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Ehewohnungszuweisung im Scheidungsfall

Oberlandesgericht Hamburg – Az.: 2 UF 42/16 – Beschluss vom 03.08.2016

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-St. Georg vom 14.1.2016 zu Ziff. 3 und 4. abgeändert:

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller die Ehewohnung (…) zur alleinigen Nutzung zu überlassen.

Die Antragsgegnerin hat die vorbezeichnete Wohnung nach Ablauf einer Räumungsfrist von 6 Monaten ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft dieser Entscheidung zu räumen und dem Antragsteller die Wohnungsschlüssel auszuhändigen. Bis zur Räumung der Wohnung bleibt die Antragsgegnerin dem Antragsteller gegenüber zur Zahlung bzw. Erstattung der an die weitere Beteiligte zu entrichtenden Nutzungsvergütung für die Wohnung verpflichtet.

Die Gerichtskosten beider Instanzen tragen Antragsteller und Antragsgegnerin jeweils zur Hälfte. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten wird nicht angeordnet.

Dem Antragsteller wird Verfahrenskostenhilfe ohne Ratenzahlung für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt von Bracken bewilligt.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die beteiligten Eheleute streiten um die Zuweisung der vorbezeichneten Wohnung nach der Scheidung sowie um die im Scheidungsverbundverfahren getroffene Kostenentscheidung.

Die Eheleute lebten bis zu ihrer Trennung im September 2012 gemeinsam mit ihrer (…) 1996 geborenen Tochter M. in der im Entscheidungstenor genannten Wohnung im 4. Stock des Hauses (..). M. leidet seit ihrer frühen Kindheit an Mukoviszidose. Am 8.3.2012 schlossen die Eheleute eine privatschriftliche Vereinbarung (Anlage Ast 1 zum Verfahren 984 F 162/13 = 2 UF 11/14), in der es auszugsweise heißt:

„Im Rahmen der neu anzumietenden Wohnung (…) II. Stock, verlangt die Baugenossenschaft (…) die Übertragung der Wohnung im IV. Stock auf (die Ehefrau). Die Vertragspartner treffen vor diesem Hintergrund folgende Vereinbarung:

1. Die Wohnung (…) II. Stock, dient vornehmlich (dem Ehemann), damit dieser in seiner Nachtschichtphase am Tage ausreichend Schlaf findet. (…)

2. Darüber hinaus soll die neue Wohnung von allen Familienmitgliedern (…) genutzt werden können. (…)

3. Den Mietvertrag für die Wohnung im II. Stock unterschreibt (der Ehemann).

(…)

5. (Der Ehemann) überträgt die Wohnung (…) IV. Stock, sowie die zugehörigen Genossenschaftsanteile an (die Ehefrau). (…)

6. Unsere Tochter M. erhält nach Absprache mit der (Baugenossenschaft) bei erreichter Volljährigkeit das Recht, die Wohnung im II. Stock anzumieten und voll für sich zu nutzen. (…) Die Anmietung der Wohnung im II. Stock durch M. muss im Falle einer Trennung der Vertragspartner so lange zurückstehen, bis einer der beiden eine neue Wohnung gefunden und angemietet hat.

7. Im Falle einer Trennung räumt (die Ehefrau) (dem Ehemann) das Recht ein, die Wohnung IV. Stock wieder als Hauptmieter zu übernehmen und tritt gegenüber der (Baugenossenschaft) ihre Recht und Genossenschaftsanteile an ihn ab. (…) Die Zuweisung/Rückübertragung soll unter den Vorbehalten des Vertragspunktes 11 und, was den Zeitpunkt angeht, des Punktes 9 erfolgen.

