Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Wenn Erben streiten: Wann verjährt der Anspruch auf Zugewinnausgleich nach dem Tod?
- Der lange Weg durch die Instanzen: Was war geschehen?
- Die Kernfrage vor Gericht: War alles schon zu spät?
- Das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart: Ansprüche verjährt!
- Warum entschied das Gericht so? Die Verjährung im Detail
- Die Kosten des Verfahrens: Wer zahlt was?
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was ist ein Zugewinnausgleich und warum ist er bei einem Todesfall relevant?
- Wann beginnt die Verjährungsfrist für einen Zugewinnausgleichsanspruch nach dem Tod eines Ehepartners?
- Welche Rolle spielen Trennung oder ein Scheidungsantrag für den Zugewinnausgleich nach einem Todesfall?
- Welche genauen Informationen muss ich haben, damit die Verjährungsfrist für meinen Zugewinnausgleichsanspruch zu laufen beginnt?
- Was sollte ich tun, um einen Zugewinnausgleichsanspruch nach dem Tod meines Ehepartners rechtzeitig geltend zu machen?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 11 UF 123/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: OLG Stuttgart
- Datum: 10.02.2025
- Aktenzeichen: 11 UF 123/24
- Verfahrensart: Beschwerdeverfahren
- Rechtsbereiche: Familienrecht, Erbrecht, Verjährungsrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Die Schwester und Rechtsnachfolgerin der verstorbenen Ehefrau, die Auskunft über Vermögen und Zugewinnausgleich fordert.
- Beklagte: Die Rechtsnachfolgerin des verstorbenen Ehemanns, die die Forderungen der Antragstellerin ablehnt und sich auf Verjährung beruft.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Ein Ehepaar lebte getrennt. Der Ehemann starb nach Stellung eines Scheidungsantrags, die Ehefrau später. Deren Schwester forderte von der Rechtsnachfolgerin des Ehemanns Auskunft über Vermögen und Zugewinnausgleich.
- Kern des Rechtsstreits: Zentral war die Frage, ob die Ansprüche auf Auskunft und Zugewinnausgleich verjährt waren. Dies hing davon ab, wann die Verjährungsfrist nach dem Tod des Ehemanns zu laufen begann.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Gericht wies die Beschwerde der Antragstellerin im Wesentlichen zurück. Es bestätigte damit die erstinstanzliche Entscheidung, die Ansprüche auf Auskunft und Zugewinnausgleich als verjährt abwies. Lediglich die Kostenverteilung des erstinstanzlichen Verfahrens wurde geringfügig abgeändert.
- Begründung: Das Gericht bestätigte, dass die Ansprüche auf Auskunft und Zugewinnausgleich verjährt sind. Die Verjährungsfrist begann Ende 2019 zu laufen, da die verstorbene Ehefrau zu diesem Zeitpunkt alle wichtigen Fakten kannte oder kennen musste, die den Anspruch begründen. Ein Rechtsirrtum oder die Dauer des Erbscheinsverfahrens änderten nichts am Beginn der Verjährung.
- Folgen: Die Beklagte kann die Zahlung des Zugewinnausgleichs und die Auskunft dauerhaft verweigern, da die Ansprüche verjährt sind. Die Antragstellerin muss einen Großteil der Prozesskosten tragen.
Der Fall vor Gericht
Wenn Erben streiten: Wann verjährt der Anspruch auf Zugewinnausgleich nach dem Tod?
Wenn ein Ehepartner stirbt, geht es oft nicht nur um Trauer, sondern auch um handfeste finanzielle Fragen. Was passiert mit dem gemeinsam erwirtschafteten Vermögen, besonders wenn die Ehe bereits vor dem Tod zerrüttet war? Und wie lange hat der überlebende Partner oder dessen Erben Zeit, um mögliche Ansprüche geltend zu machen? Mit genau diesen Fragen musste sich das Oberlandesgericht Stuttgart in einem Beschluss vom 10. Februar 2025 (Az.: 11 UF 123/24) beschäftigen, als es um den sogenannten Zugewinnausgleich (ein finanzieller Ausgleich zwischen Ehepartnern bei Beendigung der Ehe über das während der Ehe erwirtschaftete Vermögen) und die Tücken der Verjährung (der Verlust der Möglichkeit, einen Anspruch gerichtlich durchzusetzen, weil eine bestimmte Frist abgelaufen ist) ging.
Der lange Weg durch die Instanzen: Was war geschehen?

Um die Entscheidung des Gerichts zu verstehen, müssen wir uns zunächst die Vorgeschichte anschauen, die etwas kompliziert ist, aber typisch für familiäre Auseinandersetzungen nach einem Todesfall sein kann.
Die Ehe und die Trennung
Im Mittelpunkt standen zwei Eheleute, nennen wir sie Ehefrau R. und Ehemann E. Sie hatten im Juni 2001 geheiratet und lebten im sogenannten gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Das bedeutet vereinfacht gesagt, dass das Vermögen, das jeder Ehepartner während der Ehe erwirtschaftet, zwar getrennt bleibt, aber im Falle einer Scheidung oder des Todes eines Partners ein finanzieller Ausgleich des während der Ehe erzielten Vermögenszuwachses (des Zugewinns) stattfindet. Die Ehe der beiden blieb kinderlos und spätestens seit 2005 lebten sie dauerhaft getrennt. Im April 2017 reichte der Ehemann E. beim Amtsgericht Ulm einen Scheidungsantrag ein (also den formellen Antrag bei Gericht, die Ehe aufzulösen). Dieser Antrag wurde der Ehefrau R. bzw. ihrem Anwalt zugestellt. Zu diesem Zeitpunkt wurde Ehefrau R. bereits von ihrer Schwester, der späteren Antragstellerin (das ist die Person, die vor Gericht einen Antrag stellt und etwas von einer anderen Person fordert), aufgrund einer Vollmacht vertreten.
