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Gemeinsame elterliche Sorge – Übertragung von Impfentscheidungen auf einen Elternteil

OLG Koblenz – Az.: 9 UF 77/18 – Beschluss vom 18.04.2018

Die gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Saarburg vom 22. Dezember 2017 gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragsgegnerin zu tragen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000,– € festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Antragsteller und Antragsgegnerin sind seit dem 17. September 2014 rechtskräftig geschiedene Eheleute. Aus der Ehe ist die am … Februar 2011 geborene gemeinsame Tochter …[A] hervorgegangen. Diese lebt im Haushalt der Kindesmutter.

Laut des dem Familiengericht vorgelegten Impfpass erhielt das Kind am 2. März 2012, am 12. Juli 2012 und am 30. April 2013 eine Grundimmunisierung gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis. Weitere Impfungen wurden bei …[A] nicht durchgeführt.

Der Antragsteller ist zwischenzeitlich wiederverheiratet und seit Dezember 2017 Vater eines weiteren Kindes. Zu dessen Schutz lehnt er derzeit Besuche …[A]s in seinem Haushalt ab.

Antragsteller und Antragsgegnerin üben die elterliche Sorge für …[A] in vollem Umfang gemeinsam aus. Der Antragsteller möchte …[A] den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut (STIKO) entsprechend impfen lassen. Die Antragsgegnerin lehnt dies ab; sie möchte bei ihrer Tochter keinerlei weitere Impfungen durchführen lassen.

Auf den entsprechenden Antrag des Antragstellers vom 15. September 2017 hat das Familiengericht mit Beschluss vom 22. Dezember 2017 dem Kindesvater die alleinige Entscheidung über die Impfung des Kindes gegen Diphtherie, Tetanus, Poliomyelitis, Keuchhusten, Hepatitis B, Masern, Mumps, Röteln, Windpocken und Meningokokken übertragen. Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit der hier zur Entscheidung stehenden Beschwerde.

Sie ist im Wesentlichen der Ansicht, die Empfehlungen der STIKO beruhten nicht auf gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen; sie fußten nicht auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage. Vielmehr könne von einem eindeutigen Überwiegen der Vorteile von Schutzimpfungen gegenüber der Alternative des Unterlassens jeglicher Impfungen keine Rede sein. Nach heutiger Erkenntnislage lasse sich nicht beurteilen, ob eine strikte Befolgung der Impfempfehlungen, eine kritische Betrachtung hinsichtlich jeder einzelnen Impfung oder möglicherweise ein Unterlassen jeglicher Impfungen für die Gesundheit …[A]s die bessere Entscheidung wäre.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Beschluss vom 22.12.2017 abzuändern und den Antrag des Antragstellers auf Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis für die Durchführung von Impfungen bei der Tochter …[A] abzuweisen.

Der Antragsteller beantragt, die Beschwerde abzuweisen.

Er ist der Ansicht, bei den Impfempfehlungen der STIKO handele es sich um medizinischen Standard. …[A] müsse entsprechend geimpft werden.

Ergänzend wird auf die angefochtene Entscheidung des Familiengerichts vom 22. Dezember 2017, Bl. 86 bis 91 d.A., sowie auf den gesamten Inhalt der vorliegenden Verfahrensakten im Übrigen Bezug genommen.

II.

Gemeinsame elterliche Sorge - Übertragung von Impfentscheidungen auf einen Elternteil
(Symbolfoto: Studio Romantic/Shutterstock.com)

Die zulässige – insbesondere statthafte (§ 58 Abs. 1 FamFG) sowie form- (§ 64 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 FamFG) und fristgerecht (§ 63 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 FamFG) eingelegte – Beschwerde der Antragsgegnerin ist unbegründet. Das Familiengericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die der Senat ergänzend Bezug nimmt, die Entscheidungsbefugnis bezüglich einer den Empfehlungen der STIKO entsprechenden Impfung …[A]s dem Kindesvater übertragen.