(…)

9. (Der Ehemann) und (die Ehefrau) nehmen Rücksicht auf M.. Für den Fall einer Trennung der beiden Vertragspartner erfolgt kein Auszug aus der Wohnung im IV. Stock, wenn sie einer starken psychischen Belastung (vor allem ungewöhnlich hohem Schulstress) ausgesetzt ist und solange sie sich in der Prüfungsphase für ihren Schulabschluss befindet. (…)

10. Für den Fall der Trennung und der Absicht des Auszugs von (der Ehemann) oder (die Ehefrau) aus dem Haus (…) wird ihm/ihr eine angemessene Frist eingeräumt, eine neue Wohnung zu finden und anzumieten. (…)

11. Für den Fall, dass einer der Vertragspartner eine/n neue/n Lebenspartner/in wählt, behält der/die andere die Wohnung im IV. Stock. (…)

(…)“

Nach der Trennung der Eheleute zog der Antragsteller in die kleinere Wohnung im 2. Stock des Gebäudes (…) Die Antragsgegnerin und die gemeinsame Tochter M. blieben in der Wohnung im 4. Stock. Ein vom Antragsteller im Juli 2013 eingeleitetes Wohnungszuweisungsverfahren gemäß § 1361 b BGB blieb im Ergebnis erfolglos.

Ehewohnungszuweisung im Scheidungsfall
(Symbolfoto: Andrii Yalanskyi/Shutterstock.com)

Mit Beschluss vom 14.1.2016 hat das Familiengericht die Ehe geschieden, den Versorgungsausgleich geregelt und den Wohnungszuweisungsantrag des Antragstellers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es primär auf den Aspekt des Kindeswohls und die gesundheitliche Situation von M. abgestellt; der Gesichtspunkt der Kontinuität spreche für die weitere Betreuung von M. durch die Kindesmutter in der Wohnung im 4. Stock. Mit Blick auf die Zurückweisung des Wohnungszuweisungsantrages und auf einen seitens des Antragstellers weiter im Rahmen eines Stufenverfahrens gestellten, später jedoch wieder zurückgenommenen Güterrechtsantrag hat das Familiengericht die Gerichtskosten zu 2/3 dem Antragsteller auferlegt und eine Pflicht des Antragsgegners zur Teilerstattung der außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin begründet. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Verfahrens wird auf den Inhalt des Beschlusses vom 14.1.2016 und den erstinstanzlichen Vortrag der Beteiligten verwiesen.

Gegen den Beschluss vom 14.1.2016, der dem Antragsteller am 19.2.2016 zugestellt wurde, richtet sich seine Beschwerde vom 18.3.2016. Der Antragsteller wendet sich gegen die Entscheidung bezüglich der Wohnungszuweisung sowie gegen die Kostenentscheidung. Er trägt vor:

Ein Anspruch auf Wohnungsüberlassung stehe ihm bereits aufgrund der Vereinbarung vom 8.3.2012 zu. Aspekte der Betreuungskontinuität mit Blick auf M. seien für die Entscheidung nicht relevant, da M. zwischenzeitlich das Abitur bestanden habe und nur noch selten Unterstützung bei therapeutischen Maßnahmen benötige. Im übrigen sei er hierzu in gleicher Weise in der Lage wie die Antragsgegnerin und habe zu M. auch eine ebenso vertrauensvolle Beziehung. Zwar strebe er den Wiedereinzug in die größere Wohnung auch mit der Zielsetzung an, seine derzeit im gesamten Haus verstreuten Sachen wieder zusammenzuführen und seinen für eine von ihm ausgeübte Nebentätigkeit wichtigen Videoschnittplatz wieder aufzubauen. Dies sei aber nicht mit relevanten Nachteilen für M. verbunden. M. habe angesichts ihres beabsichtigten späteren Auszuges selbst angeboten, in das kleinere Zimmer der 2 1/2 – Zimmer-Wohnung zu ziehen. Weiter sei zu berücksichtigen, dass er unter einer Herzerkrankung leide und zehn Jahre älter sei als die Antragsgegnerin. Die Kostenentscheidung des Familiengerichts sei unbillig, da die Antragsgegnerin die Auskunft, dass die ihren wesentlichen Vermögensgegenstand darstellende Lebensversicherung beliehen sei, erst nach der Bezifferung des Güterrechtsantrages erteilt habe; bei Stellung des Leistungsantrages seien daher dessen fehlende Erfolgsaussichten nicht absehbar gewesen.