Der Tod des Ehemannes und die erste Erbfolge
Kurz darauf, zwischen dem 4. und 5. August 2017, verstarb Ehemann E. Er hatte keine letztwillige Verfügung (also kein Testament oder Erbvertrag) hinterlassen. Daher trat die gesetzliche Erbfolge ein, bei der das Gesetz bestimmt, wer erbt. Sein Erbe wurde zunächst sein Bruder, O. N.
Streit um das Erbe und erste Forderungen
Nun begann der Streit. Im Nachlassverfahren, also dem Verfahren zur Klärung der Erbfolge, beantragte der Bruder O. N. im Januar 2018 einen Erbschein (ein amtliches Dokument, das bestätigt, wer Erbe geworden ist). Die noch lebende Ehefrau R. war damit nicht einverstanden. Sie meinte, ihr stehe als Ehefrau ebenfalls ein gesetzliches Erbrecht zu, das nicht durch den bloßen Scheidungsantrag des verstorbenen Mannes ausgeschlossen sei. Parallel dazu forderte Ehefrau R. im Mai 2018 den Bruder O. N. auf, Auskunft über das Vermögen ihres verstorbenen Mannes zu geben, um ihren möglichen Anspruch auf Zugewinnausgleich berechnen zu können.
Das Nachlassverfahren und der Erbschein
Das Nachlassgericht Ulm entschied im März 2019, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Erbscheins an den Bruder O. N. als Alleinerbe vorlagen. Es setzte die Ausstellung des Erbscheins aber zunächst aus. Die Ehefrau R. legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein, verlor aber vor dem Oberlandesgericht Stuttgart im Mai 2020. Der Erbschein für den Bruder O. N. wurde schließlich im September 2020 erteilt. Ehefrau R. verstarb im Oktober 2019. Ihre Schwester wurde ihre alleinige Rechtsnachfolgerin (das bedeutet, sie trat rechtlich in alle Rechte und Pflichten ihrer verstorbenen Schwester ein, auch in Bezug auf mögliche Ansprüche). Auch der Bruder O. N. verstarb später, im Januar 2023. Seine Erbin und damit neue Ansprechpartnerin für die Forderungen wurde die spätere Antragsgegnerin (die Person, gegen die sich der Antrag vor Gericht richtet).
Der neue Anlauf: Der Stufenantrag der Schwester
Fast vier Jahre nach dem Tod der Ehefrau R. und über sechs Jahre nach dem Tod des Ehemannes E. wurde die Schwester der Ehefrau R. (die Antragstellerin) im Dezember 2023 erneut aktiv. Sie reichte beim Amtsgericht Ulm einen sogenannten Stufenantrag ein. Ein Stufenantrag ist ein Antrag, der sozusagen auf mehreren Stufen aufgebaut ist:
- Zuerst wird Auskunft über das Vermögen des Verstorbenen zu verschiedenen Zeitpunkten (Heirat, Trennung, Tod) gefordert.
- Dann sollen Belege für diese Auskünfte vorgelegt werden.
- Falls nötig, sollen Gutachten zum Wert von Vermögensgegenständen (z.B. Immobilien) eingeholt werden.
- Schließlich soll die Richtigkeit der Auskünfte an Eides statt versichert werden.
- Und erst wenn all diese Informationen vorliegen, wird in der letzten Stufe die Zahlung des eigentlichen Zugewinnausgleichs gefordert.
Die Antragsgegnerin (die Erbin des Bruders des verstorbenen Ehemanns) meldete sich zunächst nicht rechtzeitig beim Gericht, weshalb ein Teilversäumnisbeschluss (eine vorläufige Entscheidung zugunsten der Antragstellerin, weil die Gegenseite nicht reagiert hat) erging. Dagegen legte die Antragsgegnerin aber fristgerecht Einspruch ein.
Die Kernfrage vor Gericht: War alles schon zu spät?
Vor dem Amtsgericht und später vor dem Oberlandesgericht ging es im Kern um eine einzige, aber entscheidende Frage: Waren die von der Schwester der verstorbenen Ehefrau geltend gemachten Ansprüche auf Auskunft und Zugewinnausgleich bereits verjährt? Wenn ja, dann wäre der gesamte Stufenantrag abzuweisen, egal ob die Ansprüche ursprünglich einmal bestanden haben. Besonders knifflig war dabei die Frage, wann genau die dreijährige Verjährungsfrist nach den aktuellen Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zu laufen begonnen hatte.
Die Schwester der verstorbenen Ehefrau argumentierte, die Verjährung sei noch nicht eingetreten. Schließlich sei die Erbfolge lange unklar gewesen, und erst mit der Entscheidung des Oberlandesgerichts im Mai 2020 über die Beschwerde ihrer Schwester sei klar gewesen, dass ihre Schwester nicht Erbin wurde und daher „nur“ einen Zugewinnausgleichsanspruch hatte. Vorher habe sie nicht sicher wissen können, gegen wen sie ihre Ansprüche richten müsse.
Die Antragsgegnerin sah das ganz anders: Die Schwester hätte schon viel früher, spätestens 2017 oder mit dem Beschluss des Nachlassgerichts 2019, alle nötigen Informationen gehabt, um ihre Ansprüche geltend zu machen. Dass sie vielleicht die rechtliche Situation falsch eingeschätzt habe, ändere nichts am Beginn der Verjährung. Zudem sei der Anspruch auch verwirkt (ein Rechtsverlust, der eintritt, wenn man sein Recht über lange Zeit nicht geltend macht und der andere darauf vertrauen durfte, dass nichts mehr kommt), weil auf das Auskunftsverlangen von 2018 nie mehr reagiert worden sei.
Das Amtsgericht Ulm wies die Anträge der Schwester komplett zurück. Es sah die Ansprüche als verjährt und verwirkt an. Dagegen legte die Schwester Beschwerde beim Oberlandesgericht Stuttgart ein.
Das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart: Ansprüche verjährt!