Gemäß § 1628 Satz 1 BGB kann das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils bei gemeinsamer elterlicher Sorge einem Elternteil die Entscheidung bezüglich einer einzelnen Angelegenheit oder einer bestimmten Art von Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, übertragen, wenn sich die Eltern insoweit nicht einigen können. Das Familiengericht hat in diesem Fall den im Rahmen der Sorgerechtsausübung aufgetretenen Konflikt der Eltern zu lösen (vgl. BGH, NJW 2017, 2826, 2826, Rdnr. 14). Entweder ist die gegenseitige Blockierung der Eltern durch die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil zu beseitigen oder durch Zurückweisung des Antrags die Angelegenheit beim gegenwärtigen Zustand zu belassen (vgl. BGH, a.a.O.).

Die Entscheidung des Familiengerichts richtet sich insoweit gemäß § 1697a BGB nach dem Kindeswohl. Die Entscheidungskompetenz ist demjenigen Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird. Ob und inwiefern das Kindeswohl berührt ist, ist nach der Eigenart der zu regelnden Angelegenheit zu beurteilen, aus welcher sich auch die konkreten Anforderungen an die für die Entscheidung nach § 1628 BGB zu treffende Prüfung ergeben. Handelt es sich um eine Angelegenheit der Gesundheitssorge, so ist die Entscheidung zugunsten des Elternteils zu treffen, der im Hinblick auf die jeweilige Angelegenheit das für das Kindeswohl bessere Konzept verfolgt (vgl. zu allem Vorstehenden BGH, a.a.O., Rdnr. 15, m.w.N.).

Ausgehend hiervon ist die Entscheidung des Amtsgerichts, die Entscheidungsbefugnis bezüglich etwaiger Impfungen …[A]s gemäß den entsprechenden Empfehlungen der STIKO auf den Vater zu übertragen, nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen des § 1628 Satz 1 BGB sind insoweit gegeben.

So liegt ein entsprechender Antrag eines Elternteils – hier des Kindesvaters – vor. Zudem handelt es sich bei der Durchführung von Schutzimpfungen um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung im Sinne der vorzitierten Norm (vgl. BGH, a.a.O., 2826 f., Rdnr. 17 ff.). Hinsichtlich der Frage, ob und in welchem Umfang ihre Tochter geimpft werden soll, können sich die Kindeseltern nicht einigen.

Der Antragsteller ist besser als die Antragsgegnerin geeignet, über die Durchführung der im Tenor des angefochtenen Beschlusses aufgezählten Impfungen des Kindes zu entscheiden. Insoweit ist maßgeblich darauf abzustellen, dass der Kindesvater Impfungen offen gegenübersteht und seine Haltung an den Empfehlungen der STIKO orientiert. Zentrale Bedeutung kommt bei der Bestimmung des Kindeswohls nämlich den körperlichen, geistigen und seelischen Eigenschaften sowie Bedürfnissen des Kindes zu (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 7. März 2016 – 4 UF 686/15 -, BeckRS 2016, 05270). Im Hinblick auf die verfahrensgegenständliche Entscheidung wird diesen Bedürfnissen am besten Rechnung getragen, insofern eine Impfung zum Ausschluss oder jedenfalls zur Abschwächung des Verlaufs gravierender und zum Teil nicht behandelbarer Erkrankungen nach dem allgemeinen Stand medizinischer Wissenschaft geboten erscheint (vgl. OLG Jena, a.a.O.). Hiervon ist hinsichtlich der von der STIKO empfohlenen Impfungen ohne weiteres auszugehen (vgl. OLG Jena, a.a.O.).

Zwar erfordert die Frage, ob einer bestimmten Impfung bei abstrakter Bewertung eine gesundheitserhaltende Schutzwirkung zugeschrieben werden kann oder aber Nachteile im Sinne unerwünschter Nebenwirkungen und Komplikationen überwiegen, medizinische Sachkunde und entzieht sich daher zunächst der eigenen Beantwortung durch den Senat. Gleichwohl ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens oder einer amtlichen Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts zur weiteren Aufklärung nicht veranlasst, weil dem Senat insoweit die Empfehlungen der STIKO als hinreichende Erkenntnisquelle zur Verfügung stehen und ihm ausreichenden Sachverstand vermitteln.

