Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 13 UF 108/20 – Beschluss vom 06.05.2021
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Zossen vom 22.06.2020 – Az. 6 F 330/18 – unter Antragsabweisung im Übrigen in Ziffer 3. des Beschlusstenors wie folgt abgeändert:
Der Antragsgegner wird verpflichtet, an die Antragstellerin ab Rechtskraft der Scheidung einen nachehelichen Unterhalt in Höhe von monatlich 220 € zu zahlen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen zu 46 % die Antragsgegnerin und zu 54 % der Antragsteller.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen zu 83 % die Antragsgegnerin und zu 17 %der Antragsteller.
Der Beschwerdewert wird festgesetzt auf 15.842,64 €.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich nach Teilrücknahme der Beschwerde noch gegen die Zurückweisung ihres Antrags auf Zahlung von nachehelichem Unterhalt in ihrem Scheidungsverbundverfahren.
Die Antragsbeteiligten schlossen am …1991 die Ehe und lebten seit Januar 2017 in einem in ihrem Miteigentum stehenden Einfamilienhaus getrennt, wobei auch eine der beiden volljährigen gemeinsamen Töchter Teile des Hauses nutzt. Die Antragsgegnerin bezieht seit 2011 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Antragsteller ist in Vollzeit berufstätig und bedient allein das auf dem Haus lastende Immobiliendarlehn.
Der Antragsteller hat erstinstanzlich die Scheidung der Ehe begehrt. Die Antragsgegnerin hat dem erstinstanzlich zugestimmt (Bl. 41 R) und vom Antragsteller nachehelichen Unterhalt in Höhe von 339 € monatlich verlangt (Bl. 1 UE).
Die Antragsgegnerin hat geltend gemacht, sie könne wegen verschiedener Erkrankungen keinerlei Erwerbstätigkeit nachgehen. Dem Antragsteller sei in Ansehung einer weit überwiegenden Nutzung des gemeinsamen Hauses einkommenserhöhend ein Wohnwert von 900 €, ihr aber nur in Höhe von 300 € zuzurechnen.
Der Antragsteller ist dem Antrag auf Zahlung nachehelichen Unterhalts entgegengetreten.
Mit dem angefochtenen Beschluss (Bl. 126), auf den der Senat wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist, hat das Amtsgericht die Ehe der Antragsbeteiligten geschieden, den Versorgungsausgleich durchgeführt und den Antrag der Antragsgegnerin auf Zahlung nachehelichen Unterhalts zurückgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, der Wohnvorteil sei auf beide Ehegatten gleichmäßig zu verteilen. Bei im Übrigen weitgehend unstreitigem tatsächlichen Einkommen und Zurechnung fiktiven monatlichen Einkommens auf Seiten der Antragsgegnerin in Höhe von 450 € könne diese ihren Unterhaltsbedarf aus eigenen Mittel decken. Dass sie auch nicht geringfügigst erwerbstätig sein könne, habe die Antragsgegnerin nicht nachgewiesen und hiergegen spreche auch ihr Lebensalltag. Die vorgelegten Atteste seien nicht nachvollziehbar. Jedenfalls unternehme die Antragstellerin nicht genug Bemühungen, um ihre Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen.
Nach Rücknahme ihrer zunächst auch gegen den Scheidungsausspruch gerichteten Beschwerde (Bl. 205) verfolgt die Antragsgegnerin ihr Begehren auf nachehelichen Unterhalt antragserhöhend weiter (Bl. 169), nachdem sich die vom Antragsteller geleistete Kreditrate für das gemeinsame Haus von 1.100 € auf 280,40 € reduziert hat.
Die Antragsgegnerin macht geltend, das Amtsgericht habe die vorgelegten Atteste unzutreffend gewürdigt und sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass sie bis zu elf Stunden wöchentlich erwerbstätig sein könne. Tatsächlich sei ihr dies in Ansehung ihrer psychischen Erkrankungen nicht möglich, welche ihr auch eine Veränderung ihrer Wohn- und Lebenssituation nicht erlaubten.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß (Bl. 169), den Beschluss des Amtsgerichts Zossen vom 22.06.2020 abzuändern und den Antragsteller zu verpflichten, an sie monatlich im Voraus nachehelichen Unterhalt ab Rechtskraft der Scheidung in Höhe von 402,72 € zu zahlen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist der Senat auf die Korrespondenz im Beschwerderechtszug. Er entscheidet, wie angekündigt, ohne mündliche Verhandlung (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG), von der ein weiterer Erkenntnisgewinn nicht zu erwarten war, durch streitigen Beschluss, obwohl sich der Antragsgegner im Beschwerdeverfahren nicht geäußert und insbesondere keinen Antrag gestellt hat (vgl. BGH NJW 2014, 3784 Rn. 10).
II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Antragstellerin hat teilweise Erfolg.