Das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) bestätigte im Wesentlichen die Entscheidung des Amtsgerichts. Die Richter entschieden, dass die Ansprüche auf Auskunft und Zugewinnausgleich tatsächlich verjährt waren. Der Stufenantrag der Schwester der verstorbenen Ehefrau hatte also keinen Erfolg. Lediglich bei der Verteilung der Kosten des ersten Verfahrens gab es eine kleine Korrektur.
Warum entschied das Gericht so? Die Verjährung im Detail
Die Begründung des OLG ist ein gutes Beispiel dafür, wie Juristen die Regeln zur Verjährung anwenden. Schauen wir uns das Schritt für Schritt an.
Was genau ist ein Zugewinnausgleich und wann entsteht der Anspruch?
Der Anspruch auf Zugewinnausgleich entsteht, wenn der Güterstand der Zugewinngemeinschaft beendet wird. Das ist normalerweise bei einer Scheidung der Fall, aber auch – und das war hier entscheidend – durch den Tod eines Ehegatten (§ 1371 Absatz 1 BGB).
Normalerweise würde der überlebende Ehegatte dann pauschal einen höheren Erbteil bekommen. Wenn der überlebende Ehegatte aber – wie hier die Ehefrau R. – nicht Erbe wird, kann er stattdessen den konkret berechneten Zugewinnausgleich fordern (§ 1371 Absatz 2 BGB).
Aber warum wurde Ehefrau R. nicht Erbin ihres Mannes? Das Gesetz (§ 1933 BGB) sagt: Das Erbrecht des überlebenden Ehegatten ist ausgeschlossen, wenn zur Zeit des Todes des Erblassers die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gegeben waren UND der Erblasser (also der Verstorbene) die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt hatte. Beides war hier der Fall: Ehemann E. hatte den Scheidungsantrag gestellt, und die Eheleute lebten seit vielen Jahren getrennt, was eine Voraussetzung für die Scheidung ist. Das hatten sowohl das Nachlassgericht als auch das OLG im Erbscheinsverfahren so gesehen.
Damit war klar: Ehefrau R. wurde nicht Erbin, aber ihr stand grundsätzlich ein Anspruch auf Zugewinnausgleich zu. Dieser Anspruch entstand mit dem Tod des Ehemannes E. am 05.08.2017 und ging nach ihrem eigenen Tod auf ihre Schwester, die Antragstellerin, über (§ 1922 BGB, die sogenannte Gesamtrechtsnachfolge, bei der Erben in alle Rechte und Pflichten des Verstorbenen eintreten). Der Anspruch richtete sich zunächst gegen den Bruder des Ehemannes, O. N., und nach dessen Tod gegen dessen Erbin, die Antragsgegnerin.
Die Crux mit der Verjährung: Wann beginnt die Frist zu laufen?
Die entscheidende Frage war nun: Wann begann die Verjährungsfrist für diesen Anspruch zu laufen? Ansprüche auf Zugewinnausgleich verjähren nach den allgemeinen Regeln in drei Jahren (§ 195 BGB). Wichtig ist hier: Eine frühere Sonderregel für den Zugewinnausgleich (§ 1378 Abs. 4 BGB alte Fassung), die andere Kriterien für den Verjährungsbeginn hatte, gilt seit 2010 nicht mehr.
Nach der aktuellen Regelung (§ 199 Absatz 1 BGB) beginnt die dreijährige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem zwei Voraussetzungen erfüllt sind:
- Der Anspruch muss entstanden sein.
- Der Gläubiger (also die Person, die den Anspruch hat, hier ursprünglich Ehefrau R.) muss von den Umständen, die den Anspruch begründen, UND von der Person des Schuldners (also gegen wen sich der Anspruch richtet) Kenntnis erlangt haben ODER ohne grobe Fahrlässigkeit (das bedeutet, die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt zu haben) hätte erlangen müssen.
Der Anspruch auf Zugewinnausgleich (und der damit verbundene Auskunftsanspruch) entstand, wie gesagt, mit dem Tod des Ehemannes E. am 05.08.2017. Knackpunkt war also die zweite Voraussetzung: die Kenntnis.
Die Bedeutung der Kenntnis für den Verjährungsbeginn
Was genau meint das Gesetz mit „Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände“? Das Gericht erklärte: Die Ehefrau R. (bzw. ihre Schwester als Vertreterin, deren Wissen ihr zugerechnet wird, ähnlich wie das Wissen eines Angestellten dem Chef zugerechnet werden kann, § 166 BGB) musste die Tatsachen kennen, die zur Beendigung des Güterstandes führten (Tod des Mannes) UND dass ihr Erbrecht ausgeschlossen war (wegen des Scheidungsantrags und der langjährigen Trennung).
Das OLG kam zu dem Schluss, dass diese Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis spätestens mit dem Beschluss des Nachlassgerichts Ulm vom 26. März 2019 vorlag. In diesem Beschluss hatte das Nachlassgericht ja bereits ausführlich dargelegt, warum der Bruder des Ehemannes Alleinerbe wird und die Ehefrau R. nicht. Auch wenn die Ehefrau R. mit dieser Entscheidung nicht einverstanden war und Beschwerde einlegte, so kannte sie doch ab diesem Zeitpunkt alle Tatsachen. Sie wusste vom Tod ihres Mannes, von der Zustellung des Scheidungsantrags und von der langjährigen Trennung. Sie wusste auch, dass das Nachlassgericht der Meinung war, sie sei nicht Erbin.
Das Gericht sagte, es wäre ihr schon 2019 zuzumuten gewesen, einen Stufenantrag auf Zugewinnausgleich gegen den Bruder des verstorbenen Ehemanns zu stellen. Dass sie dies nicht tat, wertete das Gericht als grob fahrlässig. Es reicht nämlich für den Verjährungsbeginn aus, wenn man eine Klage mit hinreichender Aussicht auf Erfolg erheben kann, auch wenn noch nicht jedes Detail geklärt ist oder man noch Zweifel hat.
