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Elterliche Sorge: Rückübertragung auf Eltern

OLG Schleswig-Holstein, Az.: 8 UF 81/16, Beschluss vom 31.01.2017

I. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1. wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Lübeck vom 14. März 2016 im ersten Absatz seines Tenors aufgehoben, sodass die Beteiligte zu 1. wieder die alleinige elterliche Sorge für ihren am 5. April 2015 geborenen Sohn P1 hat.

II. Den Beteiligten zu 3. und 6. wird aufgegeben, das Kind P1 an die Beteiligte zu 1. herauszugeben.

III. Von der Erhebung von Gerichtskosten für die Beschwerde ist abzusehen. Die außergerichtlichen Kosten der Beschwerde trägt jeder Beteiligte selbst.

IV. Die Beteiligten werden darauf hingewiesen, dass bei der Zuwiderhandlung gegen den Vollstreckungstitel zur Herausgabe des Kindes P1 gegenüber dem Verpflichteten Ordnungsgeld von bis zu 25.000 Euro oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten angeordnet werden kann.

Gründe

Elterliche Sorge: Rückübertragung auf Eltern
Symbolfoto: Zinkevych/Bigstock

I. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1. richtet sich gegen Maßnahmen des Familiengerichts, mit denen eine Trennung ihres Sohnes von der elterlichen Familie verbunden ist.

1. Die Beteiligte zu 1. ist am 26. August 1989 in R1 geboren und bei ihrer Großmutter aufgewachsen, nachdem sie ihre Mutter infolge einer Erkrankung bereits im Alter von sechs Jahren verloren hatte. Ihren derzeit in R2 lebenden Vater hat sie erst im Alter von dreizehn Jahren kennengelernt. Er war oder ist Alkoholiker. Ein Bruder der Beteiligten zu 1. lebt in M1. Nach Erreichen der mittleren Reife hat sie eine Lehre als Bäckereifachverkäuferin abgeschlossen und in diesem erlernten Beruf ein Jahr in W1 gearbeitet. Eine sich anschließende Ausbildung zur Sicherheitsfachkraft in H1 hat die Beteiligte nicht abschließen können, da sie die Prüfung nicht bestanden hat. Derzeit arbeitet die Beteiligte zu 1. in Vollzeit in einem Altersheim im Schichtdienst. Jedes zweite Wochenende hat sie frei. Daneben macht die Beteiligte zu 1. eine Weiterbildung zur Pflegefachkraft für Kinder unter drei Jahren. Sie lebt allein in einer gemieteten 3-Zimmer-Wohnung in L1. Die Beteiligte zu 1. ist seit dem 21. Juni 2016 in therapeutischer Behandlung mit wöchentlichen Therapiestunden bei Dr. E1.

2. Der am 11. Mai 1982 in G1 (Bosnien-Herzegowina) geborene Beteiligte zu 2. hat die Vaterschaft für anerkannt. Er hat aus seiner geschiedenen Ehe mit Jenny H2 den Sohn Sam-Jeremy (geboren am 17. Juni 2007). Sorgeerklärungen haben er und die Beteiligte zu 1. für nicht abgegeben. Der Beteiligte zu 2. ist wohnhaft in L1. Über ihn ist ansonsten nichts bekannt, nachdem er in den Terminen zur mündlichen Erörterung, die das Familiengericht und der Senat durchgeführt haben, nicht erschienen ist.

3. Die Beteiligten zu 3. sind seit 15. April 2016 die Pflegeväter von , der zuvor neun Monate bei einer Bereitschaftspflegemutter untergebracht war. Sie haben eine Lebenspartnerschaft begründet. Der Beteiligte zu 3. Markus J1 ist als IT-Leiter in H1 beschäftig und hat seine Arbeitszeit auf 50 % verringert. Der Beteiligte zu 3. Ralf J1 ist Soldat auf Zeit und befindet sich in Elternzeit, sodass er vollständig für die Betreuung von zur Verfügung steht. Die Beteiligten zu 3. leben zusammen mit in einem von ihnen errichteten Einfamilienhaus in dem kleinen, ländlich gelegenen W2 bei L2. Die Beteiligten zu 3. beabsichtigen, sich um ein weiteres Pflegekind zu bemühen. Sie wünschen sich, zwei Kinder in Dauerpflege zu haben.

