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Impfung gegen COVID-19 bei einem 12-jährigen Kind

AG Siegburg – Az.: 315 F 22/21 – Beschluss vom 01.12.2021

Die Entscheidung über die Durchführung einer Impfung gegen COVID-19 (Corona Virus Disease 2019) für das Kind A, geboren am XXX, wird auf die Antragstellerin und Kindesmutter übertragen.

Die Gerichtskosten tragen die Antragstellerin und der Antragsgegner jeweils zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.

Der Verfahrenswert wird auf 4.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern leben getrennt. Ihre inzwischen 12-jährige Tochter A wohnt im Haushalt der Mutter. Dort leben auch ihr Stiefvater und ihre beiden jüngeren Halbgeschwister.

Zwischen den Eltern besteht Uneinigkeit, ob A gegen COVID-19 (Corona Virus Disease 2019) geimpft werden soll. Während sich ihre Mutter unter Hinweis auf die aktuelle Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) beim Robert-Koch-Institut für eine solche Impfung ausspricht, wendet sich ihr Vater gegen eine solche Impfung unter anderem mit der Begründung, dass mögliche Langzeitwirkungen des empfohlenen Impfstoffes bislang unbekannt seien und die gesundheitlichen Risiken der Impfung derzeit deren Nutzen überstiegen. Zudem zweifele er daran, dass die Impfquote Einfluss auf das (weitere) Infektionsgeschehen in der Bevölkerung habe.

Die Mutter beantragt deshalb, ihr die alleinige Entscheidungsbefugnis zur Impfung von A gegen COVID-19 zu übertragen.

Sowohl das Jugendamt als auch der Verfahrensbeistand verweisen auf den inzwischen gefestigten Wunsch von A, geimpft zu werden. Insoweit wird auf ihre Berichte vom 20.10.2021 und 28.10.2021 verwiesen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf das schriftliche Vorbringen der Beteiligten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

II.

Impfung gegen COVID-19 bei einem 12-jährigen Kind
(Symbolfoto: Prostock-studio/Shutterstock.com)

Die Entscheidung beruht auf § 1628 S. 1 BGB.

Können sich die Eltern in einer einzelnen Angelegenheit oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten der elterlichen Sorge, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, nicht einigen, so kann das Familiengericht gemäß § 1628 BGB auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung einem Elternteil übertragen.

Zu den einzelnen Angelegenheiten, in denen einem Elternteil die alleinige Entscheidungsbefugnis eingeräumt werden kann, gehört generell die Entscheidung über die Durchführung von Schutzimpfungen (BGH, Beschluss vom 03.05.2017 – XII ZB 157/16, FamRZ 2017, 1057 ff., juris Rn. 20; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.08.2021 – 6 UF 120/21, FamRZ 2021, 1533 ff., juris Rn. 19; OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.03.2021 – 6 UF 3/21, NJW 2021, 2051 f., juris Rn. 7; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 02.06.2015 – 18 UF 117/15, juris Rn. 9).

Davon ausgehend ist die gegenseitige Blockierung der Eltern durch die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil zu beseitigen oder durch Zurückweisung des Antrags die Angelegenheit beim gegenwärtigen Zustand zu belassen (BGH, Beschluss vom 03.05.2017 – XII ZB 157/16, FamRZ 2017, 1057 ff., juris Rn. 14). Die aufgrund § 1628 BGB zu treffende Entscheidung des Familiengerichts richtet sich gemäß § 1697 a BGB nach dem Kindeswohl. Die Entscheidungsbefugnis ist dem Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird. Wenn eine Bewahrung des gegenwärtigen Zustands als die bessere Konfliktlösung erscheint, genügt es, den Antrag zurückzuweisen. Ob und inwiefern das Kindeswohl berührt ist, ist nach der Eigenart der zu regelnden Angelegenheit zu beurteilen, aus der sich auch die konkreten Anforderungen an die für die Entscheidung nach § 1628 BGB zu treffende Prüfung ergeben (BGH, Beschluss vom 03.05.2017 – XII ZB 157/16, FamRZ 2017, 1057 ff., juris Rn. 15). Handelt es sich um eine Angelegenheit der Gesundheitssorge, so ist die Entscheidung zugunsten des Elternteils zu treffen, der im Hinblick auf die jeweilige Angelegenheit das für das Kindeswohl besser Konzept verfolgt (BGH, Beschluss vom 03.05.2017 – XII ZB 157/16, FamRZ 2017, 1057 ff., juris Rn. 29; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.08.2021 – 6 UF 120/21, FamRZ 2021, 1533 ff., juris Rn. 20; OLG Frankfurt, Beschluss vom 08.03.2021 – 6 UF 3/21, NJW 2021, 2051 f., juris Rn. 8).