Die Antragsgegnerin verteidigt die Entscheidung des Familiengerichts. Sie trägt vor:

Die rein schuldrechtliche Vereinbarung der Eheleute aus dem Jahr 2012 sei für die Entscheidung hinsichtlich der Wohnungszuweisung nicht relevant; sie sei insbesondere nicht geeignet, die an der Vereinbarung nicht beteiligte Genossenschaft zu binden. Es werde nicht in Abrede gestellt, dass der Antragsteller ebenso gut wie die Antragsgegnerin zusammen mit M. in der Wohnung im 4. Stock leben könne; dies genüge aber nicht für die Zuweisung, die voraussetze, dass der Antragsteller stärker auf die Wohnung angewiesen sei als die Antragsgegnerin. Dies sei nicht erkennbar. Falls M. im Rahmen ihrer Berufsausbildung aus der Wohnung ausziehe, werde sie dies ebenfalls tun und anderweitig eine Wohnung anmieten; derzeit sei aber noch nicht erkennbar, wann es dazu komme.

In Rahmen der mündlichen Anhörung der Eheleute durch das Beschwerdegericht hat die Antragsgegnerin ergänzend darauf hingewiesen, dass sie finanziell schlechter gestellt sei als der Antragsteller und deshalb mehr Schwierigkeiten im Fall einer Wohnungssuche haben werde als dieser. Das Nutzungsentgelt für die Wohnung im 4. Stock sei sehr gering und vergleichbare Wohnungen am Markt ca. 150-200 € teurer.

M. hat mit Schreiben vom 5.7.2016 erklärt, dass sie voraussichtlich ab dem Wintersemester 2016/2017 an der (…) Universität (…) studieren werde und noch mindestens während des ersten Studienjahrs bei ihren Eltern wohnen bleiben wolle. Sie könne sich sowohl vorstellen, bei ihrer Mutter als auch bei ihrem Vater zu leben.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht erhoben worden. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Der Antragsteller kann von der Antragsgegnerin im Rahmen der gerichtlichen Wohnungszuweisung im Scheidungsfall (§ 1568a BGB) die Überlassung der Wohnung im 4. Stock des Hauses (…) verlangen. Gemäß § 1568a Abs. 1 BGB kann ein Ehegatte von dem anderen die Überlassung der Ehewohnung verlangen, wenn er auf deren Nutzung unter Berücksichtigung des Wohls der im Haushalt lebenden Kinder und der Lebensverhältnisse der Ehegatten in stärkerem Maße angewiesen ist als der andere Ehegatte oder die Überlassung aus anderen Gründen der Billigkeit entspricht. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Im Einzelnen:

Bei der genannten Wohnung handelt es sich trotz des Auszugs des Antragstellers im Herbst 2012 und die Übertragung des Nutzungsverhältnisses hinsichtlich der Wohnung von ihm auf die Antragsgegnerin um die Ehewohnung der beteiligten Eheleute. Durch den Auszug eines Ehegatten verliert eine Wohnung den Charakter als Ehewohnung nur dann, wenn sich der Auszug als endgültige Aufgabe der Wohnnutzung durch den ausziehenden Ehegatten darstellt, dies etwa deshalb, weil sich die Eheleute über die künftige Nutzung der Wohnung durch den verbleibenden Ehegatten abschließend geeinigt haben (BGH, FamRZ 2013, 1280; Palandt- Brudermüller, § 1361b BGB, Rn. 6 m.w.N.). Eine solche Situation ist hier nicht gegeben. Aus der von den Eheleuten geschlossenen Vereinbarung vom 8.3.2012 ergibt sich, dass der Antragsteller nicht den Willen hatte, die Ehewohnung dauerhaft aufzugeben, sondern erwartete, dass die Ehefrau ihm diese entsprechend den Regelungen in der Vereinbarung zu einem späteren Zeitpunkt wieder überlassen würde. Da die Antragsgegnerin aufgrund der Vereinbarung Kenntnis von der Rückkehrabsicht des Antragstellers hatte, kommt auch die Vermutung der Überlassung des Nutzungsrechts an den anderen Ehegatten bei fehlender Bekundung der Rückkehrabsicht (§ 1361b Abs. 4 BGB) von vornherein nicht zur Anwendung; die Frage, ob dieser Vermutung Bedeutung auch für die endgültige Wohnungszuweisung gemäß § 1568a BGB zukommt, kann deshalb dahinstehen.

