.

Der Antragsgegner beantragt, ihm die Ehewohnung zur alleinigen Nutzung zuzuweisen und die Anschlussbeschwerde zurückzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und, im Wege der Anschlussbeschwerde, ihr die Ehewohnung einschließlich Garten und Keller über den 31.7.2018 hinaus zur alleinigen Nutzung zuzuweisen.

Die Antragstellerin trägt vor, dass ihre Möglichkeiten, eine andere Wohnung zu finden, wegen ihres Angewiesenseins auf den Rollstuhl wesentlich eingeschränkter seien als diejenigen des Antragsgegners. Sie warte nicht nur (bislang erfolglos) auf behördliche Angebote, sondern suche auch selbst intensiv beispielsweise über Internetportale nach einer Wohnung. Vor einem Wiedereinzug des Antragsgegners habe sie große Angst, da sie befürchte, dass es wieder zu Streitigkeiten kommen werde. Wenn der Antragsgegner sie anschreie, fühle sich dies für sie wegen ihres Hypersensibilitätssyndroms wie körperliche Gewalt an.

II.

Beschwerde und Anschlussbeschwerde sind zulässig und haben auch in der Sache teilweise Erfolg.

Gemäß § 1361 b BGB können getrennt lebende Eheleute die vollständige oder teilweise Überlassung der Ehewohnung zur alleinigen Nutzung verlangen, wenn dies zur Vermeidung einer unbilligen Härte und unter Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten erforderlich ist.

Das Familiengericht hat zu Recht angenommen, dass eine solche Situation hier gegeben ist. Zwischen den Beteiligten bestehen erhebliche Konflikte, die ein (wenn auch räumlich getrenntes) Zusammenleben beider in der Ehewohnung als hochproblematisch erscheinen lassen. Die von der Ehefrau vorgelegten Chatprotokolle belegen das Ausmaß der Streitigkeiten zwischen den Eheleuten. Zudem reagiert die Ehefrau auf Streitigkeiten oder von ihr als bedrohlich wahrgenommene Situationen krankheitsbedingt hochsensibel und äußerst emotional, wie während der Anhörungen sowohl vor dem Familiengericht als auch vor dem Senat eindrucksvoll zu beobachten war. Bei der Ehewohnung handelt es sich um ein sehr kleines Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von insgesamt nur 67 qm und nur einem Bad. Eine zeitliche Aufteilung der Nutzung von Bad und Küche zwischen den Eheleuten ist schwierig, da die Ehefrau nach ihren Angaben weder ihre Toilettennutzung noch ihr Essverhalten zeitlich hinreichend steuern kann.

Mit dem Familiengericht ist weiterhin davon auszugehen, dass mit Blick auf die vorhandenen Konflikte keinem der Eheleute ein für die Wohnungszuweisung relevanter Schuldvorwurf zu machen ist. Zu Handlungen im Sinne von § 1361b Abs. 2 BGB (Körper- bzw. Freiheitsverletzungen oder diesbezügliche Drohungen) ist es unstreitig nicht gekommen. Dass die Antragstellerin ein Anschreien durch den Antragsgegner krankheitsbedingt wie körperliche Gewalt empfinden mag, führt nicht dazu, dass § 1361b Abs. 2 BGB analog anzuwenden wäre.

Zu Recht hat sich das Familiengericht für die Erstzuweisung der Wohnung deshalb von der Überlegung leiten lassen, welchem der beiden Eheleute eher zugetraut werden kann, mit den durch den Wohnungswechsel eintretenden Problemen fertigzuwerden, und diese Fähigkeit zutreffend eher dem Antragsgegner zugeschrieben. Denn dieser benötigt anders als die Antragstellerin keine barrierefreie Wohnung und ist durch eine vorübergehende Obdachlosigkeit weniger stark betroffen als die Antragstellerin, die krankheitsbedingt in einer solchen Lage weitgehend hilflos und erheblich gefährdet wäre.

Diese Erwägungen gelten für die jetzige Situation weiterhin, da es der Antragstellerin entgegen den ursprünglichen Plänen nicht gelungen ist, bis zum 31.7.2018 eine andere Wohnung zu finden. Anders wäre die Sachlage zu beurteilen, wenn die Antragstellerin sich nicht hinreichend um eine neue Wohnung bemüht hätte. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Antragstellerin hat inzwischen einen Dringlichkeitsschein erwirkt und glaubhaft vorgetragen, dass sie kein Interesse am Verbleib in der für sie mangels Barrierefreiheit schlecht nutzbaren Ehewohnung hat, dennoch aber trotz intensiver Wohnungssuche bislang keine neue Wohnung gefunden hat. Der Antragstellerin kann auch nicht angesonnen werden, das Wohnungsproblem der Eheleute durch Aufnahme einer stationären Therapie zu lösen, da es einer erkrankten Person nicht zumutbar ist, die Entscheidung über die sachgerechten Therapiemaßnahmen von Überlegungen hinsichtlich der Wohnsituation abhängig zu machen.