4. Die Beteiligten zu 1. und 2. lebten gemeinsam in einer in der F. 35 in L1 gelegenen 4-Zimmer-Wohnung. Beide waren in der Zeit des Zusammenlebens arbeitslos. Häufig war der Sohn des Beteiligten zu 2. Sam-Jeremy bei ihnen zu Besuch.

a. Nach dem Einsatzbericht der Polizei vom 1. Januar 2015 (743 Js 30477/15 JUG Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Lübeck Bl. 15 f.) kam es in der gemeinsamen Wohnung zwischen den Beteiligten zu 1. und 2 zu so lauten Streitigkeiten, dass der Polizeieinsatz die Folge war. Die Polizei hat unter dem 2. Januar 2015 an die Beteiligte zu 5. (Erwachsenenhilfe; Veterinäramt) von dem beklagenswerten Zustand der Wohnung berichtet (743 Js 30477/15 JUG Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Lübeck Bl. 15 f. und 18 f.). Alle Räumlichkeiten seien stark zugemüllt und verdreckt gewesen, auch durch zwei in der Wohnung gehaltene Katzen. Die Beteiligte zu 1. wolle in naher Zukunft eine eigene Wohnung beziehen. Die Beteiligten zu 1. und 2. lebten dennoch weiterhin zusammen.

b. Die Schwangerschaft der Beteiligten zu 1. mit war belastet durch Übelkeit, Herzrasen und Kreislaufprobleme. Nach der Geburt von in der Frauenklinik des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein in L1 (UKSH) wurden bei der Beteiligten zu 1. frische Ritzverletzungen festgestellt. Nach einer Meldung der Hebamme, dass sie von den Beteiligten zu 1. und 2. nicht mehr in die Wohnung gelassen werden würde, konnte bei einem Hausbesuch durch eine Mitarbeiterin des Jugendamtes am 30. April 2015 eine Gefährdung des Kindeswohls nicht festgestellt werden. Bei einem Gespräch im Jugendamt am 7. Mai 2015 und bei einem weiteren Hausbesuch am 9. Juni 2015 lehnten die Beteiligten zu 1. und 2. öffentliche Hilfen ab. Im Juni 2015 suchte die Beteiligte zu 1. nach einer anderen Wohnung ohne den Beteiligten zu 2.

c. Am 15. Juni 2015 krampfte nach den Angaben der Beteiligten zu 1. und schrie unaufhörlich, woraufhin der Beteiligte zu 2. einen Rettungswagen rief und in die Kinderklinik des UKSH eingeliefert wurde (Bl. 5). Die Beteiligte zu 5. hielt, nachdem sie die Meldung des UKSH über den Verdacht auf ein Schütteltrauma erreicht hatte, das Tätigwerden des Familiengerichts für erforderlich und hat dieses am 22. Juni 2015 angerufen. Das Familiengericht Lübeck hat der Beteiligten zu 1. im Verfahren der einstweiligen Anordnung am 22. Juni 2015 ohne mündliche Erörterung die elterliche Sorge für entzogen (121 F 161/15). In dem „Entlassbrief“ des UKSH vom 25. Juni 2015 sind die erhobenen Befunde im Einzelnen dargelegt (121 F 161/15 Amtsgericht Lübeck Bl. 10 ff.). Dort heißt es, der augenärztliche Befund, insbesondere beiderseits deutliche intraretinale Fleck- und Punktblutungen, sei mit battered-child vereinbar, aber nicht beweisend. Im Rahmen eines Krampfanfalls seien retinale Blutungen theoretisch möglich, aber eher unwahrscheinlich. Festgestellt worden sei ein Subduralhämatom parietookzipital links. Extrakranielle Prellmarken als Hinweis auf ein akutes Trauma seien nicht festgestellt. Prinzipiell seien die festgestellten Subduralhämatome und Hygrome, mit Flüssigkeit gefüllte Hohlräume im Gehirn, als Folgen eines Schütteltraumas denkbar. In Frage komme ein mehrzeitiges Trauma im Abstand von fünf Tagen. Insgesamt seien die Befunde bei ausgeprägtem intrakraniellen Befund sowie Fehlen von äußeren Prellmarken am ehesten mit einem Schütteltrauma vereinbar. Die von den Beteiligten zu 1. und 2. zur möglichen Erklärung beschriebenen Ereignisse, ein Sturz des Kindes vom Sofa vor vier Wochen und eine scharfe Bremsung im Auto vor etwa zwei Wochen, würden die schweren Verletzungen nicht erklären und zu weit zurückliegen.