Nach diesem Maßstab ist der Mutter die alleinige Entscheidungsbefugnis zur Durchführung einer Impfung von A gegen COVID-19 zu übertragen, da sie sich – anders als der Vater – an den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission orientiert. Die Entscheidungsbefugnis ist grundsätzlich demjenigen Elternteil zu übertragen ist, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut befürwortet, soweit bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorliegen:

Die Kommission ist beim Robert-Koch-Institut eingerichtet. Sie hat als sachverständiges Gremium gemäß § 20 Abs. 2 Satz 3 IFSG die Aufgabe, Empfehlungen zur Durchführung von Schutzimpfungen und anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe übertragbarer Krankheiten zu geben und Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung zu entwickeln. Zweck des Infektionsschutzes ist es, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern (vgl. § 1 Abs. 1 IFSG). Impfungen dienen demnach dem Wohl des Einzelnen im Hinblick auf eine mögliche Erkrankung und in Bezug auf die Gefahr einer Weiterverbreitung dem Gemeinwohl. Auch mit dem letztgenannten Aspekt haben sie einen Bezug zum Schutz des individuellen Kindeswohls, weil das Kind – wenn es etwa noch nicht im impffähigen Alter ist – von der Impfung anderer Menschen, insbesondere anderer Kinder, und der damit gesenkten Infektionsgefahr profitiert. Die Impfempfehlungen der STIKO sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als medizinischer Standard anerkannt worden. Daran nimmt die den Empfehlungen zugrunde liegende Einschätzung teil, dass der Nutzen der jeweils empfohlenen Impfung das Impfrisiko überwiegt (BGH, Beschluss vom 03.05.2017 – XII ZB 157/16, FamRZ 2017, 1057 ff., juris Rn. 24 – 25; ebenso für die Impfung gegen Covid-19 OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.08.2021 – 6 UF 120/21, FamRZ 2021, 1533 ff., juris Rn. 21 f.).

Ausweislich der aktuellen Empfehlung der Ständigen Impfkommission vom 29.11.2021 (Beschluss der STIKO zur 14. Aktualisierung der COVID-19-Impfempfehlung, Epid Bull 2021;48:3 -14 | DOI 10.25646/9326) wird die Impfung gegen COVID-19 mit dem mRNA-Impfstoff Comirnaty für die Altersgruppe der Kinder ab dem 12. Lebensjahr empfohlen. Durch die Impfung von Kindern und Jugendlichen ab 12 Jahren sollen COVID-19-Erkrankungen und Hospitalisierungen in dieser Altersgruppe sowie denkbare Langzeitfolgen der SARS-CoV-2-Infektion verhindert werden. Zusätzliches Ziel ist es, auch indirekte Folgen von SARS-CoV-2-Infektionen zu reduzieren, wie z.B. Isolations- und Quarantänephasen.

Besondere Impfrisiken, die bei A aufgrund von bekannten Vorerkrankungen zu berücksichtigen wären, sind nicht bekannt.

Zudem ist bei der nach § 1697 a BGB vorzunehmenden Kindeswohlprüfung zu berücksichtigen, dass A selbst sich einen Impfschutz gegen Covid-19 wünscht und es sich hierbei um einen ihrem Alter entsprechend autonom entwickelten Kindeswillen handelt. Im Rahmen ihrer gemäß § 159 Abs. 1 FamFG am 29.11.2021 durchgeführten Anhörung hat sie diesen Wunsch deutlich zum Ausdruck gebracht und zur Begründung angeführt, dass viele ihrer Klassenkameraden und befreundeten Kinder inzwischen geimpft seien und sie festgestellt habe, dass es ihnen gut gehe. Sie selbst wünsche sich aufgrund dieser Beobachtungen ebenfalls einen Impfschutz, der ihr Sicherheit in der Schule und im Alltag gebe.

