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Vereinbarung unter geschiedenen Eheleuten über Versorgungsausgleichsansprüche

OLG Karlsruhe – Az.: 5 UF 174/19 – Beschluss vom 29.12.2020

1. Auf die Beschwerden der Antragstellerin und des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Singen vom 15.07.2019 abgeändert und in Ziffer 1 bis 3 des Tenors wie folgt neu gefasst:

Die Anträge der Antragstellerin werden abgewiesen.

2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.751 € festgesetzt.

Gründe

I.

Gegenstand des Verfahrens sind Ausgleichsansprüche nach der Scheidung.

Die am … 1951 geborene Antragstellerin und der am …1942 geborene Antragsgegner heirateten am 10.08.1972. Sie trennten sich am 01.10.1986. Der Scheidungsantrag der Antragstellerin wurde dem Antragsgegner in dem Verfahren 2 F x/93 des Amtsgerichts – Familiengericht – Singen am 30.03.1993 zugestellt und die Ehe mit Urteil vom 21.12.1993 rechtskräftig geschieden. Zugleich wurde festgestellt, dass ein öffentlich-rechtlicher Versorgungsausgleich nicht stattfindet, da in der Ehezeit vom 01.08.1972 bis zum 28.02.1993 die Antragstellerin zwar im Inland Rentenanwartschaften bei der Landesversicherungsanstalt Baden in Höhe von monatlich 219,44 DM erworben hatte, der Antragsgegner jedoch ausschließlich Anrechte in der Schweiz, die die Anrechte der Antragstellerin übersteigen. Insoweit wurde der Antragstellerin der schuldrechtliche Versorgungsausgleich vorbehalten.

Nach der Scheidung zahlte der Antragsgegner der Antragstellerin für die Dauer von maximal zwei Jahren Unterhalt. Die Antragstellerin heiratete im August 1994 erneut, die Ehe wurde im Jahr 2002 geschieden.

Am 30.11.2007 stellte die Antragstellerin beim Familiengericht Singen gegenüber der Rechtspflegerin folgenden Antrag:

Hiermit beantrage ich die Durchführung des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs.

Der Antragsgegner ist zur Zahlung einer Abfindung aufgrund der während der Ehezeit werthöheren erworbenen ausländischen Rentenanwartschaften zu verpflichten.

Begründung:

Der Antragsgegner wird am … 2007 65 Jahre alt und wird dann Rente beziehen. Außerdem wird der Antragsgegner als Grenzgänger zusätzlich eine Einmalzahlung als zweites Standbein erhalten, die ebenfalls ausgleichspflichtig ist.

Ich bin derzeit 56 Jahre alt. Ich beantrage ausdrücklich die Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung und keine monatliche Rente, da nach Auskunft der Deutschen Rentenversicherung Bund in R. erklärt wurde, dass bei Versterben des Verpflichteten kein weiterer Anspruch auf monatliche Rente besteht.

Das Verfahren wurde unter dem Aktenzeichen 2 F x/07 geführt. Mit Verfügung vom 04.12.2007 erteilte das Familiengericht folgenden Hinweis:

Grundsätzlich ist die Geltendmachung eines Ausgleichsanspruchs nach § 1587l BGB zulässig. Es wird in diesem Zusammenhang jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Ausgleichsbetrag ausschließlich als Beitragszahlung zur gesetzlichen oder einer privaten Altersvorsorge verwendet werden kann, § 1587l Abs. 3 BGB. Im Rahmen des Verfahrens werden die durch den Antragsgegner erworbenen Anwartschaften ermittelt werden müssen. Hierzu ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich.

Die Antragstellerin nahm ihren Antrag mit Schreiben vom 10.12.2007 zurück.

Am 14.02.2010 unterzeichnete die Antragstellerin folgende Erklärung:

Hiermit bestätige ich, IM, geb. am … 1951, Herrn WM, geb. am … 1942, den Erhalt einer Versorgungsausgleichs-Abfindung bei beidseitigem Einvernehmen in Höhe von 30.000 €. Mit dem Erhalt der oben genannten Summe sind jegliche Forderungen von Versorgungsausgleichs-Zahlungen abgegolten.

