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Übertragung der Entscheidungsbefugnis hinsichtlich einer Reise nach Kasachstan auf einen Elternteil

Oberlandesgericht Hamburg – Az.: 12 UF 80/11 – Beschluss vom 13.07.2011

Auf die Beschwerde des Vaters wird der Beschluss des Familiengerichts Hamburg vom 2. Mai 2011, Gesch.-Nr. 276 F 49/11, wie folgt neu gefasst:

Der Mutter wird die alleinige Entscheidungsbefugnis darüber übertragen, ob die Kinder A., geb. 25. November 1995, und L., geb. 18. Oktober 2006, in der Zeit vom 23. Juli bis 11. August 2011 in Begleitung der Mutter nach Kasachstan fahren. Über sämtliche im Zusammenhang mit der Planung und Durchführung dieser Reise stehenden Angelegenheiten der Kinder entscheidet die Mutter ebenfalls allein.

Die Beschwerde des Vaters wird im Übrigen auf seine Kosten nach einem Verfahrenswert von 3.000,– € zurückgewiesen.

Gründe

I.

A. I., geb. 25. November 1995, und L. I., geb. 18. Oktober 2006, sind die Kinder der Beteiligten O. und A. I., die deutsche Staatsangehörige sind und aus Kasachstan stammen. Die im Jahre 1995 geschlossene Ehe der Eltern wurde am 22. September 2010 geschieden. Die Eltern üben auch nach Ehescheidung die elterliche Sorge gemeinsam aus. Die Kinder leben bei der Mutter und haben Kontakt zum Vater.

Im Zuge diverser zwischen den Eltern anhängiger Verfahren, u.a. zur Regelung Sorgerechts und des Umgangsrecht, konnten die Eltern – mit Unterstützung der Beratungsstelle Kinde(ge)Recht – immer wieder Teileinigungen über das Umgangsrecht erzielen, zuletzt im Rahmen der im vorliegenden Verfahren in erster Instanz durchgeführten Anhörung vom 31. März 2011.

Keine gemeinsame Entscheidung war ihnen allerdings möglich über die Frage, ob die Mutter, wie von ihr seit Dezember 2010 geplant, in den Sommerferien 2011 mit den Kindern eine Reise nach Kasachstan zu ihrer Familie unternehmen könne.

Durch den angefochtenen Beschluss hat das Familiengericht den Antrag der Mutter, ihr mit den beiden Kindern die Urlaubsreise nach Kasachstan und Russland zu ermöglichen, zurückgewiesen, weil es sich bei der von der Mutter geplanten Reise mit den Kindern in ihr Heimatland um keine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 1628 BGB handele und die Mutter demgemäß allein entscheidungsbefugt sei, so dass es keiner besonderen Entscheidung des Gerichts bedürfe. Auf den Beschluss wird verwiesen.

Hiergegen richtet sich der Vater mit der vorliegenden Beschwerde, die er form- und fristgerecht eingelegt hat. Er ist weiterhin der Auffassung, dass die Urlaubsreise jedenfalls für die 4-jährige L. wegen der Strapazen der Fahrt und der Umstellungssituation im Lande zu beschwerlich und wegen der in R. bestehenden Verhältnisse zu gefährlich sei. Die Kriminalitätsrate sei sehr hoch, Drogen- und Alkoholabhängige seien überall auf der Straße anzutreffen, außerdem Kampfhunde, von denen eine Nichte des Vaters angefallen und erheblich verletzt worden sei. Die Mutter sei im Umgang mit den Kindern leichtfertig und könne nicht auf beide Kinder gleichzeitig aufpassen. L. spreche kein Russisch und könne sich nicht zurechtfinden, zumal auch die Verwandten kein Deutsche sprächen.

Die Mutter hat erklärt, dass sie die Reise nicht, wie ursprünglich geplant, auch nach Russland durchführen werde, da sie das hierfür erforderliche Visum nicht mehr habe beantragen können. Sie beabsichtige daher, diese Zeit ebenfalls in R. zu verbringen, und habe mit der Schwester des Vaters bereits Verabredungen getroffen.

Die Eltern sind im Beschwerdeverfahren persönlich angehört worden. Auf das Protokoll wird verwiesen.

II.

Die Beschwerde des Vaters ist nach den §§ 58 Abs. 1, 64, 65 Abs. 1 FamFG zulässig.

Sie ist allerdings nur insoweit begründet, als sie zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung nach Maßgabe der aus der Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung führt. Danach ist der angefochtene Beschluss dahingehend abzuändern, dass die Entscheidungsbefugnis für die Planung und Durchführung der Reise nach Kasachstan auf die Mutter allein zu übertragen ist. Im Übrigen ist die Beschwerde des Vaters unbegründet und daher zurückzuweisen.

1. Bei der von der Mutter geplanten Reise nach Kasachstan handelt es sich um eine Angelegenheit, die für beide Kinder von erheblicher Bedeutung ist. Sie bedarf daher entweder der Zustimmung beider Eltern oder, falls sich die Eltern nicht einigen können, der Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf einen Elternteil allein nach § 1628 BGB.