d. Die Beteiligten zu 1. und 2. brachten am 21. Juli 2015 auf Veranlassung der Beteiligten zu 5. selbst die Anzeige einer möglichen Straftat bei der Polizei Lübeck an (743 Js 30477/15 JUG Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Lübeck Bl. 3 f.). Sie gaben übereinstimmend an, nicht geschüttelt oder in ähnlicher Weise misshandelt zu haben. Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Lübeck hat das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren am 17. August 2015 mit der Begründung eingestellt, dass die Ermittlungen nicht genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage bieten würden. Die Beteiligten zu 1. und 2. kämen beide als Täter in Betracht. Beide würden eine Tatbegehung bestreiten. Ein Tatnachweis sei nicht zu führen. Auch ein Unterlassen sei ihnen nicht vorzuwerfen, da es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass sie hätten wissen können, dass der jeweils andere Elternteil das Kind misshandeln würde.

5. Das Familiengericht hat in dem vorliegenden Hauptsacheverfahren das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. N1 vom 9. Oktober 2015 eingeholt (Bl. 47 ff.). Dieser hat die Beteiligte zu 1. als erziehungsgeeignet angesehen, wenn auch mit Einschränkungen, die Maßnahmen zur Sicherung und Stärkung der Erziehungsfähigkeit notwendig machen würden. Erforderlich seien namentlich eine psychotherapeutische Behandlung zur Verbesserung der Wahrnehmungsbereitschaft für dem Kind drohende Gefahren und eine vorübergehende Betreuung in einer Mutter-Kind-Einrichtung. Im Termin zur mündlichen Erörterung vom 17. Dezember 2015 hat der Sachverständige ausgeführt, dass die Kompetenzen der Beteiligten zu 1. jetzt ausreichen würden, um mit in einer Mutter-Kind-Einrichtung zu leben. In dem Termin zur mündlichen Erörterung vom 2. März 2016 hat der Sachverständige Dr. N1 dagegen aufgrund der nur langsamen Fortschritte der Beteiligten zu 1. erklärt, dass das Risiko für das Kind auch unter Einbindung einer Mutter-Kind-Einrichtung doch zu groß sei (Bl. 163). Dem hat sich das Familiengericht durch den angefochtenen Beschluss angeschlossen und der Beteiligten zu 1. das Recht entzogen, den Aufenthalt von zu bestimmen. Weiter hat es ihr das Recht der Gesundheitssorge und der Antragstellung nach SGB VIII entzogen und das Jugendamt als Pfleger bestellt.