Der Betrag von 30.000 € wurde der Antragstellerin im Jahr 2010 ausgezahlt.

Die Antragstellerin bezieht seit dem 01.05.2015 Altersrente für schwerbehinderte Menschen bei der Deutschen Rentenversicherung Bund, seit dem 01.07.2019 in Höhe von monatlich 547,45 €. In der Ehezeit vom 01.08.1972 bis 28.02.1993 erwarb sie Anrechte bei der Deutschen Rentenversicherung Bund in Höhe von 7,1262 Entgeltpunkten. Der korrespondierende Kapitalwert betrug bezogen auf das Ehezeitende 15.833,17 € (Auskunft der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 06.04.2017).

Vereinbarung unter geschiedenen Eheleuten über  Versorgungsausgleichsansprüche
(Symbolfoto: Von ADragan/Shutterstock.com)

Darüber hinaus war die Antragstellerin vom 01.07.1969 bis zum 31.03.1970 bei der Firma G-Maschinenbau AG sowie vom 01.09.1988 – 31.05.1989 bei der Firma M. in der Schweiz tätig. Seit dem 01.05.2015 bezieht sie eine Schweizer Altersrente (AHV) von monatlich 98 CHF. Das Pensionsguthaben bei der Firma M. in Höhe von 200 – 300 CHF ließ sie sich im Jahr 1989 auszahlen.

Weiterhin erhält die Antragstellerin Wohngeld in Höhe von monatlich 98 €.

Der Antragsgegner bezieht seit dem 01.01.2008 eine Altersrente bei der Schweizer AHV. Seine betrieblichen Anrechte bei der B. Leben AG wurden ihm am 01.01.2008 in Höhe von 296.597,60 CHF (325.472,60 CHF abzüglich Quellensteuer in Höhe von 28.875,00 CHF) ausgezahlt.

Die von den Beteiligten zeitgleich während der Kalenderjahre der gemeinsamen Ehe erworbenen Altersrentenansprüche wurden von der AHV am 05.12.2007 geteilt und beiden Beteiligten je zur Hälfte zugewiesen.

Im vorliegenden Verfahren begehrte die Antragstellerin mit am 25.06.2015 beim Amtsgericht Singen eingegangenen Schreiben erneut die Durchführung des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs und beantragte,

den Antragsgegner gemäß § 22 VersAusglG zu verpflichten, den sich während der Ehezeit aus seiner schweizerischen betrieblichen Rente zu errechnenden Betrag hälftig an die Antragstellerin zu bezahlen.

Der Antragsgegner trat dem Antrag unter Hinweis auf die am 14.02.2010 geschlossene Vereinbarung entgegen. Mit dem erhaltenen Abfindungsbetrag seien jegliche Versorgungsausgleichsansprüche, gleich welcher Art, abgegolten worden.

Darauf erwiderte die Antragstellerin, dass mit der Vereinbarung lediglich die 1. Säule abgegolten worden sei und ihr Antrag nunmehr die 2. Säule betreffe. Sie sei immer davon ausgegangen, dass Versorgungsausgleichsansprüche nur die 1. Säule betreffen würden. Der Antragsgegner habe sie damals auch belogen, indem er ihr mitgeteilt habe, seine Anwälte hätten ihm gesagt, es würden lediglich die 13 Ehejahre des Zusammenlebens, nicht aber die 8 Ehejahre des Getrenntlebens gelten. Anders als der Antragsgegner sei sie bei der Unterzeichnung der Bestätigung im Jahr 2010 anwaltlich nicht beraten gewesen.

Sie erklärte: Die Erklärung vom 14.02.2010 fechte ich insofern vorsorglich wegen Irrtums an, soweit sie auch Ansprüche aus der 2. Säule betreffen sollte.

Der Antragsgegner bestreitet einen Irrtum und, dass die Antragstellerin erst jetzt erfahren habe, „dass die ganzen Ehejahre gelten“.