Sowohl das Jugendamt als auch der Verfahrensbeistand berichten in diesem Zusammenhang, dass A sich in den zurückliegenden Wochen altersentsprechend mit den Argumenten für und gegen eine Impfung auseinander gesetzt und eine Entwicklung durchlaufen habe. Das von ihr formulierte Sicherheitsbedürfnis sei deshalb sehr ernst zu nehmen und als gewichtiges Argument für die Durchführung einer Impfung anzusehen.

Die vom Vater vorgetragenen Bedenken gegen die Durchführung einer Impfung gegen COVID-19 stellen keine Gründe dar, aufgrund derer der Antrag der Mutter zurückzuweisen wäre. Einerseits übergeht er bei seiner Argumentation den geäußerten Kindeswillen und verliert den Blick auf die Befindlichkeiten und Bedürfnisse seiner Tochter. Andererseits zweifelt er an der Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission und schätzt den Nutzen bzw. das Risiko einer Impfung gegen COVID-19 anders ein, als dieses wissenschaftliche Gremium. Er stellt sich damit gegen den aktuellen medizinischen Standard, der jedoch für die juristische Bewertung maßgeblich ist (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 18.04.2018 – 9 UF 77/18, juris Rn. 15).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 81 Abs. 1, 83 Abs. 2 FamFG. Nach § 81 Abs. 1 FamFG entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen, ob die Kosten den Beteiligten ganz oder zum Teil aufzuerlegen sind und ob von der Erhebung von Gerichtskosten abzusehen ist. Das Gericht kann insbesondere die Kosten ganz oder teilweise zwischen den Beteiligten aufteilen, die Kosten gegeneinander aufheben oder die Kostenregelung getrennt in Bezug auf die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten vornehmen oder nur bestimmte Kosten einem der Beteiligten auferlegen. Das weite Ermessen des Gerichts bei der Entscheidung über die Verfahrenskosten erfährt nur eine Beschränkung durch § 81 Abs. 2 FamFG, wonach in den dort genannten Fällen die Kosten des Verfahrens einem Beteiligten ganz oder teilweise auferlegt werden sollen (BGH, Beschluss vom 28.09.2016 – XII ZB 251/16, FamRZ 2017, 50 ff., juris Rn. 8).

In sorgerechtlichen Angelegenheiten, die regelmäßig im Interesse des Kindes geführt werden, entspricht es regelmäßig billigem Ermessen, die Verfahrenskosten zwischen den Eltern zu teilen und von der Erstattung außergerichtlicher Kosten abzusehen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 13.07.2021 – 18 WF 78/21, FamRZ 2021 1821 f.; OLG Braunschweig, Beschluss vom 12.05.2020 – 2 UF 187/19, juris Rn. 105; OLG Bamberg, Beschluss vom 14.05.2020 – 2 WF 90/20, juris Rn. 12; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14.03.2019 – 20 WF 37/19, juris Rn. 6; OLG Frankfurt, Beschluss vom 02.12.2019 – 4 UF 151/19, juris Rn. 33; OLG Jena, Beschluss vom 15.01.2016 – 1 WF 707/15, juris Rn. 11; OLG Oldenburg, Beschluss vom 17.11.2015 – 4 WF 174/15, MDR 2016, 674, juris Rn. 11; OLG München, Beschluss vom 07.03.2014 – 4 WF 130/14, FF 2015, 79 ff., juris Rn. 19; OLG Nürnberg, Beschluss vom 17.12.2009 – 7 WF 1483/09, FamRZ 2010, 998 ff., juris Rn. 51). Umstände, die ausnahmsweise eine vom Regelfall abweichende Kostenentscheidung rechtfertigen könnten, liegen nicht vor.

Die Festsetzung des Verfahrenswertes folgt aus §§ 34, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG in der ab dem 01.01.2021 gültigen Fassung.

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