6. Die Beteiligte zu 1. hat zur Begründung ihrer dagegen gerichteten Beschwerde im Wesentlichen ausgeführt: Sie habe nicht geschüttelt und wisse nicht, wie es zu dessen Verletzung gekommen sei. Sie habe sich – ohne ausreichende Unterstützung durch das Jugendamt – bei verschiedenen Mutter-Kind-Einrichtungen um eine Aufnahme bemüht. Von dem Beteiligten zu 2. habe sie sich getrennt und zu diesem zwischenzeitlich fast ein Jahr keinen Kontakt mehr. Sie werde ihre Berufstätigkeit und ihre Wohnung aufgeben und sich mit in eine Mutter-Kind-Einrichtung begeben.

7. Der Senat hat nach persönlicher Anhörung der Beteiligten zu 1., der Verfahrensbeiständin und der Vertreter des Jugendamts sowie Vernehmung des Sachverständigen Dr. N1 im Termin zur mündlichen Erörterung vom 30. Juni 2016 durch den Beweisbeschluss vom 5. Juli 2016 als weitere Sachverständige die Diplom-Psychologin Dr. G2 ernannt, die ihr schriftliches Gutachten unter dem 18. Dezember 2016 eingereicht hat. Im weiteren Termin zur mündlichen Erörterung vom 26. Januar 2017 hat der Senat die Beteiligten, einschließlich der durch Beschluss vom 13. September 2016 als Beteiligte hinzugezogenen Pflegeväter J1, ebenfalls persönlich angehört und die Sachverständige Dr. G2 vernommen.

II. Die nach den §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 1. hat Erfolg. Die Voraussetzungen der §§ 1666 Abs. 1, 1666a Abs. 1 Satz 1 BGB für gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls und des § 1632 Abs. 4 BGB für eine Verbleibensanordnung bei Familienpflege liegen nicht vor.

1. Nach § 1666 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl eines Kindes gefährdet wird und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Als derartige Maßnahme kommt auch die Entziehung einzelner Teile des Personensorgerechts, insbesondere des Aufenthaltsbestimmungsrechts in Betracht. Bei der Auslegung und Anwendung des § 1666 BGB ist jedoch der besondere Schutz zu beachten, unter dem die Familie nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG steht. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG („Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“) garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung. Die Erziehung des Kindes ist damit primär in die Verantwortung der Eltern gelegt. Die Eltern können grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten und damit ihrer Elternverantwortung gerecht werden wollen. Soweit den Eltern das Sorgerecht für ihr Kind entzogen und damit zugleich die Aufrechterhaltung der Trennung des Kindes von ihnen verfestigt wird, darf dies nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen. Dieser gebietet, dass Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs sich nach dem Grund des Versagens der Eltern und danach bestimmen müssen, was im Interesse des Kindes geboten ist. Die anzuordnende Maßnahme muss zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung effektiv geeignet, erforderlich und auch im engeren Sinne verhältnismäßig sein. Die Erforderlichkeit beinhaltet dabei das Gebot, aus den zur Erreichung des Zweckes gleich gut geeigneten Mitteln das mildeste, die geschützte Rechtsposition am wenigsten beeinträchtigende Mittel zu wählen. Der Staat muss daher vorrangig versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen. Mit § 1666 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 1666a BGB hat der Gesetzgeber damit eine Regelung geschaffen, die es ermöglicht, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für besonders einschneidende Eingriffe in das Elternrecht, nämlich die Trennung des Kindes von den Eltern und den Entzug der Personensorge, Rechnung zu tragen (vgl. BGH FamRZ 2016, 1752 juris Rn. 20 ff.; BVerfG FamRZ 2015, 112 juris Rn. 22 ff.; Palandt/Götz BGB 76. Aufl. § 1666 Rn. 8).

