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Schwangerschaftsabbruch bei Minderjähriger

AG Schlüchtern, Az.: X 17/97, Beschluss vom 29.04.1997

Es wird festgestellt, daß die Antragstellerin zur Einwilligung in den beabsichtigten Schwangerschaftsabbruch nicht der Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreterin bedarf.

Der weitergehende Antrag auf Ersetzung der Einwilligung der gesetzlichen Vertreterin wird mangels Rechtsschutzbedürfnis zurückgewiesen.

Gründe

1.

Schwangerschaftsabbruch bei Minderjähriger
Symbolfoto: : Ocus Focus / Bigstock

Die Antragstellerin ist am 22.12.1980 geboren und besucht zur Zeit die Berufsfachschule. Sie ist in der 11. Woche schwanger und beabsichtigt einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Sie hat die nach § 218 a und § 219 StGB vorgeschriebene Beratung in Anspruch genommen. Von der gesetzlichen Krankenkasse hat sie eine Kostenzusage aus besonderen Mitteln der Länder bei einem Schwangerschaftsabbruch erhalten. Die Antragsgegnerin ist die alleinsorgeberechtigte Mutter der Antragstellerin. Sie hat Ihre Zustimmung zur Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs durch den Arzt verweigert. Die Antragstellerin hat deshalb beantragt, die Einwilligung der Antragsgegnerin zur Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs durch das Vormundschaftsgericht zu ersetzen. Die angehörte Mutter hat die Verweigerung ihrer Zustimmung zum einen damit begründet, daß sie selbst in jungen Jahren einen solchen Abbruch vorgenommen hat und schwere psychische Folgen davongetragen hat. Sie wolle ihre Tochter dieses Schicksal ersparen. Sie hat ihre Verweigerung ferner damit begründet, daß nach ihrer religiösen Überzeugung, sie und ihr Ehemann gehören den Zeugen Jehovas an, die geplante Abtreibung einen Mord darstelle und sie dazu niemals ihre Unterschrift gebe. Sie hat ferner darauf hingewiesen, daß ihre Tochter nach ihrer Auffassung nicht reif genug sei, diese Entscheidung selbst zu treffen.

II.

Dem Antrag der Antragstellerin war in der Weise zu entsprechen, daß durch eine Negativattest festzustellen war, daß sie die Einwilligung in die Vornahme des zum Schwangerschaftsabbruch führenden ärztlichen Eingriffes allein zu erteilen berechtigt ist. Für die Einwilligung in die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruches benötigt eine minderjährige dann nicht die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter, wenn sie die geistige und sittliche Reife besitzt, um die Bedeutung und die Tragweite dieser Entscheidung einzuschätzen (vgl. Palandt/Diederichsen 5 1626 Rand-nr.14 in. w. N.; LG München I NJW 1980, 646) . Die Einwilligung in den zum Schwangerschaftsabbruch führenden körperlichen Eingriff ist ähnlich wie ein ärztlicher Heileingriff (BGHZ 29, 33, 36 f.) kein Rechtsgeschäft, für welches nach 5 107 BGB grundsätzlich die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter erforderlich ist, sondern die Gestattung einer tatsächlichen Handlung. Für die Wirksamkeit einer solchen Gestattung kommt es darauf an, ob ein minderjähriger die Bedeutung der Erlaubnis einzuschätzen vermag. Das Recht der Eltern zur Personensorge (§ 1626 Abs. 1 BGB) steht in diesem Fall der Befugnis des Minderjährigen zur Alleinentscheidung nicht entgegen, weil die Ausübung der Personensorge die wachsende Fähigkeit des Kindes zu selbständigem Verantwortlichem Handeln berücksichtigen soll (§ 1626 Abs. 2 BGB) . Die Frage, ob eine Minderjährige die Fähigkeit hat, die Folgen und die Tragweite des Schwangerschaftsabbruchs einzuschätzen, kann nicht generalisierend beantwortet werden (so aber AG Celle FamRZ 1987, 738, = NJW 1997, 2307, 2308), sondern bedarf einer sorgfältigen Prüfung des Einzelfalles.