Der Antragsgegnerin steht nachehelicher Unterhalt wegen Krankheit im tenorierten Umfang gem. §§ 1572, 1573, 1578 BGB zu. Unbestrittenermaßen ist die Antragsgegnerin seit 01.12.2011 krankheitsbedingt erwerbsunfähig. Über eine uneingeschränkte Erwerbsfähigkeit der Antragsgegnerin haben die Beteiligten erstinstanzlich auch nicht gestritten. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass der hier erfolgende Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zudem die tatsächliche Erwerbsunfähigkeit indiziert (vgl. (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 26. Februar 2020 – 9 UF 248/19 –, Rn. 34, juris).
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Unterhaltsanspruchs wegen Krankheit gem. § 1572 Nr. 1 BGB sind daher gegeben.
Der Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI, setzt allerdings allein voraus, dass der Rentenbezieher wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 S. 2 SGB VI). Eine vollständige Unfähigkeit für sämtliche Tätigkeiten, etwa im Geringverdienerbereich, ergibt sich daraus indessen noch nicht (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 26. Februar 2020 – 9 UF 248/19 –, Rn. 36, juris). Dies folgt hier auch aus dem Rentenbescheid (Bl. 101 UE) wonach eine Hinzuverdienstgrenze von 450 € besteht und den von der Antragsgegnerin zunächst eingereichten Attesten, die ein gänzliches Leistungsunvermögen gerade nicht bescheinigen (Bl. 104 UE).
Dass die Antragsgegnerin entgegen der Feststellung des Amtsgerichts jedenfalls bis zu 11 Stunden pro Woche mit einem Verdienst von 450 € monatlich nicht erwerbstätig sein kann, hat sich auch im zweiten Rechtszug nicht ergeben. Das beantragte Sachverständigengutachten war nicht einzuholen.
Ein Unterhaltsberechtigter, der trotz Erwerbslosigkeit Unterhalt beansprucht, hat die Darlegungs- und Beweislast für seine Bedürftigkeit. Er muss in nachprüfbarer Weise vortragen, welche Schritte er im Einzelnen unternommen hat, um einen zumutbaren Arbeitsplatz zu finden und die sich ergebenden Erwerbsmöglichkeiten auszunutzen. Eine Beweiserleichterung nach § 287 Abs. 2 ZPO kommt ihm nicht zugute (BGH FamRZ 2014, 637). Eine behauptete vollständige Erwerbsunfähigkeit ist auch für eine stundenweise Geringverdienertätigkeit von vornherein durch eine Unterhaltspartei darzulegen und zu beweisen (BGH FamRZ 2017, 109 OLG Brandenburg, NZFam 2014, 568). Denn die Unterhaltspartei trägt nicht nur die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sie keine Vollzeitstelle zu erlangen vermag, sondern auch dafür, dass dies in gleicher Weise für eine geringfügige Beschäftigung im Mini-Job-Bereich usw. gilt (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 26. Februar 2020 – 9 UF 248/19 –, Rn. 39, juris; BGH FamRZ 2017, 109; BGH FamRZ 2012, 517 OLG Brandenburg NZFam 2014, 568 Dose in: Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Aufl. 2019, § 1 Rn. 781 a.E., 786).
Dem genügt der Vortrag der Antragsgegnerin nicht. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird auf die insoweit zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen, die lediglich folgender Ergänzungen bedürfen:
Die Antragsgegnerin ist in der Lage, regelmäßig mittags auswärts zu essen, was neben Ankleiden, Bewältigen des Weges zum Restaurant auch heißt, dass sie in der Lage ist, sich im öffentlichen Raum unter Menschen zu bewegen und mit Menschen im Restaurant, oder der sie begleitenden Freundin zu kommunizieren. Auch kann sie Termine bei behandelnden Ärzten und bei ihrer Verfahrensbevollmächtigten planen und wahrnehmen, ihre rechtliche Situation einschätzen und mit anwaltlicher Beratung tätig werden, einen Makler beauftragen, für diesen die notwendigen Unterlagen zusammenzustellen und eine gemeinsame Besichtigung durchführen, einen Autokauf tätigen und die damit zusammenhängenden Aufgaben erledigen. Ihre Fähigkeit ein Kraftfahrzeug im Straßenverkehr zu führen, steht offenkundig nicht in Zweifel.
Vor diesem Hintergrund ist der Vortrag der Antragsgegnerin, sie sei zu gar keiner Erwerbstätigkeit in der Lage, bereits nicht plausibel, sodass dem auch im Beschwerdeverfahren gestellten Antrag zur Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der vollständigen Erwerbsunfähigkeit nicht zu folgen war, zumal die Antragsgegnerin nichts dazu vorgetragen hat, das erkennen ließe, dass sie irgendetwas – ggfls. auch nur vergeblich – versucht hätte, eine bestehende Erwerbsunfähigkeit zumindest auch nur teilweise zu beheben.