Anders als die Antragsgegnerin meint, stellen die aktuellen Empfehlungen der STIKO medizinischen Standard dar (vgl. BGH, NJW 2017, 2826, 2827, Rdnr. 25; 2000, 1784, 1787). Daran nimmt die den Empfehlungen zugrunde liegende Einschätzung teil, dass der Nutzen der jeweils empfohlenen Impfung das Impfrisiko überwiegt (vgl. BGH, a.a.O.). Die Empfehlungen werden nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft, insbesondere auf Grundlage von Informationen zur Wirksamkeit und Verträglichkeit ei-nes Impfstoffs und unter Einbeziehung einer epidemiologischen Nutzen-Risiko-Abwägung entwickelt sowie fortgeschrieben (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 7. März 2016 – 4 UF 686/15 -, BeckRS 2016, 05270). Zudem hat die STIKO als sachverständiges Gremium gemäß § 20 Abs. 2 Satz 3 IfSG die Aufgabe, Empfehlungen zur Durchführung von Schutzimpfungen und anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe übertragbarer Krankheiten zu geben sowie Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung zu entwickeln (vgl. BGH, NJW 2017, 2826, 2827, Rdnr. 25). Zweck des Infektionsschutzes ist es, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern (§ 1 Abs. 1 IfSG, vgl. BGH, a.a.O.). Impfungen dienen demnach dem Wohl des Einzelnen im Hinblick auf eine mögliche Erkrankung und in Bezug auf die Gefahr einer Weiterverbreitung dem Gemeinwohl (vgl. BGH, a.a.O.). Auch mit dem letztgenannten Aspekt haben sie einen Bezug zum Schutz des individuellen Kindeswohls, weil das Kind – wenn es etwa noch nicht im impffähigen Alter ist – von der Impfung anderer Menschen, insbesondere anderer Kinder, und der damit gesenkten Infektionsgefahr profitiert (vgl. BGH, a.a.O.).

Nach alledem kann der Senat ohne weiteres davon ausgehen, dass der Nutzen der Impfungen deren Risiken überwiegt. Die entsprechende Feststellung beruht bereits auf sachverständigen Erkenntnissen der hierfür eingesetzten Expertenkommission; der Einholung eines Sachverständigengutachtens oder gar einer amtlichen Auskunft des Paul-Ehrlich-Instituts bedurfte es im Rahmen der Amtsermittlung nach § 26 FamFG folglich nicht (vgl. BGH, a.a.O., Rdnr. 27). Da über die im Rahmen der Impfempfehlungen getroffene generelle Beurteilung hinaus im vorliegenden Fall keine einschlägigen Einzelfallumstände – wie etwa bei …[A] bestehende besondere Impfrisiken – vorliegen und der Senat in zulässiger Weise auf vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse – die aktuellen Empfehlungen der STIKO – zurückgegriffen hat, stellt das Absehen von einer solchen Beweisaufnahme keine Anmaßung eigener Sachkunde hinsichtlich medizinischer Fragen dar (vgl. BGH, a.a.O.).

Dass die Empfehlungen der STIKO umstritten sein mögen, ändert daran nichts (vgl. BGH, a.a.O., Rdnr. 26, m.w.N.). Dies gilt unabhängig davon, ob dieser Einwand näher spezifiziert wird oder nicht (vgl. BGH, a.a.O. – „[…] abgesehen von der mangelnden Spezifizierung […]“, Hervorhebung durch den Senat). Ob das Land Sachsen eine eigene Impfkommission (SIKO) eingerichtet hat und sich die Impfempfehlungen in den Ländern Europas deutlich unterscheiden, ist daher nicht von entscheidungserheblicher Relevanz.