Keine Rolle spielt der Rechtsirrtum oder das laufende Erbscheinsverfahren
Die Schwester der verstorbenen Ehefrau hatte argumentiert, sie oder ihre Schwester hätten die rechtliche Situation falsch eingeschätzt und auf den Ausgang des Erbscheinsverfahrens gewartet. Aber das Gericht stellte klar: Ein Rechtsirrtum, also eine falsche rechtliche Einschätzung, hindert den Beginn der Verjährung nicht. Es kommt darauf an, dass man die Tatsachen kennt. Ob man daraus die richtigen juristischen Schlüsse zieht, ist unerheblich. Man kann sich auch nicht darauf berufen, juristischer Laie zu sein, zumal Ehefrau R. und ihre Schwester anwaltlich vertreten waren und sich hätten beraten lassen können.
Auch dass das Erbscheinsverfahren noch lief und der Erbschein erst später ausgestellt wurde, änderte nichts am Verjährungsbeginn. Das Gesetz verlange seit der Gesetzesänderung 2010 nicht mehr, dass der Überlebende sicher weiß, dass er nicht Erbe geworden ist. Die Harmonisierung des Verjährungsrechts war das Ziel des Gesetzgebers. Dem Gläubiger wird zugemutet, auch bei einer noch nicht endgültig geklärten Erbsituation seine Ansprüche auf Zugewinnausgleich zu verfolgen, notfalls eben durch einen Stufenantrag, um erst einmal Auskunft zu erhalten.
Man muss auch nicht alle Einzelheiten zur genauen Berechnung des Anspruchs kennen. Es genügt, wenn man aufgrund der bekannten Tatsachen einen ausreichend aussichtsreichen Antrag stellen kann.
Die konkrete Berechnung: Ab wann lief die Uhr?
Das OLG folgerte: Spätestens mit der Entscheidung des Nachlassgerichts vom 26. März 2019 gab es für Ehefrau R. (bzw. ihre Vertreterin) keinen vernünftigen Grund mehr, an dem Ausschluss ihres Erbrechts und damit am Bestehen eines Zugewinnausgleichsanspruchs zu zweifeln. Sie wusste auch, gegen wen sich der Anspruch richtete: zunächst gegen den Bruder des Verstorbenen. Falls sie Miterbin geworden wäre (was aber nach dem Beschluss des Nachlassgerichts unwahrscheinlich war), hätte sie sich mit den anderen Erben auseinandersetzen müssen. Zudem war bereits 2018 ein Nachlasspfleger (eine vom Gericht bestellte Person zur Verwaltung des Nachlasses, wenn der Erbe z.B. unbekannt ist) eingesetzt worden, gegen den sie ebenfalls hätte klagen können.
Da die relevante Kenntnis also spätestens im Laufe des Jahres 2019 vorlag, begann die dreijährige Verjährungsfrist am Ende des Jahres 2019 zu laufen (§ 199 Abs. 1 BGB). Sie endete somit am 31. Dezember 2022.
Der Stufenantrag der Schwester der verstorbenen Ehefrau wurde aber erst am 29. Dezember 2023 bei Gericht eingereicht – also fast ein Jahr nach Ablauf der Verjährungsfrist. Damit war der Anspruch verjährt, und die Antragsgegnerin konnte die Leistung zu Recht verweigern (§ 214 Absatz 1 BGB).
Eine Hemmung der Verjährung (ein Zeitraum, in dem die Verjährungsuhr sozusagen anhält, z.B. während Verhandlungen) lag nicht vor. Ob die Ansprüche zusätzlich auch verwirkt waren, musste das Gericht nicht mehr entscheiden, da sie ohnehin verjährt waren.
Die Kosten des Verfahrens: Wer zahlt was?
Da die Schwester der verstorbenen Ehefrau mit ihren Ansprüchen in der Hauptsache sowohl vor dem Amtsgericht als auch vor dem Oberlandesgericht unterlegen war, musste sie grundsätzlich die Kosten beider Verfahren tragen. Eine kleine Ausnahme gab es: Die Kosten, die dadurch entstanden waren, dass die Antragsgegnerin sich zunächst nicht rechtzeitig beim Amtsgericht gemeldet hatte (sogenannte Kosten der Säumnis), musste die Antragsgegnerin selbst tragen. Aber das änderte nichts daran, dass die Beschwerde im Übrigen erfolglos war und die Schwester der verstorbenen Ehefrau die Hauptlast der Kosten zu tragen hatte. Der Verfahrenswert (der finanzielle Wert, um den gestritten wurde und nach dem sich die Gerichts- und Anwaltsgebühren richten) wurde auf 20.000 Euro festgesetzt.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Gericht entschied, dass Ansprüche auf Zugewinnausgleich nach dem Tod des Partners auch dann verjähren können, wenn noch über das Erbe gestritten wird. Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt zu laufen, sobald der überlebende Partner die wesentlichen Fakten kennt – unabhängig davon, ob er die rechtliche Lage richtig einschätzt oder noch auf den Ausgang eines Erbverfahrens wartet. Im konkreten Fall hätte die Witwe bereits 2019 aktiv werden müssen, als das Nachlassgericht entschied, dass sie nicht erbt, auch wenn sie gegen diese Entscheidung Widerspruch einlegte. Das Urteil zeigt, dass man bei Todesfällen in zerrütteten Ehen schnell handeln muss: Wer zu lange wartet und sich auf ungewisse Verfahrensausgänge verlässt, riskiert den Verlust seiner finanziellen Ansprüche durch Verjährung.
Befinden Sie sich in einer ähnlichen Situation? Fragen Sie unsere Ersteinschätzung an.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was ist ein Zugewinnausgleich und warum ist er bei einem Todesfall relevant?
Der Zugewinnausgleich ist ein Mechanismus im deutschen Familienrecht, der sicherstellt, dass das Vermögen, das Ehepartner während der Ehe gemeinsam erwirtschaftet oder hinzugewonnen haben, bei Beendigung der Ehe gerecht ausgeglichen wird. Die Zugewinngemeinschaft ist der gesetzliche Güterstand, der automatisch besteht, wenn Eheleute keinen Ehevertrag schließen und keine andere Regelung treffen. Im Kern geht es darum, dass der Ehepartner, der während der Ehe einen höheren Vermögenszuwachs (Zugewinn) erzielt hat, einen Teil dieses Zuwachses an den anderen Ehepartner abgibt.