Die Antragstellerin ist der Ansicht, die Vereinbarung halte einer Inhalts- und Ausübungskontrolle nach § 8 VersAusglG nicht stand. Der Antragsgegner habe sich vor Abschluss der Vereinbarung geweigert, ihr Auskunft über die auszugleichenden Versorgungsanrechte zu geben. Es sei nicht auszuschließen, dass der Abgeltungsbetrag von 30.000 € keine angemessene Gegenleistung darstelle. Es sei auch zu befürchten, dass eine Vereinbarung zu Lasten der Sozialsysteme vorliege, da die Antragstellerin lediglich eine sehr geringe Rente beziehe und auf Grundsicherung im Alter nach dem SGB XII angewiesen sein werde, welche sie ab einem vollendeten Alter von 65 Jahren und 5 Monaten beantragen könne.

Mit Anwaltsschreiben vom 26.04.2019 teilte die Antragstellerin mit, dass hinsichtlich des Anrechts bei der AHV ein Anspruch nach § 20 VersAusglG und hinsichtlich der rückständigen Beträge ein Kapitalbetrag geltend gemacht wird, sowie hinsichtlich der aufgelösten betrieblichen Anwartschaft ein Kapitalzahlungsanspruch nach § 22 VersAusglG.

Der Antragsgegner beantragte, die Abweisung dieser Anträge.

Das Familiengericht holte Sachverständigengutachten zu dem Wert des ehezeitlichen Anteils für sämtliche Anrechte des Antragsgegners bei Schweizer Rentenversorgungsträgern und ergänzend zum Ehezeitwert des vom Antragsgegner bei der B. Leben AG erworbenen Pensionsguthabens ein.

Die Beteiligten wurden vom Familiengericht persönlich angehört.

Mit Beschluss vom 15.07.2019 verpflichtete das Amtsgericht – Familiengericht – Singen in Ziffer 1 des Tenors die Antragstellerin zur Zahlung einer schuldrechtlichen Ausgleichsrente an den Antragsgegner ab Juli 2015 hinsichtlich ihres Anrechts bei der Deutschen Rentenversicherung Bund, den Antragsgegner in Ziffer 2 des Tenors zur Zahlung einer schuldrechtlichen Ausgleichsrente an die Antragstellerin hinsichtlich seiner Rentenleistung der AHV ab Juli 2015 sowie den Antragsgegner in Ziffer 3 des Tenors zur Zahlung eines Ausgleichswertes von 42.342,99 € hinsichtlich der von der Pensionskasse erhaltenen Kapitalleistung nebst Zinsen seit dem 07.07.2015. Zur Begründung führte das Familiengericht aus, dass der Antragstellerin ein Anspruch auf eine monatliche schuldrechtliche Rente gemäß § 20 VersAusglG und ein Anspruch auf Auszahlung einer Kapitalleistung gemäß § 22 VersAusglG sowie dem Antragsgegner ein Anspruch auf schuldrechtlichen Versorgungsausgleich hinsichtlich der seitens der Antragstellerin erworbenen Rente bei der Deutschen Rentenversicherung zustehe. Die Vereinbarung der Beteiligten vom 14.02.2010 sei unwirksam Zwar habe die Vereinbarung formlos abgeschlossen werden können, sie genüge jedoch nicht der Inhalts- und Ausübungskontrolle des § 8 VersAusglG. Im Wege der Gesamtschau sei angesichts der feststellbaren Werte der betroffenen Altersvorsorgeanrechte sowie der persönlichen Verhältnisse der Beteiligten und der ehebezogenen Aspekte ein eklatantes Missverhältnis und damit eine nicht hinnehmbare einseitige Lastenverteilung im Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts zuungunsten der Antragstellerin gegeben.

Gegen diese, der Antragstellerin am 17.07.2019 und dem Antragsgegner am 29.07.2019 zugestellte Entscheidung, wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 09.08.2019 und der Antragsgegner mit seiner am 06.08.2019 beim Amtsgericht Singen eingegangenen Beschwerde.