Die Zuweisung der Wohnung an den Antragsteller wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass es sich bei der Wohnung um eine Genossenschaftswohnung handelt (Palandt-Brudermüller, § 1568a BGB, Rn. 13 m.w.N.). Mit Rechtskraft der tenorierten Wohnungsüberlassung tritt der Antragsteller kraft Gesetzes (§ 1568a Abs. 3 Nr. 2 BGB) an Stelle der Antragsgegnerin in den zwischen der Antragsgegnerin und der beteiligten Genossenschaft bestehenden Dauernutzungsvertrag hinsichtlich der Wohnung ein. Der Antragsteller ist auch bereits Genossenschaftsmitglied, so dass die Genossenschaft nicht entsprechend §§ 1568a Abs. 3, 563 Abs. 4 BGB (vgl. dazu Palandt-Brudermüller, a.a.O.) zu einer Kündigung wegen fehlender Mitgliedschaft des neuen Vertragspartners in der Genossenschaft berechtigt ist.

Die Wohnung ist dem Antragsteller zuzuweisen, weil dies der Billigkeit entspricht. Dies ergibt sich insbesondere daraus, dass sich die Eheleute in der Vereinbarung vom 8.3.2012 – zu einem Zeitpunkt, in dem sich ihre Ehe bereits in der Krise befand und sie eine Entwicklung wie die später eingetretene jedenfalls für möglich hielten – darauf geeinigt haben, dass der Nutzungsvertrag hinsichtlich der Ehewohnung nur aus Praktikabilitätsgründen temporär auf die Antragsgegnerin übertragen werden sollte, die Wohnung im Trennungsfall jedoch letztlich dem Antragsteller zustehen sollte (Ziff. 7 der Vereinbarung). Die Voraussetzungen, die die zwischen den Eheleuten geschlossene Vereinbarung für die Rückübertragung der Wohnung nennt (Trennung der Eheleute, keine neue Partnerin des Antragstellers, kein Aufschub wegen gebotener Rücksichtnahme auf M.) liegen sämtlich vor. M. hat zwischenzeitlich das Abitur bestanden und befindet sich vor der Aufnahme des geplanten Studiums derzeit sowohl psychisch als auch gesundheitlich in einer relativ unbelasteten Lebenssituation, so dass die in Ziff. 9 der Vereinbarung genannten Voraussetzungen für einen Aufschub der Rückgabe nicht gegeben sind.

Zwar haben die Regelungen der Vereinbarung vom 8.3.2012 keine für das Wohnungszuweisungsverfahren unmittelbar verbindliche Wirkung, da es sich bei ihnen nur um schuldrechtliche Absprachen zwischen den Eheleuten handelt, an denen die Genossenschaft zudem nicht beteiligt war. Wie sich aus § 1568a Abs. 3 BGB ergibt, sind die bestehenden schuldrechtlichen Vertragsbeziehungen zwischen den Beteiligten für das Wohnungszuweisungsverfahren grundsätzlich nicht relevant, vielmehr sieht das Gesetz vor, dass diese im Rahmen des Verfahrens gerade umgestaltet werden können. Indes schließt dies nicht aus, dass Vereinbarungen zwischen den Eheleuten – insbesondere solche, die wie hier in Kenntnis der Ehekrise abgeschlossen wurden und Regelungen für den Trennungsfall enthalten – im Rahmen der gemäß § 1568a Abs. 1 zu treffenden Billigkeitsentscheidung berücksichtigt werden können. Im vorliegenden Fall ist insbesondere relevant, dass sich der Antragsteller durch die Vereinbarung vom 8.3.2012 dazu verpflichtet hat, eine ihm zustehende Rechtsposition (Vertragsverhältnis mit der Genossenschaft hinsichtlich der Ehewohnung) aufzugeben, um damit die Anmietung einer weiteren Wohnung und eine Entspannung in der ehelichen Krisensituation zu ermöglichen, während ihm die Antragsgegnerin durch die Vereinbarung eine spätere Rückübertragung des Vertragsverhältnisses und die Überlassung der Ehewohnung im Trennungsfall zusicherte. Dass sich die Antragsgegnerin an diese Zusage nun nicht mehr halten will, obwohl der Antragsteller seinen Teil der Abmachung erfüllt und sich die Situation im Wesentlichen so entwickelt hat wie von den Eheleuten bei Abschluss der Vereinbarung vorhergesehen, stellt sich als treuwidriges Verhalten der Antragsgegnerin dar. Daraus ist im Rahmen der Billigkeitsabwägung ein gewichtiges Argument für eine Wohnungszuweisung an den Antragsteller abzuleiten.