Deshalb ist eine Verlängerung des Zeitraums erforderlich, in dem die Ehewohnung der Ehefrau zur alleinigen Nutzung zugewiesen wird. Da die Antragstellerin zwischenzeitlich einen Dringlichkeitsschein hat, ist es wahrscheinlich, dass ihr Umzug in eine barrierefreie Wohnung bis zum 1.12.2018 abgeschlossen sein wird. Die Einkommensverhältnisse der Ehefrau lassen es nicht zu, ihr für die Zeit der alleinigen Wohnungsnutzung eine Vergütungspflicht (§ 1361b Abs. 3 S. 2 BGB) aufzuerlegen.

Eine Fortsetzung der alleinigen Wohnnutzung durch die Antragstellerin über den 30.11.2018 hinaus würde für den Antragsgegner zu einer unbilligen Härte führen. Bereits die jetzt beschlossene Verlängerung der Wohnungszuweisung an die Ehefrau bis zu diesem Zeitpunkt stellt für den Ehemann eine erhebliche Belastung dar, da er weiterhin obdachlos und auf Schlafgelegenheiten angewiesen ist, die ihm von Dritten angeboten werden. Mit fortschreitender Dauer dieses Zustandes und mit dem Beginn des Winters wird diese Lage für den Antragsgegner immer weniger zumutbar. Nach der Überzeugung des Beschwerdegerichts wird zum 1.12.2018 eine Situation eingetreten sein, in der die berechtigten Interessen des Antragsgegners an einem Wiedereinzug in die Ehewohnung in der Abwägung gegen die nachvollziehbaren Sorgen, die die Antragstellerin mit Blick auf ein erneutes Zusammenleben der Eheleute in der Ehewohnung hat, als vorrangig einzustufen sind. Zwar kann sich auch der Antragsgegner über den von ihm bereits gestellten ALG II – Antrag in die Lage versetzen, eine Wohnung anzumieten und dürfte auch ebenfalls Anrecht auf einen Dringlichkeitsschein haben. Mit Blick auf den angespannten Wohnungsmarkt in Hamburg und Umgebung und die Schwierigkeiten, aus der Obdachlosigkeit heraus (ohne Internetzugang) eine Wohnung zu finden, ist es jedoch nicht sicher vorhersagbar, wann der Antragsgegner mit seiner Wohnungssuche Erfolg haben wird.

Die alleinige Wohnungszuweisung an die Antragstellerin ist vor diesem Hintergrund auf den 30.11.2018 zu begrenzen. Umgekehrt bedarf es einer alleinigen Zuweisung der Ehewohnung an den Antragsgegner für die anschließende Zeit deshalb nicht, weil sich der Ehemann (anders als die Ehefrau) ein Zusammenleben der Eheleute innerhalb der Ehewohnung jedenfalls für einen gewissen Zeitraum vorstellen kann, so dass eine entsprechende Regelung für ihn keine unzumutbare Härte im Sinne des § 1361b BGB darstellt. Sollte es der Ehefrau wider Erwarten nicht gelingen, bis zum 30.11.2018 eine neue Wohnung zu finden, kann sie in der Ehewohnung verbleiben und wird dadurch jedenfalls nicht dem Risiko der Obdachlosigkeit ausgesetzt.

Da der Antragsgegner absehbar wieder im Schichtdienst nachts arbeiten wird, hat das Beschwerdegericht für den Fall des Wiedereinzugs des Antragsgegners in die Ehewohnung die vom Amtsgericht festgelegten Nutzungszeiten für Küche und Bad verändert. Der Antragsgegner kehrt nach der Nachtschicht um 8 Uhr nach Hause zurück und benötigt dann für einen längeren Zeitraum Zugang zum Bad und – um sich etwas zu kochen – zur Küche. Gleiches gilt für den Zeitraum vor Antritt der um 22 Uhr beginnenden Nachtschicht. Demgegenüber wird der Antragsgegner um die Mittagszeit schlafen, so dass dieser Nutzungszeitraum entfallen kann. Mit Blick auf das Vorbringen der Antragstellerin, dass sie ihre Bad- und Küchennutzung schlecht steuern könne, ist darauf hinzuweisen, dass ihr die Bad- und Küchennutzung auch in den Zeiten offen steht, die zur Nutzung durch den Antragsgegner freigegeben sind, wenn auch auf die Gefahr hin, in diesen Fällen dem Antragsgegner zu begegnen.

Der Ausspruch der Verpflichtung der Antragstellerin, dem Antragsgegner ab dem 1.12.2018 wieder den Mitbesitz an der Ehewohnung einzuräumen, beruht auf § 209 FamFG.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 81 FamFG, die Entscheidung hinsichtlich des Gegenstandswerts aus §§ 48, 41, 55 Abs. 3 FamGKG.

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