Der Antragsgegner ist weiterhin der Auffassung, dass die getroffene Vereinbarung wirksam sei. Für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit der Vereinbarung sei auf den Zeitpunkt im Jahre 2007 abzustellen, als die Antragstellerin dem Antragsgegner die Kapitalabfindung von 30.000 € vorgeschlagen und er diesem Vorschlag zugestimmt habe. Sie habe schnelles Geld und vor allem Bargeld haben wollen. Daher habe sie auch ihren Antrag in dem Verfahren 2 F 315/07 am 10.12.2007 – nachdem sie sich am 07.12.2007 noch vom Antragsgegner schriftlich habe bestätigen lassen, dass das Bargeld in Höhe von 30.000 € fließen werde – zurückgenommen. Auf Wunsch der Antragstellerin seien zuvor am 05.12.2007 die AHV Anwartschaften gesplittet worden. Die Antragstellerin sei sachkundig gewesen, weil sie gleichfalls in der Schweiz gearbeitet habe und nach zwei Scheidungen auch lebenserfahren. Dass die Antragstellerin damals Kenntnis von der Auszahlung der zweiten Säule gehabt habe, ergebe sich bereits aus ihrem Antrag vom 30.11.2007 in dem Verfahren 2 F x/07. Die Antragstellerin habe sich sowohl von der Deutschen Rentenversicherung Bund als auch dem damals gemeinsamen Arbeitgeber in der Schweiz beraten lassen. Ihr sei die Höhe der Freizügigkeitsentschädigung, die 2008 ausgezahlt worden sei, bekannt gewesen. Dies habe sie im Anhörungstermin am 24.08.2017 bestätigt. Die Antragstellerin habe auch nicht unter Druck gestanden, da zwischen mündlicher Vereinbarung im Jahre 2007 und Auszahlung der Bargeldsummer im Jahre 2010 mehrere Jahre lagen. Es sei auch zu berücksichtigen, dass sich die Antragstellerin das Vorversterbensrisiko abgekauft habe.

Der Antragsgegner beantragt, die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und die Abweisung der Anträge/Forderungen der Antragstellerin.

Die Antragstellerin beantragt, den erstinstanzlichen Beschluss dahingehend abzuändern, dass die Ziffer 1 aufgehoben wird, sowie die Zurückweisung der Beschwerde des Antragsgegners.

Sie ist der Auffassung, ihre Anrechte bei der Deutschen Rentenversicherung Bund seien nicht in den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich einzubeziehen.

Weiterhin trägt sie vor, sie habe sich durchweg in der wirtschaftlich wesentlich schwächeren Position befunden. Sie bestreitet, vor Abschluss der Vereinbarung mit dem Antragsgegner über den zu erwartenden Abfindungsbetrag gesprochen zu haben, räumt allerdings ein, dass der Antragsgegner ihr damals auf die Frage nach der Höhe dieser Zahlung mitgeteilt habe, dies gehe sie nichts an. Ihr sei die Höhe des Abfindungsbetrages nicht bekannt gewesen. Sie habe sich weder bei der Deutschen Rentenversicherung Bund noch in der Schweiz beraten lassen und sei auch nicht anwaltlich vertreten oder beraten worden.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen und erhebt Bedenken hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit des Familiengerichts für die Teilung Schweizer betrieblicher Rentenanwartschaften.

Der Senat hat die Antragstellerin am 01.07.2020 persönlich angehört.

Die bereits erstinstanzlich beigezogenen Akten des Amtsgerichts Singen … liegen dem Senat vor.

Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Gemäß § 48 VersAusglG, Art. 111 FGG-RG ist das seit dem 01.09.2009 geltende neue Recht anzuwenden.

Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich aus § 102 Nr. 1 und 3 FamFG.

Die Beschwerde der Antragstellerin und die Beschwerde des Antragsgegners sind gemäß §§ 228, 58 ff. FamFG zulässig. Beide wurden insbesondere frist- und formgerecht eingelegt, §§ 63, 64 FamFG.

Die Beschwerden haben auch in der Sache Erfolg und führen zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung und Abweisung der Anträge der Antragstellerin.

1. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf schuldrechtliche Ausgleichszahlungen hinsichtlich der vom Antragsgegner während der Ehezeit erworbenen Schweizer Anrechte bei der AHV und der Pensionskasse gemäß §§ 20, 22 VersAusglG, da solche Ansprüche durch die von den Beteiligten vereinbarte Abfindungszahlung abgegolten wurden.