Der Zugewinnausgleich als Vermögensausgleich
Stellen Sie sich vor, beide Ehepartner haben zu Beginn der Ehe ein gewisses Vermögen. Während der Ehe kann sich dieses Vermögen bei beiden verändern – es kann zunehmen oder abnehmen. Der Zugewinn ist der Betrag, um den das Endvermögen eines Ehepartners das Anfangsvermögen übersteigt. Am Ende der Ehe wird die Summe der Zugewinne beider Partner verglichen. Hat ein Partner einen höheren Zugewinn erzielt als der andere, muss er die Hälfte der Differenz an den anderen Partner ausgleichen. Dies stellt sicher, dass beide Partner vom gemeinsamen wirtschaftlichen Erfolg der Ehe profitieren.
Relevanz des Zugewinnausgleichs bei einem Todesfall
Ein Todesfall beendet die Ehe, genau wie eine Scheidung. Deshalb spielt der Zugewinnausgleich auch in diesem Fall eine wichtige Rolle. Es ist entscheidend zu verstehen, dass der Zugewinnausgleich ein eigenständiger finanzieller Anspruch ist, der neben dem Erbrecht besteht und davon zu unterscheiden ist.
Für den überlebenden Ehepartner gibt es zwei Wege, wie der Zugewinn beim Tod des anderen Ehepartners berücksichtigt werden kann:
- Pauschale Erhöhung des Erbteils (erbrechtliche Lösung): Dies ist der Regelfall und die vereinfachte Methode. Wenn der überlebende Ehepartner gesetzlicher Erbe wird, erhöht sich sein gesetzlicher Erbteil pauschal um ein Viertel. Dieser pauschale Ausgleich findet unabhängig davon statt, ob tatsächlich ein Zugewinn während der Ehe erzielt wurde oder nicht. Er soll den Zugewinnausgleich ohne komplizierte Berechnungen abwickeln und dem überlebenden Ehepartner eine stärkere erbrechtliche Position verschaffen.
- Konkreter Zugewinnausgleich (güterrechtliche Lösung): Diese Methode kommt zum Tragen, wenn der überlebende Ehepartner die Erbschaft ausschlägt, enterbt wurde oder wenn zum Zeitpunkt des Todes bereits ein Scheidungsverfahren lief. In diesen Fällen hat der überlebende Ehepartner einen eigenen Anspruch auf den tatsächlich berechneten Zugewinnausgleich. Dabei wird genau ermittelt, wie hoch der Zugewinn beider Ehepartner war, und der Ausgleichsanspruch wird präzise nach den gesetzlichen Regeln des Güterrechts berechnet. Dies ist besonders relevant, wenn der verstorbene Ehepartner während der Ehe einen deutlich höheren Vermögenszuwachs hatte und die pauschale Erhöhung des Erbteils für den überlebenden Partner nachteilig wäre.
Das Verständnis des Zugewinnausgleichs bei einem Todesfall ist wichtig, um zu erkennen, dass der überlebende Ehepartner möglicherweise nicht nur Erbe ist, sondern auch einen zusätzlichen finanziellen Anspruch hat, der sich aus dem während der Ehe erwirtschafteten Vermögen ergibt.
Wann beginnt die Verjährungsfrist für einen Zugewinnausgleichsanspruch nach dem Tod eines Ehepartners?
Die Verjährungsfrist für einen Zugewinnausgleichsanspruch beginnt nach dem Tod eines Ehepartners nicht zwingend mit dem Todestag selbst. Vielmehr hängt der Beginn der Frist von bestimmten Voraussetzungen ab, die für juristische Laien oft missverständlich sind.
Die Regel: Drei Jahre bei Kenntnis
Grundsätzlich beträgt die reguläre Verjährungsfrist für einen Zugewinnausgleichsanspruch drei Jahre. Diese Frist beginnt aber erst, wenn der Gläubiger, also derjenige, der den Anspruch geltend machen möchte (z.B. der überlebende Ehepartner),
- Kenntnis von der Person des Schuldners hat (also weiß, wer den Anspruch zahlen müsste, z.B. die Erben des verstorbenen Partners)
- und Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen hat. Das bedeutet, der Gläubiger muss wissen, dass ein Zugewinnausgleich überhaupt in Betracht kommt und welche grundlegenden Fakten diesen Anspruch begründen könnten.
Für Sie bedeutet das: Selbst wenn ein Ehepartner verstorben ist, beginnt die dreijährige Frist für den Zugewinnausgleichsanspruch des überlebenden Partners oft erst dann, wenn dieser ausreichend über die Vermögensverhältnisse des Verstorbenen informiert ist, um seinen Anspruch überhaupt prüfen und verfolgen zu können. Dies kann also deutlich später als der Todestag sein, beispielsweise wenn erst durch die Einsicht in Unterlagen oder das Zusammentragen von Informationen die relevanten Details bekannt werden.
Die Höchstfrist: 30 Jahre
Unabhängig von der Kenntnis der Umstände gibt es eine absolute Höchstfrist, nach der ein Zugewinnausgleichsanspruch spätestens verjährt. Diese beträgt 30 Jahre und beginnt in der Regel mit der Beendigung des Güterstandes, also spätestens mit dem Tod des Ehepartners. Selbst wenn keine Kenntnis über die Umstände vorliegt, kann der Anspruch nach 30 Jahren ab dem Todestag nicht mehr geltend gemacht werden. Diese Höchstfrist dient der Rechtssicherheit.
Welche Rolle spielen Trennung oder ein Scheidungsantrag für den Zugewinnausgleich nach einem Todesfall?