Der Berücksichtigung von Wertungen aus der Vereinbarung der Eheleute vom 8.3.2012 steht auch nicht entgegen, dass sich daraus nicht die Schlussfolgerung ableiten lässt, einer der Eheleute sei stärker als der andere auf den Erhalt der Ehewohnung angewiesen. Denn § 1568a BGB lässt eine Wohnungszuweisung alternativ wegen des stärkeren Angewiesenseins auf die Wohnung oder aufgrund sonstiger Billigkeitsaspekte zu. Letztlich hat mithin eine allgemeine Billigkeitsabwägung stattzufinden, in die alle relevanten Gesichtspunkte einfließen müssen.

Weitere Aspekte, die abweichend von den vorstehenden Überlegungen eine Wohnungszuweisung an die Antragsgegnerin nahelegen würden, sind nicht ersichtlich:

Zwar ist bei der Zuweisungsentscheidung das Wohl der im Haushalt lebenden Kinder – auch der volljährigen Kinder (vgl. OLG Saarbrücken, FamRZ 2013, 1982 m.w.N.) – besonders zu berücksichtigen. Bedingt durch ihre Erkrankung an Mukoviszidose erhält die gemeinsame Tochter M. der Beteiligten trotz Volljährigkeit noch in gewissem Umfang elterliche Unterstützung bei der Durchführung von Therapiemaßnahmen pp.. Die Antragsgegnerin, die seit inzwischen fast vier Jahren allein mit M. in der Ehewohnung lebt, ist mit Blick auf die notwendigen Hilfestellungen zusammen mit M. ein „eingespieltes Team“. Indes besteht unstreitig auch zwischen dem Antragsteller und M. eine vertrauensvolle Beziehung; der Antragsteller hat sich bereits in der Vergangenheit und bis heute – wenn auch sicherlich in geringerem Umfang als die Antragsgegnerin – an der Durchführung der notwendigen Therapien für M. beteiligt. M. selbst hat sich – trotz Berufung auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht im Übrigen – dem Beschwerdegericht gegenüber dahingehend geäußert, dass sie sich sowohl vorstellen könne, bei ihrer Mutter als auch bei ihrem Vater zu leben. Auch die Antragsgegnerin hat eingeräumt, dass der Antragsteller genauso gut mit M. in der ehemaligen Ehewohnung leben könne wie die Antragsgegnerin. Mit Blick auf den vom Familiengericht hervorgehobenen Kontinuitätsaspekt der Kinderbetreuung ist zu berücksichtigen, dass dieser bei volljährigen Kindern wegen deren zunehmender Verselbstständigung in aller Regel an Bedeutung verliert. Eine solche Situation ist auch hier gegeben, wie u.a. daraus deutlich wird, dass M. mittelfristig über einen Auszug aus der elterlichen Wohnung nachdenkt. Beide Elternteile trauen M. im Übrigen zu, die für sie notwendigen Behandlungsmaßnahmen im Rahmen ihrer Erkrankung selbst zu planen und umzusetzen. Daher ergeben sich im vorliegenden Fall aus kindeswohlbezogenen Überlegungen keine Aspekte, die für eine Wohnungsüberlassung speziell an einen der beiden Elternteile sprechen.