Die Entscheidungskompetenz eines Elternteils allein ohne gerichtliche Bestimmung nach § 1628 BGB kommt im vorliegenden Fall nicht in Betracht. Die Eltern üben die elterliche Sorge gemeinsam aus und sind demgemäß berechtigt und verpflichtet, die ihre Kinder betreffenden Entscheidungen in eigener Verantwortung und im gegenseiteigen Einvernehmen, also gemeinsam, zu treffen. Eine gesetzliche Regelung, nach der einem Elternteil die Entscheidungsbefugnis allein obliegt, wie z.B. § 1687 Abs. 1 S. 2, 3 BGB für Angelegenheiten des tägliche Lebens oder § 1629 Abs. 2 S. 2 BGB für die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen, besteht für den hier vorliegenden Fall nicht. Die Eltern müssen daher versuchen, sich zu einigen, § 1629 S. 1 BGB.

Können sich die Eltern trotz entsprechender Bemühungen nicht einigen, hat die beabsichtigte Maßnahme grundsätzlich zu unterbleiben. Jedoch kann das Familiengericht in derartigen Situationen die Entscheidungsbefugnis nach § 1628 BGB auf einen Elternteil allein übertragen, wenn es sich um eine Angelegenheit handelt, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist.

Eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung unterscheidet sich von einer unerheblichen Angelegenheit durch die Konsequenzen, die die Uneinigkeit der Eltern auf das Kind und seine gesellschaftliche und soziale Entwicklung hat (Schwer/B. Hamdan in JurisPK-BGB, 5. Auflage 2010, Rdnr. 6 zu § 1628; Palandt-Diederichsen, BGB, 70. Auflage 2011, Rdnr. 4 zu § 1628). Diese Einschränkung soll verhindern, dass die Eltern für Nebensächlichkeiten ihre Verantwortung auf das Familiengericht abzuwälzen versuchen.

Bei der hier beabsichtigten Reise der Mutter mit den Kindern nach Kasachstan handelt es sich um eine Angelegenheit, deren Regelung für die Kinder von erheblicher Bedeutung ist. Würde sie, solange die Eltern sich nicht einigen können, unentschieden bleiben, stünde dem anderen Elternteil, hier dem Vater, eine Art Vetorecht zu (OLG München, FamRZ 2008, 1103) mit der Folge, dass die Reise zu unterbleiben hätte. In diesem Fall würden die Kinder die persönlichen Kontakte zu den in Kasachstan lebenden nahen Familienangehörigen nicht pflegen und, je nach Dauer des elterlichen Konflikts, ihre Zugehörigkeit zu dem Kulturkreis ihrer Eltern und Verwandten nicht aufrechterhalten oder sogar ganz verlieren können. Die persönliche Beziehung zu nahen Verwandten, das unmittelbare Erfahren der dortigen Lebensumstände, der Kultur und der Sprache sowie das Bewusstsein der eigenen Abstammung und Zugehörigkeit sind in der Kindheit von prägender Bedeutung und wirken sich daher nachhaltig auf die kindliche Entwicklung und das weitere Leben aus.

2. Die Entscheidungsbefugnis über die Reise ist, da sich die Eltern auch nach monatelanger Diskussion und intensiven Erörterungen im Rahmen der gerichtlichen Anhörungen nicht einigen konnten, gemäß § 1628 BGB einem Elternteil zu übertragen.

Dabei kommt im vorliegenden Fall nur die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf die Mutter in Betracht, da davon auszugehen ist, dass deren Entscheidung, die Reise mit beiden Kindern gemeinsam durchzuführen, dem Wohl der Kinder am besten entspricht.

Dass Kontakte der Kinder zu den in Kasachstan lebenden Angehörigen grundsätzlich erwünscht sind, wird auch von dem Vater nicht in Frage gestellt, der aus diesem Grund im Jahre 2008 an einer Reise der Kinder nach Kasachstan – seinerzeit noch mit der Mutter gemeinsam – mitgewirkt hatte. Im Hinblick auf die vorstehend dargestellte positive Bedeutung der Kontaktpflege der Kinder mit der Familie dürfte daher die Durchführung der Reise mit dem Wohl der Kinder eher zu vereinbaren sein als die vom Vater statt dessen in Aussicht gestellte Urlaubsreise nach Fuerteventura mit L. allein. Abgesehen davon, dass die Reise in das Heimatland eine gänzlich andere Bedeutung hat als eine Reise an ein beliebiges anderes Urlaubsziel, würde auch die Trennung der Kinder (nicht nur) bei ihnen auf völliges Unverständnis stoßen. Dass die Mutter die Strapazen der Reise und die Gefahren in Kasachstan nicht im Sinne der Kinder hinreichend berücksichtigt hätte, ist nicht anzunehmen. Die Mutter kennt die Reisebedingungen und die örtlichen Verhältnisse in Kasachstan aus eigener Anschauung genau. Sie hat ihre Planungen darauf eingestellt und wird sich im Kreise der Familie in R. aufhalten; zudem wird sie nicht die zunächst geplante Fahrt nach Russland antreten. Entgegen der Auffassung des Vaters geht das Gericht nach dem persönlichen Eindruck der Mutter nicht davon aus, dass sie nicht imstande sei, die Kinder, insbesondere L., ordnungsgemäß zu beaufsichtigen. Dieser Eindruck stimmt mit der Stellungnahme des Jugendamts, Frau P., die die Eltern bereits seit Längerem kennt, überein.

Die Entscheidung ergeht ohne erneute Anhörung der Kinder. In Bezug auf A. hat der Vater ohnehin keine Bedenken gegen die Reise geltend gemacht. Wegen der Anhörung von L. wird auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug genommen.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 84 FamFG, 40, 45 Abs. 1 FamGKG. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor, § 70 Abs. 2 FamFG.

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