Wenn ein Ehepartner stirbt, während die Ehe noch besteht, hat der überlebende Ehepartner grundsätzlich Anspruch auf einen Ausgleich des während der Ehe gemeinsam erwirtschafteten Vermögens, den sogenannten Zugewinnausgleich. Dieser wird im Todesfall auf eine besondere Weise geregelt.
Der Regelfall: Zugewinnausgleich als Teil des Erbes
Im Normalfall, also wenn keine Scheidungsabsicht oder ein Scheidungsantrag vorlag, wird der Zugewinnausgleich automatisch als Teil des Erbes des überlebenden Ehepartners berücksichtigt. Das bedeutet, das gesetzliche Erbe des überlebenden Ehepartners erhöht sich pauschal um ein Viertel der Erbschaft, zusätzlich zu seinem eigentlichen gesetzlichen Erbteil. Dies ist der sogenannte pauschale Zugewinnausgleich. Er wird gewährt, ohne dass das während der Ehe tatsächlich erwirtschaftete Vermögen (der Zugewinn) der Ehepartner im Detail berechnet werden muss.
Was Trennung allein bedeutet
Eine bloße Trennung der Ehepartner, auch über längere Zeit, ändert an dieser grundsätzlichen Regelung zunächst nichts. Solange kein offizieller Scheidungsantrag gestellt wurde oder die Voraussetzungen für eine Scheidung auf andere Weise gerichtlich festgestellt wurden, bleibt der überlebende Ehepartner in der Regel erbberechtigt und erhält den pauschalen Zugewinnausgleich als Teil seines Erbes. Die Ehe gilt rechtlich weiterhin als bestehend, selbst wenn die Ehepartner physisch getrennt leben.
Die entscheidende Rolle eines Scheidungsantrags
Die Situation ändert sich jedoch maßgeblich, wenn zum Zeitpunkt des Todes bereits ein Scheidungsantrag wirksam gestellt wurde und die rechtlichen Voraussetzungen für eine Scheidung gegeben waren (zum Beispiel, wenn die Ehe als zerrüttet galt).
Konsequenzen eines Scheidungsantrags bei Todesfall
Ist ein solcher Scheidungsantrag gestellt und sind die Scheidungsvoraussetzungen erfüllt, greifen andere Regeln:
- Kein pauschaler Zugewinnausgleich im Erbe: Der überlebende Ehepartner erhält dann nicht mehr den pauschalen Zugewinnausgleich als automatischen Zuschlag zum Erbe. Der pauschale Ausgleich von einem Viertel entfällt.
- Anspruch auf konkreten Zugewinnausgleich: Stattdessen kann der überlebende Ehepartner den tatsächlichen Zugewinnausgleich fordern. Hierbei wird genau berechnet, wie viel jeder Ehepartner während der Ehe an Vermögen hinzugewonnen hat. Derjenige, der weniger Zugewinn hatte, hat dann einen Anspruch auf die Hälfte der Differenz vom Partner, der mehr Zugewinn erzielt hat. Dieser Anspruch besteht unabhängig vom Erbrecht und wird als Geldforderung gegen die Erben des verstorbenen Ehepartners geltend gemacht.
- Ausschluss des Erbrechts: Unter bestimmten Voraussetzungen, wenn die Scheidungsvoraussetzungen erfüllt waren und der verstorbene Ehepartner die Scheidung beantragt hatte oder ihr zugestimmt hatte, kann der überlebende Ehepartner sogar sein gesetzliches Erbrecht verlieren. Dies kann dazu führen, dass der überlebende Ehepartner gar nichts erbt, es sei denn, der Verstorbene hat ihn in einem Testament anders bedacht. Er müsste seinen konkreten Zugewinnausgleichsanspruch dann gesondert bei den Erben einfordern.
Die Frage, ob zum Zeitpunkt des Todes bereits ein Scheidungsantrag gestellt war und welche Voraussetzungen erfüllt waren, ist daher entscheidend dafür, welche Art von Anspruch der überlebende Ehepartner auf das Vermögen des Verstorbenen hat: Ist es ein Anspruch im Rahmen des Erbes (pauschaler Zugewinnausgleich und gesetzliches Erbrecht) oder ein gesonderter Anspruch auf den konkreten Zugewinnausgleich, möglicherweise ohne Erbrecht.
Welche genauen Informationen muss ich haben, damit die Verjährungsfrist für meinen Zugewinnausgleichsanspruch zu laufen beginnt?
Die Verjährungsfrist für einen Zugewinnausgleichsanspruch beginnt grundsätzlich erst dann zu laufen, wenn die berechtigte Person, also Sie als Gläubigerin oder Gläubiger, Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners erlangt haben oder diese Kenntnis ohne grobe Fahrlässigkeit hätten erlangen müssen.
Die erforderliche Kenntnis
Es ist nicht notwendig, dass Sie alle Details des Zugewinnausgleichs oder den genauen Betrag des Anspruchs kennen. Entscheidend ist vielmehr, dass Ihnen die wesentlichen Tatsachen bekannt sind, die Ihren Anspruch begründen.
- Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände: Dies bedeutet, dass Sie wissen müssen, dass die Ehe geschieden wurde (denn erst mit Rechtskraft der Scheidung entsteht der Anspruch überhaupt) und dass während der Ehe ein Zugewinn erzielt wurde, der einen Ausgleichsanspruch rechtfertigen könnte. Sie müssen also wissen, dass es Vermögenswerte gab, die im Laufe der Ehe angewachsen sind oder hinzukamen und die möglicherweise zu einem Ungleichgewicht im Vermögenszuwachs geführt haben. Es genügt, wenn Sie die „Eckdaten“ kennen, die eine Forderung plausibel erscheinen lassen.
- Kenntnis der Person des Schuldners: Sie müssen wissen, wer Ihr ehemaliger Ehepartner ist, gegen den sich der Anspruch richtet. Dies ist in der Regel unproblematisch, da Sie die Identität Ihres Ehepartners kennen.
Was ist „grob fahrlässige Unkenntnis“?