Den Unterhaltsberechtigten trifft nämlich die Obliegenheit, alles zur Wiederherstellung seiner Arbeitskraft Erforderliche zu tun, um seine Unterhaltsbedürftigkeit zu mindern. Wer leichtfertig oder fahrlässig die Möglichkeit einer ärztlichen Behandlung zur Behebung der einer Aufnahme der Erwerbstätigkeit entgegenstehenden Umstände nicht nutzt, muss sich unterhaltsrechtlich so behandeln lassen, als hätte die Behandlung Erfolg gehabt (Senat, Beschluss vom 15. Dezember 2020 – 13 UF 180/19 –, Rn. 28 – 29, juris). Der Unterhaltsberechtigte hat zu geplanten oder bereits erfolglos verlaufenen Therapiemaßnahmen Stellung zu nehmen (Senat, Beschluss vom 29. Dezember 2020 – 13 UF 121/18 –, Rn. 24, juris; BeckOGK/Lettmaier, 1.11.2020, BGB § 1572 Rn. 97).
Die Antragsgegnerin trägt weder vor, was sie gegen die behaupteten Spannungskopfschmerzen (Migräne) noch gegen ihre depressiven Episoden und Angstzustände unternimmt, die sie nach ihrem Vortrag unfähig machen, vereinbarte Termine einzuhalten, wahrzunehmen und das Haus zu verlassen. Die Störungen lassen sich allgemein bekannt grundsätzlich medikamentös oder mit psychotherapeutischen Maßnahmen jedenfalls insoweit behandeln, dass eine wenn auch eingeschränkte Teilnahme am gesellschaftlichen und Erwerbsleben möglich wird. Dass dies gerade bei der Antragsgegnerin nicht der Fall sein soll, trägt sie nicht vor und ist hierfür auch sonst nicht ersichtlich. Auch hat das Amtsgericht bereits zu Recht darauf hingewiesen, dass die Antragsgegnerin gehalten ist, die wesentliche Ursache ihrer Leiden zu beheben, indem sie ihre Wohnsituation ändert. Das Beschwerdevorbringen, soweit es die schlechte gesundheitliche Verfassung der Antragstellerin einwendet, die sie darin hinderten, rechtfertigt eine abweichende Beurteilung durch den Senat nicht. Auf die bereits zuvor hierzu getätigten Erwägungen wird verwiesen. Der Aufwand, sich eigenen Wohnraum zu beschaffen, übersteigt die Möglichkeiten der Antragsgegnerin nicht. Dass die Antragsgegnerin sich eigenen Wohnraum nicht leisten kann, weil sie mit Blick auf ihr werthaltiges Fahrzeug nicht mit öffentlicher Unterstützung rechnen kann, ist in Ansehung bereits fehlender Antragstellung spekulativ. Selbst wenn, was durch nichts belegt ist, die Antragsgegnerin einen PKW als absoluten Rückzugsraum benötigt, erschließt sich nicht, warum hierzu nicht auch ein deutlich preiswerteres Fahrzeug geeignet sein soll, sodass die Antraggegnerin über frei werdende Mittel verfügen würde.
Bei allen bekannten und zu berücksichtigenden körperlichen und psychischen Einschränkungen ist das Vorbringen der Antragsgegnerin nicht geeignet, Anhaltspunkte dafür auszuräumen, dass sie sich mit ihrer durchaus schwierigen gesundheitlichen Lage in dem Sinne abgefunden haben könnte, sich aus dem allgemeinen Erwerbsleben zurückzuziehen. Dies ist aber aus unterhaltsrechtlicher Sichtweise inakzeptabel.
Nach allem kann der Antragsgegnerin fiktiv ein Erwerbseinkommen in der von ihr erzielbaren Höhe zugerechnet werden, also im Umfang von jedenfalls bis zu drei Stunden täglich, was es ihr – wie zutreffend vom Amtsgericht zugrunde gelegt – ermöglichen würde, wenigstens 450 € hinzuzuverdienen. Bedenken bezüglich der amtsgerichtlichen Berechnung des bedarfsprägenden Einkommens der Antragsgegnerin im Übrigen werden von der Beschwerde nicht erhoben und sind auch sonst nicht ersichtlich, sodass hier ein Betrag von 1.890,55 € anzusetzen ist.
Das Einkommen des Antragstellers, welches sich unbestritten nach der erstinstanzlichen Entscheidung dadurch erhöht hat, dass sich die Kosten für die Finanzierung von 1.100 € auf 280,40 € verringert haben, beläuft sich, der Berechnung der Antragsgegnerin in der Beschwerdebegründung folgend, auf 2.329,56 € (Bl. 195).
Der gemeinschaftliche Bedarf errechnet sich auf 4.220,11 €, sodass der Unterhaltsbedarf der Antragsgegnerin 2.110,06 € beträgt, der mit dem tatsächlichen und fiktiven Einkommen der Antragsgegnerin in Höhe von 1.890,55 € gedeckt und in Höhe von 219,51 € ungedeckt ist, woraus sich der – auf volle Euro gerundete (Ziffer 25 der Unterhaltsleitlinien des Brandenburgischen Oberlandesgerichts 2021) – titulierte Betrag ergibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §150 Abs. 1, Abs. 4 FamFG.
Die Entscheidung zum Beschwerdewert fußt auf §§ 55 Abs. 2, 43, 51 Abs. 1, S.1, 50 Abs. 1, 35, 40 FamGKG.
Anlass die Rechtsbeschwerde zuzulassen, besteht nicht (§70 Abs. 2 FamFG).