Dies gilt umso mehr, als nicht in nachvollziehbarer Art und Weise dargetan ist, dass die Erkenntnisse der SIKO oder der Verfasser anderer Impfempfehlungen denjenigen der STIKO überlegen sein könnten.

Auch die seitens der Antragsgegnerin konkret im Einzelnen zitierten Publikationen vermögen es nicht, die Überzeugungskraft der STIKO-Empfehlungen zu erschüttern. Insbesondere kann insoweit der Einwand der Antragsgegnerin, die Empfehlungen fußten nicht auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage, nicht nachvollzogen werden.

Soweit Kalies/Siedler im Bundesgesundheitsblatt 11/2009 (S. 1011 ff.) beklagen, die in Deutschland verfügbaren Routinedaten reichten nicht aus, um die Wirksamkeit von Impfprogrammen evaluieren zu können, übersieht die Antragsgegnerin, dass diese Aussage sich eben ausschließlich auf die Aussagekraft verfügbarer Routinedaten bezieht. Die Empfehlungen der STIKO basieren indes gerade nicht lediglich auf derartigen Daten, sondern vielmehr auf einer umfassenden Datenbasis einschließlich sämtlicher relevanter – unter anderem mittels einer systematischen Literaturrecherche identifizierter und sodann im Einzelnen evidenzbewerteter – bereits existierender Studien (vgl. hierzu im Einzelnen die Standardvorgehensweise – SOP – der Ständigen Impfkommission – STIKO – für die systematische Entwicklung von Impfempfehlungen vom 10. November 2011, Version 3.0, Stand: 16. März 2016, abrufbar unter https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Aufgaben_Methoden/SOP.html). Dem entsprechend stellen auch Kalies/Siedler (a.a.O.) die Wirksamkeit zugelassener und empfohlener Impfstoffe nicht in Abrede. Ganz im Gegenteil heißt es eingangs der oben näher bezeichneten Publikation unter anderem:

„Impfungen sind effektive und auch kostengünstige Maßnahmen zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten.“

Auch die antragsgegnerseits zitierte Aussage von Hengel/v. Kries im Bundesgesundheitsblatt 11/2009 (S. 1003 ff.), die Klage über das Fehlen geeigneter Surveillanceprogramme, welche die Nebenwirkungen von Impfprogrammen kontinuierlich erfassten und so eine Steuerung allgemeiner Impfungen gestatteten, zöge sich wie ein roter Faden durch viele Beträge des entsprechenden Heftes, vermag es angesichts der oben aufgezeigten Standardvorgehensweise der STIKO nicht, die Validität der STIKO-Empfehlungen durchgreifend in Frage zu stellen. Denn auch insoweit ist lediglich ein Ausschnitt der entsprechenden Datengrundlage betroffen. Im Übrigen heißt es in dem entsprechenden Beitrag auch:

„[…] Die Instruktion des Immunsystems durch Impfen ist für das Individuum unbestreitbar von großem Vorteil.

[…]

Tatsächlich haben ja die Impfungen gegen Pocken, Polio, Masern, Diphtherie und Tetanus weltweit unvergleichliche Erfolge bewirkt.

[…]

Auf diese Weise hätte sich der individuelle und der gesellschaftliche Impfschutz – wie so oft in der jüngeren Geschichte der Medizin – als das Musterbeispiel erfolgreicher Präventivmedizin erwiesen.“

Auch Keller-Stanislawski/Hartmann (Bundesgesundheitsbl. 4/2002, 344 ff.), Keller-Stanislawski/Heuß/Meyer (Bundesgesundheitsbl. 12/2004, 1151 ff.) sowie Mentzer/Meyer/Keller-Stanislawski (Bundesgesundheitsbl. 9/2013, 1253 ff.) befassen sich in ihren seitens der Antragsgegnerin zitierten Publikationen ausschließlich mit der Aussagekraft der nach dem IfSG gemeldeten Verdachtsfälle von über das übliche Ausmaß hinausgehenden Impfreaktionen. Insoweit gilt das oben zu Kalies/Siedler, Bundesgesundheitsbl. 11/2009, 1011 ff., Ausgeführte entsprechend; hierauf wird – zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen – verwiesen.