Soweit die Antragsgegnerin in ihrer Anhörung vor dem Beschwerdegericht darauf hingewiesen hat, dass sie sich im Vergleich zum Antragsteller in einer schwächeren wirtschaftlichen Situation befinde und daher mehr als dieser auf die – kostengünstige – Ehewohnung angewiesen sei, handelt es sich um neues Vorbringen, das zudem in einem gewissen Widerspruch zu den Angaben der Antragsgegnerin in der Beschwerdeerwiderung steht. Darin hat die Antragsgegnerin nämlich ausgeführt, sie wolle sich eine andere Wohnung suchen, so bald M. im Rahmen ihrer Berufsausbildung ausziehen werde. Konkrete Angaben zu ihren Einkommensund Vermögensverhältnissen und zu ihren Erwerbsaussichten haben die Beteiligten jenseits der Verfahrenskostenhilfeverfahren nicht gemacht. Die der Verfahrenswertfestsetzung im Scheidungsverfahren zugrundeliegenden bereinigten Nettoeinkommen der Beteiligten weichen nicht sehr erheblich voneinander ab. Beiden Eheleuten wurde Verfahrenskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt. Zudem hat die Antragsgegnerin im April 2016 einen Vermögenserwerb durch Erbschaft angezeigt. Soweit die Antragsgegnerin auf die bessere Berufsausbildung des Antragstellers verweist, ist zu berücksichtigen, dass der Antragsteller keine seinem Universitätsabschluss entsprechende Tätigkeit ausübt, sondern vielmehr als Taxifahrer tätig ist. Angesichts des Lebensalters des Antragsstellers (61) erscheint es unrealistisch, dass sich daran künftig etwas ändern wird bzw. kann. Insgesamt lässt sich daher nicht feststellen, dass sich der Antragsteller im Vergleich zur Antragsgegnerin in einer überlegenen wirtschaftlichen Situation befindet.

Weitere Gesichtspunkte, die eine Wohnungszuweisung an die Antragsgegnerin gebieten würden, sind nicht ersichtlich. Auf die seitens des Antragstellers weiter genannten Aspekte für eine Wohnungszuweisung an ihn (Alter, Erkrankung, Zusammenführung der ihm gehörenden Sachen, Wiederaufbau des für die Ausübung einer Nebentätigkeit erforderlichen Arbeitsplatzes) kommt es daher nicht an.

Die Entscheidungen hinsichtlich der Räumung, der Herausgabe der Schlüssel, der Gewährung einer Räumungsfrist und der Kostentragung hinsichtlich des Nutzungsentgelts für die Wohnung bis zur Räumung beruhen auf § 209 Abs. 1 FamFG. Danach hat das Gericht mit der Endentscheidung die zu ihrer Durchführung erforderlichen Anordnung zu treffen. Die entsprechenden Anordnungen sind von Amts wegen zu treffen, ohne dass es einer Antragstellung bedarf (Keidel/Giers, § 209 FamFG, Rn. 3). Im Rahmen des § 209 Abs. 1 FamFG kann dem weichenden Ehepartner eine Räumungsfrist gewährt werden (OLG Brandenburg, B. v. 27.7.2010 – 10 WF 99/10; Keidel/Giers, a.a.O., Rn. 3a).