Die Frist kann auch dann beginnen, wenn Sie die notwendigen Informationen nicht tatsächlich hatten, sie aber ohne grobe Fahrlässigkeit hätten erlangen müssen. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn Sie grundlegende und naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das, was jeder hätte erkennen müssen, außer Acht gelassen haben. Stellen Sie sich vor, relevante Vermögensverhältnisse waren offensichtlich oder hätten mit minimalem Aufwand in Erfahrung gebracht werden können, Sie haben dies aber bewusst ignoriert oder übersehen. In solchen Fällen wird unterstellt, dass Sie die Kenntnis hatten, obwohl dies faktisch nicht der Fall war.
Die Bedeutung eines Rechtsirrtums
Ein Irrtum über die rechtliche Bewertung der bekannten Tatsachen hat keinen Einfluss auf den Beginn der Verjährungsfrist. Das bedeutet: Selbst wenn Sie alle relevanten Fakten kennen, aber fälschlicherweise glauben, dass daraus kein Zugewinnausgleichsanspruch entsteht oder Ihr Anspruch bereits verjährt ist, beginnt die Verjährungsfrist trotzdem zu laufen. Ihre persönliche (falsche) rechtliche Einschätzung schützt Sie nicht vor dem Verjährungsbeginn. Es ist entscheidend, die Tatsachen zu kennen, nicht die genaue juristische Einordnung.
Für Sie ist es wichtig zu verstehen, dass die Verjährung eine sehr komplexe Materie sein kann und die Kenntnis der bloßen Fakten bereits ausreicht, um den Fristlauf auszulösen, selbst wenn die rechtliche Konsequenz nicht vollständig durchdrungen wird.
Was sollte ich tun, um einen Zugewinnausgleichsanspruch nach dem Tod meines Ehepartners rechtzeitig geltend zu machen?
Nach dem Tod eines Ehepartners kann die Frage nach einem möglichen Zugewinnausgleichsanspruch aufkommen. Dieser Anspruch stellt eine finanzielle Beteiligung am während der Ehe erwirtschafteten Vermögenszuwachs des verstorbenen Ehepartners dar. Für die Geltendmachung ist die Einhaltung bestimmter Fristen von großer Bedeutung, da der Anspruch andernfalls verjähren könnte.
Die Bedeutung der Fristen
Ein Anspruch auf Zugewinnausgleich, der durch den Tod eines Ehepartners entsteht, unterliegt einer gesetzlichen Verjährungsfrist von drei Jahren. Diese Frist beginnt am Ende des Jahres, in dem der überlebende Ehepartner vom Tod des Partners und der Existenz des Anspruchs Kenntnis erlangt hat. Unabhängig von der Kenntnis verjährt der Anspruch spätestens 30 Jahre nach dem Tod. Es ist entscheidend, innerhalb dieser Frist aktiv zu werden, um den Anspruch nicht zu verlieren.
Frühzeitige Informationsbeschaffung
Um einen Zugewinnausgleichsanspruch berechnen zu können, sind umfassende Informationen über das Vermögen des verstorbenen Ehepartners notwendig. Hierzu zählen in der Regel Angaben zum Anfangs- und Endvermögen. Das Anfangsvermögen ist das Vermögen zu Beginn der Ehe, das Endvermögen das Vermögen zum Zeitpunkt der Beendigung der Ehe (hier: durch den Tod). Solche Informationen sind für den überlebenden Ehepartner oft nicht ohne Weiteres zugänglich.
Der Stufenantrag als Instrument
Um die notwendigen Informationen zu erhalten und gleichzeitig den Anspruch rechtzeitig zu sichern, wird häufig ein Stufenantrag genutzt. Dieses gerichtliche Vorgehen ist in mehreren Schritten aufgebaut:
- Auskunftsstufe: Zunächst wird gerichtlich die Auskunft über das Vermögen des verstorbenen Ehepartners verlangt. Dies umfasst in der Regel eine detaillierte Auflistung des Anfangs- und Endvermögens mit Belegen.
- Wertermittlungsstufe: Basierend auf den erhaltenen Informationen kann gegebenenfalls die Wertermittlung einzelner Vermögensgegenstände, wie Immobilien oder Unternehmensanteile, eingefordert werden.
- Zahlungsstufe: Erst wenn alle notwendigen Informationen vorliegen und der Zugewinn berechnet werden konnte, wird der eigentliche Zahlungsanspruch geltend gemacht.
Der Vorteil eines Stufenantrags liegt darin, dass bereits mit der ersten Stufe (der Auskunftsklage) die Verjährung des gesamten Zugewinnausgleichsanspruchs gehemmt wird. Das bedeutet, die Verjährungsfrist läuft während des Verfahrens nicht weiter. Dies bietet dem überlebenden Ehepartner die notwendige Zeit, alle relevanten Daten zu sammeln und den Anspruch umfassend zu prüfen, ohne die Frist zu versäumen.
Warum frühzeitiges Handeln wichtig ist
Das Abwarten, beispielsweise bis die Erbfolge vollständig geklärt ist oder alle Vermögenswerte des Nachlasses bekannt sind, kann dazu führen, dass wertvolle Zeit verstreicht und die Verjährungsfrist ungenutzt abläuft. Einmal verjährt, kann der Anspruch in der Regel nicht mehr erfolgreich durchgesetzt werden. Ein frühzeitiges Vorgehen durch die Einleitung der notwendigen Schritte sichert den Anspruch und schafft Klarheit über die finanzielle Situation.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Zugewinnausgleich
Der Zugewinnausgleich ist ein finanzieller Anspruch zwischen Ehepartnern, der entsteht, wenn die Ehe endet – durch Scheidung oder Tod eines Partners. Dabei wird das Vermögen, das jeder Ehepartner während der Ehe erworben oder vermehrt hat, verglichen. Derjenige, der mehr Zugewinn erzielt hat, muss dem anderen die Hälfte der Differenz ausgleichen (§ 1371 BGB). Bei Tod eines Ehepartners kann der überlebende Ehegatte entweder einen pauschalen Mehranteil am Erbe erhalten oder, wenn er nicht Erbe wird, einen konkret berechneten Ausgleich verlangen.