Soweit die Antragsgegnerin weiter auf das epidemiologische Bulletin des Robert-Koch-Instituts Nr. 25/2007 vom 22. Juni 2007 verwiesen hat („Diese Hinweise entbinden den Arzt nicht davon, den Patienten individuell und entsprechend dem neuesten Stand der Wissenschaft aufzuklären, sondern sind als Hilfestellung zu verstehen.“), ist zunächst einmal anzumerken, dass dieses nicht mehr gültig ist. Die STIKO hat bezüglich der ärztlichen Aufklärungspflichten ihre Empfehlungen aktualisiert. Hinweise zu Art und Umfang der Aufklärung vor Schutzimpfungen finden sich nunmehr im Kapitel 4.1 „Aufklärungspflicht vor Schutzimpfungen“ der aktuellen STIKO-Impfempfehlungen. Im Übrigen ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Inhalt und Form einer jeden ärztlichen Impfaufklärung an den konkreten Umständen des Einzelfalles – und insoweit insbesondere an dem Verständnishorizont des konkreten Patienten bzw. Einwilligungsberechtigten sowie an individuellen Impfrisiken oder einem beim jeweiligen Patienten bestehenden besonderen Bedürfnis für eine bestimmten Impfung – auszurichten sind. Inwieweit dieser Grundsatz den Umstand in Frage zu stellen geeignet sein könnte, dass es sich bei den Impfempfehlungen der STIKO um wissenschaftliche Erkenntnisse im Sinne des medizinischen Standards handelt, ist nicht erkennbar.

Der vermeintliche Bericht des IOM aus dem Jahre 2012 ist im Übrigen bereits nicht näher spezifiziert. Auch insoweit ist zudem weder erkennbar, ob die dort behauptete Datenlage nach wie vor dem aktuellen Erkenntnisstand entspricht, noch ist ersichtlich, dass die Datenlage – sollte sie noch immer fortbestehen – bei der Erarbeitung der aktuellen STIKO-Empfehlungen und der in diesem Rahmen gebotenen Abwägung von Nutzen und Risiken in Rede stehender Impfungen nicht mitbedacht worden ist.

Im Übrigen ist sämtlichen antragsgegnerseits zitierten Publikationen eigen, dass diese auf einem mindestens ca. fünf Jahre alten Erkenntnisstand basieren. Mithin ist nicht ohne weiteres ersichtlich, inwieweit sie überhaupt geeignet sind, aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse in Frage zu stellen. Dies gilt umso mehr, als die STIKO erst im Jahre 2011 eine aktualisierte Version ihrer allgemeinen methodischen Vorgehensweise beschlossen und sich dann im Jahre 2013 entschieden hat, aufbauend auf medizinisch-epidemiologischen Analysen (Risiko-Nutzen-Bewertung) bei Bedarf auch Modellierungen und gesundheitsökonomische Evaluationen durchzuführen, um nicht nur effektive, sondern auch effiziente Impfstrategien entwickeln und deren Effekte sowohl auf die Krankheitsepidemiologie als auch auf die Kosten im Gesundheitssystem bzw. in der Gesellschaft prüfen zu können (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/Kommissionen/STIKO/Aufgaben_Methoden/methoden_node.html).

Der abstrakten seitens der STIKO vorgenommenen Nutzen-Risiko-Abschätzung stehen vorliegend – wie bereits erwähnt – keine Umstände des Einzelfalls entgegen, die eine abweichende Bewertung rechtfertigen würden. So fehlt es insbesondere an Hinweisen auf eine spezifische Disposition des Kindes, wie eine Unverträglichkeit bestimmter Impfstoffe oder sonstige Gegenindikationen, die das Risiko eines Impfschadens erhöhen und eine Neugewichtung erforderlich machen könnten. Ganz im Gegenteil hat …[A] jedenfalls nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin am 2. März 2012, am 12. Juli 2012 und am 30. April 2013 eine Grundimmunisierung gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis erhalten, und zwar offenbar ohne dass insoweit irgendwelche relevanten Komplikationen aufgetreten sind.