Im vorliegenden Fall ist die Gewährung einer Räumungsfrist von 6 Monaten ab Rechtskraft angemessen. Damit sich die Antragsgegnerin und insbesondere auch M. ohne Stress auf die Änderung der Situation einstellen können, ist es sachgerecht, dass der Antragsgegnerin ein längerer Zeitraum für die Wohnungssuche eingeräumt wird. Der Antragsteller hat sich durch die Vereinbarung vom 8.3.2012 im Verhältnis zur Antragsgegnerin dahin gebunden, dass auf die Interessen von M. Rücksicht genommen werden soll. In Ziff. 10 der Vereinbarung haben die Eheleute zudem für den Fall des Auszugs eines Ehegatten bereits die Einräumung von angemessenen Räumungsfristen vorgesehen. Diese Festlegungen wirken sich auf die im Rahmen des § 209 FamFG zu treffende Entscheidung aus. Um zu vermeiden, dass der Antragsteller, auf den das Nutzungsverhältnis hinsichtlich der Wohnung bereits mit Rechtskraft der Entscheidung übergeht und der deshalb gegenüber der Genossenschaft Schuldner der Nutzungsentgelte wird, mit Zahlungspflichten belastet wird, ohne die Wohnung bereits nutzen zu können, wurde zusätzlich festgelegt, dass die Nutzungsentgelte für die Wohnung im Innenverhältnis der Eheleute bis zur Räumung weiterhin von der Antragsgegnerin zu zahlen bzw. zu erstatten sind.

Die Beschwerde hat Erfolg auch mit Blick auf die erstinstanzliche, gemäß § 150 Abs. 4 FamFG getroffene Kostenentscheidung. Zwar ist diese vom Beschwerdegericht grundsätzlich nur auf Ermessensfehler hin zu prüfen. Da das Familiengericht die Kostenentscheidung jedoch u.a. auf die Erfolglosigkeit des Wohnungszuweisungsantrages gestützt hat und die entsprechende Entscheidung im Rahmen des Beschwerdeverfahrens aufgehoben worden ist, beruhte die Kostenentscheidung des Familiengerichts auf unzutreffenden Annahmen. Sie ist daher insgesamt durch eine eigene Ermessensentscheidung des Beschwerdegerichts zu ersetzen. Die Kosten beider Instanzen sind gemäß § 150 Abs. 1 FamFG zwischen den beteiligten Eheleuten aufzuheben. Von einer abweichenden Kostenverteilung gemäß § 150 Abs. 4 FamFG mit Blick auf den erfolglos gebliebenen Güterrechtsantrag des Antragstellers sieht das Beschwerdegericht im Rahmen der Ermessensausübung ab. Insoweit ist zum einen zu berücksichtigen, dass der Gegenstandswert des Güterrechtsantrages im Verhältnis zum Gesamtgegenstandswert relativ gering war. Zum anderen hat die Antragsgegnerin dem Antragsteller durch eine unvollständige Auskunft Anlass gegeben, den Antrag auf Zugewinnausgleich nicht nur in der Auskunfts-, sondern auch in der Leistungsstufe anhängig zu machen. Ihr Schriftsatz vom 11.3.2014 enthielt zwar eine von der zunächst erteilten und durch Versicherungsunterlagen belegten Auskunft (Schriftsätze vom 3.2./18.2.2014) abweichende niedrigere Bewertung des wesentlichen Vermögensgegenstandes der Antragsgegnerin – ihrer Lebensversicherung bei (…). Die Antragsgegnerin nannte im Schriftsatz vom 11.3.2014 jedoch keinen Grund für die niedrigere Bewertung. Soweit die den vorangehenden Schriftsätzen beigefügten Versicherungsauskünfte (unbezifferte) Hinweise auf ein Policendarlehen enthielten, konnte der Antragsteller aus der Lektüre des Schriftsatzes vom 11.3.2014 nicht entnehmen, dass der dort behauptete niedrigere Wert der Versicherung auf dem zuvor erwähnten Policendarlehen beruhte. Ob der Schriftsatz vom 11.3.2014 den Antragsteller überhaupt erreicht hat (die Akte enthält einen entsprechenden Abvermerk), kann daher dahinstehen. Auch wenn dies der Fall war, hatte der Antragsteller angesichts des unklaren Vortrages der Antragsgegnerin Anlass, von einem positiven Zugewinnausgleichsanspruch seinerseits auszugehen und einen entsprechenden Leistungsantrag zu stellen. Erst nachdem dies erfolgt war, teilte die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 9.6.2015 mit, dass die Versicherung beliehen worden und deshalb weniger werthaltig sei.

Die weiteren Entscheidungen beruhen auf §§ 76 ff. FamFG, 114 ff. ZPO, 40, 48 FamGKG.

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