2. Ausgehend von diesen Maßstäben lässt sich nicht feststellen, dass das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet wäre, wenn es seinen gewöhnlichen Aufenthalt wieder bei der Beteiligten zu 1. hätte.

a. Die Beteiligte zu 1. lebt in wesentlich anderen Umständen als noch bei der Trennung des Kindes von ihr im Juni 2015. Sie wohnt allein in einer 3-Zimmer-Wohnung, die nach den Angaben der Sachverständigen Dr. G2 besonders aufgeräumt und sauber ist. Zu dem Beteiligten zu 2. hat sie seit nahezu einem Jahr keinen Kontakt mehr. Die Beteiligte zu 1. ist seit längerem vollschichtig berufstätig. Ihre Belastbarkeit hat sie nicht nur durch verantwortungsvolle Arbeit in der Altenpflege und durch eine begleitende Fortbildung, sondern auch dadurch unter Beweis gestellt, dass sie seit Monaten neben der erheblichen beruflichen Anstrengung zwei Mal wöchentlich Umgangskontakte mit wahrgenommen hat, die wegen der Entfernung von L1 nach W2 mit erheblichen zusätzlichen Belastungen verbunden waren (jeweils allein Fahrzeit von fast vier Stunden). Die Beteiligte zu 1. hat sich weiter erfolgreich um ein gutes Verhältnis zu den Beteiligten zu 3. (mit deren optimaler Unterstützung) bemüht. Bei der Beurteilung all dieser beachtlichen Leistungen der Beteiligten zu 1. fällt zusätzlich ins Gewicht, dass sie sich wegen der Trennung des Kindes von ihr und des ungewissen Ausgangs des gerichtlichen Verfahrens durchgängig in einer existentiellen Ausnahmesituation befunden hat. Dazu gehört auch, dass die Beteiligte zu 1. sich den zweimaligen wöchentlichen Umgang mit erst in einem familiengerichtlichen Verfahren erstreiten musste, nachdem ihr entgegen einem anderslautenden rechtlichen Hinweis des Senats (Beschluss vom 5. Juli 2016, Bl. 233) unverständlicherweise nur ein kurzer Umgang einmal im Monat gewährt werden sollte.

b. Nach den überzeugenden und aktuellen Ausführungen der Sachverständigen Dr. G2 bestehen nur noch geringe Einschränkungen der Erziehungsfähigkeit der Beteiligten zu 1. Im Vordergrund steht danach das wenig routinierte Handling des Kindes (Gutachten Seite 53). In der Notwendigkeit, in der Betreuung des Kindes zusätzliche Erfahrungen zu machen, unterscheidet sich die Beteiligte zu 1. jedoch insoweit nicht signifikant von anderen Eltern, die erstmals Eltern geworden sind. Ein Grund für die Aufrechterhaltung der Trennung des Kindes von der Beteiligten zu 1. kann in diesem Defizit an Erfahrung nicht liegen. Die Sachverständige Dr. G2 hat bei der Beteiligten zu 1. allerdings eine verzögerte Reifeentwicklung und eine damit verbundene Unsicherheit und mangelnde Fähigkeit zur Abgrenzung von den Bedürfnissen anderer festgestellt (Gutachten Seite 52). Zugleich hat die Sachverständige aber Verbesserungen in den Kompetenzen „Erzieherisches Engagement“ und „Emotionales Fürsorgeverhalten“ beschrieben. Insbesondere konnte sie bei der Beteiligten zu 1. keine Einschränkung der für aufgrund seines Alters besonders wichtigen Feinfühligkeit feststellen und hat ein gegenüber gut ausgeprägtes Förderverhalten und effektives Lenkungsverhalten der Beteiligten zu 1. beschrieben (Gutachten Seite 52).