Die Beteiligten hatten im Jahr 2010 gemäß der Bestätigung vom 14.02.2010 eine wirksame Vereinbarung dahingehend geschlossen, dass der Antragsgegner an die Antragstellerin 30.000 € bezahlt und damit jegliche Forderungen von Versorgungsausgleichszahlungen abgegolten sind.

a) Die Vereinbarung konnte mündlich geschlossen werden. Die besonderen formellen Wirksamkeitsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 VersAusglG sind vorliegend nicht zu beachten, da die Vereinbarung nach Rechtskraft der Entscheidung über den Wertausgleich bei Scheidung getroffen wurde (vgl. Wick, Der Versorgungsausgleich, 4. Auflage 2017, Rn. 761; Palandt/Siede, BGB, 80. Auflage 2021, § 7 VersAusglG Rn. 3).

b) Sie hält der Inhalts- und Ausübungskontrolle des § 8 Abs. 1 VersAusglG stand.

aa) Bei der verfassungsrechtlich vorgegebenen und vom Bundesgerichtshof konkretisierten Prüfung, ob eine Vereinbarung, in der die Ehegatten ihre Scheidungsfolgen abweichend vom gesetzlichen Leitbild regeln, unwirksam (§ 138 BGB) oder die Berufung auf sie unzulässig ist (§ 242 BGB), ist eine Gesamtwürdigung der getroffenen Regelungen, der Gründe und Umstände ihres Zustandekommens sowie der beabsichtigten und verwirklichten Gestaltung des ehelichen Lebens vorzunehmen. Dem gesetzlichen Scheidungsfolgensystem liegt nämlich der Gedanke zugrunde, dass ehebedingte Nachteile nach der Scheidung ausgeglichen werden sollen, die ein Ehegatte um der Ehe oder Kindererziehung willen in seinem eigenen beruflichen Fortkommen und dem Aufbau einer entsprechenden Altersversorgung oder eines entsprechenden Vermögens auf sich genommen hat (vgl. Johannsen/Henrich/Althammer, Familienrecht, 7. Auflage 2020, § 8 VersAusglG Rn. 3).

Die gesetzlichen Regelungen über nachehelichen Unterhalt, Zugewinn- und Versorgungsausgleich unterliegen zwar grundsätzlich der vertraglichen Disposition der Ehegatten. Diese darf allerdings nicht dazu führen, dass der Schutzzweck der gesetzlichen Regelungen durch vertragliche Vereinbarungen beliebig unterlaufen werden kann. Das wäre der Fall, wenn dadurch eine evident einseitige und durch die individuelle Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse nicht gerechtfertigte Lastenverteilung entstünde, die hinzunehmen für den belasteten Ehegatten – unter angemessener Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten und seines Vertrauens in die Geltung der getroffenen Abrede – bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe unzumutbar erscheint. Die Belastungen des einen Ehegatten werden dabei umso schwerer wiegen und die Belange des anderen Ehegatten umso genauerer Prüfung bedürfen, je unmittelbarer die vertragliche Abbedingung gesetzlicher Regelungen in den Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts eingreift.

Das Verdikt der Sittenwidrigkeit wird dabei regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn durch den Vertrag Regelungen aus dem Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts ganz oder jedenfalls zu erheblichen Teilen abbedungen werden, ohne dass dieser Nachteil für den anderen Ehegatten durch anderweitige Vorteile gemildert oder durch die besonderen Verhältnisse der Ehegatten, den von ihnen angestrebten oder gelebten Ehetyp oder durch sonstige gewichtige Belange des begünstigten Ehegatten gerechtfertigt wird (vgl. BGH FamRZ 2020, 1347, juris Rn. 18 f. m.w.N.).

Für Eheverträge hat der Bundesgerichtshof hieraus die Folgerung gezogen, dass der Versorgungsausgleich dem Kernbereich der Scheidungsfolgen zuzuordnen ist und als vorweggenommener Altersunterhalt einer vertraglichen Gestaltung nur begrenzt offensteht (vgl. BGH FamRZ 2020, 1347, juris Rn. 22.; FamRZ 2014, 629, juris Rn. 19 m.w.N.).