Beispiel: Wenn Ehepartner A während der Ehe 50.000 Euro mehr Vermögen erwirtschaftet hat als Ehepartner B, muss A 25.000 Euro an B zahlen.
Verjährung
Verjährung bedeutet, dass ein Anspruch – zum Beispiel auf Zugewinnausgleich – nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr gerichtlich durchsetzbar ist (§ 194 ff. BGB). Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre (§ 195 BGB), sie beginnt jedoch erst, wenn der Gläubiger Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und von der Person des Schuldners erlangt hat (§ 199 Abs. 1 BGB). Verjährung dient der Rechtssicherheit, indem alte Ansprüche nicht unbegrenzt geltend gemacht werden können.
Beispiel: Weiß jemand erst später, gegen wen und auf welcher Grundlage er Geld verlangen kann, beginnt die Frist erst dann zu laufen.
Gesamtrechtsnachfolge
Die Gesamtrechtsnachfolge bedeutet, dass nach dem Tod einer Person deren Rechte und Pflichten automatisch auf eine andere Person übergehen (§ 1922 BGB). So tritt die Erbin oder der Erbe in alle rechtlichen Positionen des Verstorbenen ein, etwa auch in dessen Forderungen und Verbindlichkeiten. Im vorliegenden Fall übernahm die Schwester der verstorbenen Ehefrau deren Ansprüche, darunter den Zugewinnausgleichsanspruch.
Beispiel: Wenn eine Mutter stirbt, gehen ihre Geldforderungen gegen Dritte auf ihre Tochter über.
Stufenantrag
Ein Stufenantrag ist ein gerichtlicher Antrag, der in mehreren aufeinanderfolgenden Schritten gestellt wird, um zunächst Informationen vom Gegner zu erhalten und dann erst die eigentliche Leistung zu fordern. Im Zugewinnausgleichsverfahren dient er dazu, zunächst Auskunft über Vermögenswerte zu verlangen, danach deren Bewertung zu erhalten und schließlich die Zahlung des Ausgleichsbetrags einzufordern. Durch diesen gestuften Ablauf wird sichergestellt, dass der Anspruch auf Zugewinnausgleich trotz komplexer Vermögensklärung rechtzeitig geltend gemacht wird.
Beispiel: Zuerst fordert man vom Erben eine Aufstellung des Vermögens, dann Unterlagen zur Bewertung, anschließend eine bezifferte Forderung.
grobe Fahrlässigkeit
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn jemand die einfache Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich schwerem Maße verletzt und offensichtlich wichtige Tatsachen nicht beachtet, die jeder hätte erkennen müssen (§ 276 BGB). Im Kontext der Verjährung bedeutet das, dass die Verjährungsfrist auch dann beginnt zu laufen, wenn der Anspruchsberechtigte wichtige Informationen nicht eingeholt hat, obwohl er dazu in der Lage gewesen wäre. Die Verjährung beginnt also nicht erst, wenn man tatsächlich Bescheid weiß, sondern auch, wenn man bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte wissen müssen.
Beispiel: Wenn jemand trotz offensichtlicher Hinweise nicht prüft, wer Schuldner einer Forderung ist, gilt das als grobe Fahrlässigkeit.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 1371 BGB (Zugewinnausgleich bei Auflösung der Ehe): Regelt den Anspruch auf Zugewinnausgleich bei Beendigung der Ehe durch Scheidung oder Tod. Der überlebende Ehegatte erhält dabei entweder einen erhöhten Erbteil oder – wenn er nicht Erbe wird – einen Ausgleichsanspruch. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Ehefrau R. wurde aufgrund des eingeleiteten Scheidungsverfahrens nicht Erbin, hat aber Anspruch auf Zugewinnausgleich; dieser Anspruch wurde auf ihre Schwester übertragen.
- § 1933 BGB (Ausschluss des Erbrechts bei bestehenden Scheidungsgründen): Schließt das gesetzliche Erbrecht des überlebenden Ehegatten aus, wenn die Scheidungsgründe vorliegen und der Scheidungsantrag gestellt oder zugestimmt wurde. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Verhindert das Erbrecht von Ehefrau R., da Ehemann E. die Scheidung beantragt hatte und sie getrennt lebten, was den Zugewinnausgleichsanspruch begründet.
- § 199 Abs. 1 BGB (Beginn der Verjährungsfrist): Bestimmt, dass die dreijährige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht setzte den Beginn der Verjährung auf Ende 2019, da zu diesem Zeitpunkt alle relevanten Tatsachen bekannt waren, womit der Anspruch 2022 verjährte.
- § 195 BGB (Regelmäßige Verjährungsfrist): Legt fest, dass die Verjährungsfrist für Ansprüche grundsätzlich drei Jahre beträgt. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Anspruchsdauer für Zugewinnausgleich und Auskunft betrug drei Jahre und war zum Zeitpunkt des Antrags der Schwester bereits abgelaufen.
- § 1922 BGB (Gesamtrechtsnachfolge): Regelt, dass die Erben in die Rechte und Pflichten des Erblassers eintreten, einschließlich der etwaigen Ansprüche. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Schwester der verstorbenen Ehefrau trat in deren Rechte ein und konnte somit den Anspruch auf Zugewinnausgleich geltend machen.
- § 214 Abs. 1 BGB (Hemmung und Erlöschen der Ansprüche durch Verjährung): Bestimmt, dass ein Anspruch nicht mehr durchsetzbar ist, wenn er verjährt ist, es sei denn, die Verjährung wurde wirksam unterbrochen oder gehemmt. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Antragsgegnerin konnte die Zahlung des Zugewinnausgleichs verweigern, da der Anspruch verjährt war und keine Hemmung vorlag.
Das vorliegende Urteil
OLG Stuttgart – Az.: 11 UF 123/24 – Beschluss vom 10.02.2025
* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.