c. Das Kind zeigt derzeit in seiner alltäglichen Betreuung nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen Dr. G2 keine erhöhten Ansprüche an die Betreuungspersonen. Er ist ein weitgehend normal entwickeltes Kleinkind mit einem fröhlichen und ausgeglichenen Wesen und leicht im Verhalten zu lenken. Bleibende Schäden durch die im Juni 2015 festgestellten Verletzungen sind derzeit nicht mehr feststellbar (Gutachten Seite 54). Zureichende Anhaltspunkte dafür, dass es zu einer für das Kind schädlichen Überforderung der Beteiligten zu 1. bei einer alltäglichen Betreuung kommen könnte, lassen sich damit nicht aus einer erhöhten Betreuungsbedürftigkeit des Kindes ableiten. Die Beteiligte zu 1., die jetzt ihre vollschichtige Berufstätigkeit und die Umgangskontakte bewältigt, beabsichtigt für die Betreuung von ihre Berufstätigkeit aufzugeben, sodass erhebliche Ressourcen an Kraft und Zeit für dessen Betreuung frei werden.

d. Ob die Beteiligte zu 1. im Juni 2015 tatsächlich bei der Betreuung und dem Schutz des Kindes versagt hat, ist offen. Sie bestreitet, das Kind geschüttelt zu haben und hat angegeben, das Kind habe am 15. Juni 2015 beim Wickeln gekrampft und unaufhörlich geschrien. Nach dem „Entlassbrief“ des UKSH vom 25. Juni 2015 bestehen unter Einbeziehung des Umstands, dass es später nicht erneut zu einem Krampfanfall, wie von der Beteiligten zu 1. beschrieben, gekommen ist, zwar sehr gewichtige Indizien für Schütteltraumata. Zumindest denkbar bleiben jedoch noch andere Erklärungen. Jedenfalls lässt sich nicht feststellen, dass die Beteiligte zu 1. ihr Kind selbst verletzt hat oder eine solche Verletzung durch den Beteiligten zu 2. hätte voraussehen können. Zugunsten der Beteiligten zu 1. und 2. fällt zudem erheblich ins Gewicht, dass sie sich beide durch das Rufen eines Rettungswagens um schnelle Hilfe für bemüht haben. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Beteiligte zu 1. wegen des schweren Beziehungskonflikts mit dem Beteiligten zu 2., der beklagenswerten Wohnverhältnisse, der erst kurz zurückliegenden Geburt und der nach gewichtigen Anhaltspunkten vorliegenden, unerkannten Schwangerschaftsdepression in ihrer Erziehungsfähigkeit stark eingeschränkt war. Diese belastenden Umstände sind heute nicht mehr vorhanden. Auch handelt es sich bei nicht mehr um einen Säugling, sondern um ein fast zwei Jahre altes gut entwickeltes Kleinkind.

e. Die Beteiligte zu 1. ist bereit, mit in eine Mutter-Kind-Einrichtung zu gehen, solange sie auf Grund ihrer Persönlichkeitsentwicklung dieser Form der Unterstützung bei der Pflege und Erziehung des Kindes bedürfen sollte (§ 19 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII). Damit stellt sie ihr Verantwortungsbewusstsein zusätzlich unter Beweis.

3. Ergibt sich eine Gefährdung des Kindeswohls allein daraus, dass das Kind zur Unzeit aus der Pflegefamilie herausgenommen und zu den leiblichen Eltern zurückgeführt werden soll, liegt in der Regel kein hinreichender Grund vor, den Eltern das Sorgerecht zu entziehen. Vielmehr reicht dann in der Regel eine Verbleibensanordnung bei Familienpflege nach § 1632 Abs. 4 BGB zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung aus (vgl. BGH FamRZ 2014, 543 juris Rn. 24; Palandt/Götz a.a.O. § 1632 Rn. 12). Die Voraussetzungen des § 1632 Abs. 4 BGB für eine solche Verbleibensanordnung liegen jedoch nicht vor.