Nach alledem ist lediglich der Vollständigkeit halber ergänzend darauf hinzuweisen, dass ohne die hier in Rede stehenden Impfungen neben der Gesundheit …[A]s auch ihr Kontakt insbesondere zu ihrem Geschwisterkind und damit der frühzeitige Aufbau einer geschwisterlichen Beziehung zu diesem gefährdet ist. Denn der Vater und seine neue Ehefrau lehnen – für den Senat ohne weiteres nachvollziehbar – zum Schutz des Säuglings einen entsprechenden Kontakt mit …[A] ab. Damit wird der berechtigte Wunsch des Kindes, seinen Vater und dessen Familie besuchen zu können, vereitelt. …[A] hat sich infolgedessen im Gespräch mit ihrem Verfahrensbeistand traurig darüber gezeigt, den Vater und das neue Geschwisterkind nicht ungezwungen im häuslichen Rahmen sehen zu können. Sie hat in diesem Rahmen deutlich gemacht, wie schwierig die aktuelle Situation für sie ist, die sie noch nicht wirklich realistisch einschätzen kann. Auch dies spricht – zusätzlich – für eine bessere Eignung des Antragstellers, im Sinne des Kindeswohls zu entscheiden. Denn insoweit muss – wie der Verfahrensbeistand nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt hat – mangels individueller Impfrisiken im vorliegenden Fall davon ausgegangen werden, dass die Folgen des eingeschränkten Umgangs mit dem Vater oder dem Geschwisterchen für …[A] das größere Entwicklungsrisiko darstellen, als es die hier in Rede stehenden Impfungen täten.

Auch die antragsgegnerseits behauptete Grundimmunisierung des Kindes rechtfertigt keine Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Denn der Kindesvater hat diesbezüglich angekündigt, vor seiner Entscheidung über eine Impfung …[A]s den entsprechenden Impftiter bestimmen zu lassen und das Ergebnis dieser Untersuchung in den Prozess der Entscheidungsfindung einfließen zu lassen. Dass er dieser Ankündigung zuwider handeln wird, ist für den Senat nicht erkennbar und auch von der Antragsgegnerin nicht behauptet worden.

Die schriftliche Entscheidung beruht auf § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG. Bedenken gegen eine Beschwerdeentscheidung ohne mündliche Verhandlung haben die Beteiligten nicht erhoben. Von einer mündlichen Erörterung der Sache wären bei den vorliegend obwaltenden Gegebenheiten keine weitergehenden entscheidungserheblichen Erkenntnisse zu erwarten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG. Besondere Umstände, die es vorliegend rechtfertigen könnten, von der insoweit als Regelfall normierten Kostenfolge abzusehen, sind nicht ersichtlich.

Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf §§ 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG). Auch liegen die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO nicht vor; weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.

Insbesondere sind die hier entscheidungserheblichen Rechtsfragen allesamt bereits höchstrichterlich geklärt. Soweit die Anwendung bereits geklärter Rechtsgrundsätze auf den konkreten Einzelfall in Streit steht, ist zudem keine Weiterentwicklung verallgemeinerungsfähiger Rechtssätze zu erwarten (vgl. MünchKomm-Fischer, FamFG, 2. Aufl. 2013, § 70, Rdnr. 23).

Schlussendlich sieht der Senat auch keinerlei Veranlassung, dem Bundesgerichtshof Gelegenheit zu einer Korrektur seiner Rechtsprechung zu geben. Soweit diese auf den hier vorliegenden Fall anwendbar ist, hält der Senat sie – wie sich bereits aus den obigen Ausführungen ergibt – für zutreffend.

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