Die Ermittlungen des Gerichts haben ergeben, daß die ernstzunehmenden Bedenken der Mutter gegen die Reife ihrer Tochter für die Entscheidung über den Schwangerschaftsabbruch als ausgeräumt betrachtet werden müssen. Die vom Gericht mit der Begutachtung der Antragstellerin beauftragte Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie hat aufgrund eines eingehenden Gespräches mit der Antragstellerin die Stellungnahme abgegeben, daß sie die Antragstellerin für fähig hält, die Entscheidung über den Schwangerschaftsabbruch zu treffen. Die Antragstellerin sei sowohl geistig als auch emotional in der Lage die möglichen Folgen dieser Einwilligung in den Abbruch abzuschätzen und auch die eintretenden Folgen zu tragen. Sie habe die Folgen des Abbruchs für sich und das Kind damit abgewogen, daß sie nicht wolle, daß ihr Kind in einer Situation groß werde, wie sie es in den letzten Jahren (Scheidung der Mutter, Verhältnis zum Stiefvater) erlebt habe. Auch aufgrund der klaren und nachvollziehbar dargelegten Zukunftspläne der Antragstellerin ist die Gutachterin zu der Auffassung gelangt, daß sie die Fähigkeit und innere Stärke hat, die Folgen dieser Entscheidung später durchzustehen. Das Gericht folgt der Stellungnahme der Gutachterin im Ergebnis. Rechtlich entscheidend ist, daß die Antragstellerin vor einer Entscheidung die jeweiligen Folgen gesehen und abgewogen hat. Ob das Ergebnis der von der Antragstellerin vorgenommenen Abwägung richtig ist, ist rechtlich nicht zu prüfen.

Da die Antragsteller für die Einwilligung in den zum Schwangerschaftsabbruch erforderlichen Eingriff nicht der Zustimmung ihrer Eltern bedarf, war für den weitergehenden Antrag auf Ersetzung der Zustimmung der sorgeberechtigten Mutter kein Raum mehr. Der Antrag ist sinngemäß jedoch so zu verstehen, daß er das Verlangen nach einer Feststellung, daß die Zustimmung nicht erforderlich ist, als Minus mit umfaßt. Für eine solche Feststellung besteht ein Rechtschutzbedürfnis, weil die Notwendigkeit der Zustimmung der Erziehungsberechtigten von der Beurteilung der Reife der Minderjährigen und damit einem unbestimmten Umstand abhängt. Sowohl die Beteiligten, als auch der behandelnde Arzt benötigen eine rechtsverbindliche Feststellung über diese Frage.

Das Gericht sieht keine rechtliche Grundlage dafür, zugunsten des ungeborenen Lebens vormundschaftsgerichtlich einzuschreiten (etwa einen Pfleger für das ungeborene Leben gem. § 1912 BGB zu bestimmen oder der Schwangeren den Abbruch zu untersagen) . Durch die Reform des § 218 a StGB im Jahre 1995 hat der Gesetzgeber im strafrechtlichen Bereich der Schwangeren einen weitgehenden Entscheidungsspielraum eingeräumt, ob sie die Schwangerschaft abbrechen will oder nicht. Der Gesetzgeber hat den Schutz des werdenden Lebens in seinen Abwägungsprozeß mit einbezogen und im Rahmen des straffreien Schwangerschaftsabbruches zurückgestellt. Diese Entscheidung ist für die gesamte Rechtsordnung verbindlich. Ein Eingreifen des Vormundschaftsgerichts zum Schutz des ungeborenen Lebens kommt daher nur in Betracht, wenn dieser Entscheidungsspielraum überschritten ist (vgl. zum Ganzen Gernhuber/Coester-Waltjen, Familienrecht, 4. Auflage 1994 S. 899). Da die Antragstellerin hier die Voraussetzungen der Straffreiheit nach § 218 a Abs. 4 StGB erfüllt, besteht keine Befugnis des Gerichts zum Eingriff zugunsten des ungeborenen Lebens.

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