 

a. Lebt das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege und wollen die Eltern das Kind von der Pflegeperson wegnehmen, so kann das Familiengericht nach § 1632 Abs. 4 BGB von Amts wegen oder auf Antrag der Pflegeperson anordnen, dass das Kind bei der Pflegeperson verbleibt, wenn und solange das Kindeswohl durch die Wegnahme gefährdet würde. Begehren die Eltern die Rückführung ihres in einer Pflegefamilie lebenden Kindes, ist es verfassungsrechtlich geboten, die Tragweite der Trennung des Kindes von seiner Pflegefamilie einzubeziehen und die Erziehungsfähigkeit der Ursprungsfamilie auch im Hinblick auf ihre Eignung zu berücksichtigen, die negativen Folgen einer eventuellen Traumatisierung gering zu halten. Indessen darf der Umstand, dass die Trennung von seinen unmittelbaren Bezugspersonen regelmäßig eine erhebliche psychische Belastung bedeutet, nicht dazu führen, dass bei Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie die Wiederzusammenführung von Kind und Eltern immer dann schon ausgeschlossen ist, wenn das Kind in den Pflegeeltern seine „sozialen“ Eltern gefunden hat. Aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG folgt, dass Pflegeverhältnisse nicht in der Weise verfestigt werden dürfen, dass die leiblichen Eltern in nahezu jedem Fall den dauernden Verbleib ihrer Kinder in der Pflegefamilie befürchten müssen. Weil eine Rückkehr zu den Eltern auch nach längerer Fremdunterbringung vorbehaltlich entgegenstehender Kindesbelange grundsätzlich möglich bleiben muss, dürfen die Belastungen des Kindes, die mit einem Wechsel der Hauptbezugspersonen immer verbunden sind, eine Rückführung nicht automatisch dauerhaft ausschließen. Die Risikogrenze hinsichtlich der Prognose möglicher Beeinträchtigungen des Kindes ist allerdings dann überschritten, wenn unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht auszuschließen ist, dass die Trennung des Kindes von seinen Pflegeeltern psychische oder physische Schädigungen nach sich ziehen kann (vgl. BVerfG FamRZ 2010, 865 juris Rn. 27; Palandt/Götz a.a.O. § 1632 Rn. 14).

b. Auch die Trennung eines Kindes von seinen Eltern darf nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aufrechterhalten werden. Das setzt voraus, dass die Trennung zur Erreichung der Abwendung einer nachhaltigen Kindeswohlgefahr geeignet und erforderlich ist und dazu in angemessenem Verhältnis steht. Insbesondere muss der Staat wegen des Erforderlichkeitsgebots zur Vermeidung der Trennung der Kinder von ihren Eltern nach Möglichkeit versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen. An die Verhältnismäßigkeit der Aufrechterhaltung der Trennung sind strengere Anforderungen zu stellen, wenn die ursprünglich durch § 1666 BGB begründete Trennung des Kindes von seinen Eltern nicht auf einer missbräuchlichen Ausübung der elterlichen Sorge, sondern auf einem unverschuldeten Elternversagen beruht. Die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verschärfen sich auch dann, wenn die Eltern (mittlerweile) grundsätzlich als erziehungsgeeignet anzusehen sind und den Kindern in deren Haushalt für sich genommen keine nachhaltige Gefahr droht, sondern die Kindeswohlgefährdung gerade aus den spezifischen Belastungen einer Rückführung resultiert (vgl. BVerfG FamRZ 2014, 1266 juris Rn. 31 ff.).

4. Ausgehend von diesen Maßstäben lässt sich nicht feststellen, dass unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht auszuschließen ist, dass die Trennung des Kindes von den Beteiligten zu 3. psychische oder physische Schädigungen des Kindes nach sich ziehen kann.

a. Zwar ist ein Wechsel des Kindes von den Beteiligten zu 3. zur Beteiligten zu 1. nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen Dr. G2 aufgrund der Diskontinuität der Betreuung und Versorgung als Belastung für das Kind anzusehen. Diese Belastung wird jedoch dadurch relativiert, dass ein weitgehend normal entwickeltes Kleinkind ohne erhöhten Betreuungsbedarf ist (Gutachten Seite 51 f.). Weiter fällt ins Gewicht, dass nach der Einschätzung der Sachverständigen Dr. G2 noch keine Bindung zu den Beteiligten zu 3. entwickelt hat und dass die Beteiligte zu 1. durch die regelmäßigen Besuchskontakte eine Beziehung zu aufrechterhalten hat (Gutachten Seiten 42 ff. und 51). Bei liegt eine Störung oder Verzögerung der frühkindlichen Bindungsentwicklung vor, sodass die Sachverständige Dr. G2 bei der erst vor kurzem durchgeführten Exploration noch kein spezifisches Bindungsverhalten beobachten konnte (Gutachten Seite 43). Dabei kommt es nach den bezeichneten gesetzlichen Maßstäben darauf an, dass es nach dieser überzeugenden Einschätzung der Sachverständigen durch die Trennung des Kindes von den Beteiligten zu 3. jedenfalls nicht mit der für eine Verbleibensanordnung erforderliche Wahrscheinlichkeit zu einer psychischen Schädigung des Kindes kommt. Nicht entscheidend ist es, ob es, wie die Beteiligten zu 3. bei ihrer persönlichen Anhörung geltend gemacht haben, jedenfalls zwischenzeitlich zu einer Bindung des Kindes an sie gekommen ist. Dieser Einwand ist auch nicht überzeugend, nachdem die Exploration durch die Sachverständige mit anderem Ergebnis erst kurze Zeit zurückliegt.

b. Es lässt sich, wie ausgeführt, nicht feststellen, dass die ursprünglich durch § 1666 BGB begründete Trennung des Kindes von der Beteiligten zu 1. auf einer missbräuchlichen Ausübung der elterlichen Sorge beruht.

c. Zu berücksichtigen sind weiter die langfristigen psychologischen Auswirkungen eines Verbleibens des Kindes bei den Beteiligten zu 3. oder einer Rückführung zur Beteiligten zu 1. Dabei unterliegt es keinem Zweifel, dass sich bei den Beteiligten zu 3., die sich als vorbildliche Pflegeväter bewiesen haben, sehr gut würde entwickeln können. Das kann allerdings für die zu treffende Entscheidung nicht maßgeblich sein, weil es nicht zum „staatlichen Wächteramt“ gehört, für eine bestmögliche Förderung des Kindes und seiner Fähigkeiten zu sorgen (vgl. Palandt/Götz a.a.O. § 1666 Rn. 7). Ins Gewicht fällt dagegen, dass die Entscheidung über die Verbleibensanordnung Bedeutung für die gesamte Kindheit und Jugend von hat und dass nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. G2 wegen des notwendigen Bindungsaufbaus nur noch jetzt ohne erhebliche Schädigung des Kindes eine Rückführung zur Beteiligten zu 1. möglich ist (Gutachten Seite 54). Zu berücksichtigen ist weiter, dass ohne eine Rückführung und bei einem Verbleiben des Kindes bei den Beteiligen zu 3. das jetzt noch gute Verhältnis der Beteiligten zu 1. zu diesen durch das Andauern des Konflikts über den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes zunehmenden Belastungen ausgesetzt wäre. Schließlich sind die wahrscheinlich ungünstigen Folgen für die Identitätsentwicklung des Kindes von Bedeutung, wenn er nicht bei seiner Mutter, sondern bei Pflegepersonen aufwachsen würde.

d. Nicht erkennbar geworden ist, dass ausreichend durch staatliche Maßnahmen versucht worden wäre, der Beteiligten zu 1. durch unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens gerichtete Maßnahmen zu helfen, ihr Ziel einer Rückführung zu erreichen.

III. Die Anordnung der Herausgabe des Kindes beruht auf den §§ 1632 Abs. 1, 1666 Abs. 1 BGB.

IV. Die Nebenentscheidung ergibt sich aus § 81 Abs. 1 FamFG. Die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Die nach dem Gesetz anzulegenden Maßstäbe sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs geklärt. Davon weicht diese Entscheidung nicht ab.

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