Die richterliche Wirksamkeitskontrolle ist aber selbst im Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts keine Halbteilungskontrolle (vgl. BGH FamRZ 2020, 1347, juris Rn. 24; FamRZ 2014, 629, juris Rn. 28).

Diese vom Bundesgerichtshof entwickelten strengen Anforderungen an die unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit zu prüfenden Wirksamkeit des Vertrages betreffen einen Ehevertrag und gelten auch für Scheidungsfolgenvereinbarungen, die die Ehegatten im Hinblick auf eine Ehekrise oder eine bevorstehende Scheidung getroffen haben (vgl. BGH FamRZ 2020, 1347, juris Rn. 20).

Vorliegend wurde die Vereinbarung jedoch viele Jahre nach rechtskräftiger Ehescheidung und nachdem die Antragstellerin erneut geheiratet hatte und wiederum geschieden worden war, geschlossen. Ein Ehevertrag über den Versorgungsausgleich (vgl. § 1408 Abs. 2 BGB), der vor der Eheschließung unter Verlobten oder während der Ehe abgeschlossen wird (vgl. MünchKomm/Münch, BGB, 8. Auflage 2019, § 1408, juris Rn. 3), liegt nicht vor.

Ehemalige Ehegatten können über die noch nicht ausgeglichenen und dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich vorbehaltenen Anrechte formfrei disponieren. Dabei hat der Reformgesetzgeber des Gesetzes zur Struktur des Versorgungsausgleichs sich im Vergleich zur früheren Rechtslage als unverändert richtig von dem Gedanken leiten lassen, dass das eine Formvorschrift begründende besondere Schutzbedürfnis der früheren Ehegatten entfallen sei. Zum einen stünden sie nämlich typischerweise nicht mehr unter dem Eindruck der Trennung und des Scheidungsverfahrens. Sie hätten auch hinreichend Zeit, die Notwendigkeit und den Inhalt etwaiger vertraglicher Vereinbarungen zu prüfen und sich darüber gegebenenfalls beraten zu lassen. Durch das vorangegangene Scheidungsverfahren wüssten sie zudem, welche Bedeutung die Regelungen über den Versorgungsausgleich hätten. Schließlich seien sie dadurch geschützt, dass sie beim Familiengericht einen Antrag auf Entscheidung über Ausgleichsansprüche nach der Scheidung stellen könnten und die Vereinbarung in diesem Verfahren inzident geprüft werde (vgl. BT-Drucks. 16/10144 Seite 52).

Weiterhin ist zu berücksichtigten, dass der schuldrechtliche Versorgungsausgleich nicht von Amts wegen durchgeführt wird. Vielmehr steht es in der Eigenverantwortung und damit dem Belieben eines früheren Ehegatten, diesen Anspruch geltend zu machen.

Damit hat der Gesetzgeber nicht nur zum Ausdruck gebracht, dass die Wahrung der privaten Interessen der ehemaligen Ehegatten ganz wesentlich in deren Verantwortung steht, sie damit auch großen Spielraum haben sollen, welches Gewicht sie ihrem jeweiligen Interesse beimessen wollen, sondern auch festgelegt, dass es beim Versorgungsausgleich nach der Scheidung allenfalls nachrangig um die Wahrung öffentlicher Interessen geht.

Wegen dieser Unterschiede in der Schutzbedürftigkeit der Ehegatten bei einer nach der Scheidung getroffenen konkreten Vereinbarung zum schuldrechtlichen Versorgungsausgleich und einem Ehevertrag mit abstrakt geregelten Scheidungsfolgen und der abweichenden Gewichtung öffentlicher Interessen ist unbeschadet der allgemeinen Prüfung nach §§ 138, 242, 313 BGB eine nacheheliche Vereinbarung zum Versorgungsausgleich nach der Scheidung nicht mehr dem weitergehend zwingend geregelten Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts zuzuordnen (vgl. zur Unterhaltsvereinbarung nach Trennung: Palandt/von Pückler, a.a.O., § 1585c Rn. 17 m.w.N.).

bb) Die von den Beteiligten im Jahr 2010 getroffene Vereinbarung verstößt nicht gegen die guten Sitten, § 138 BGB.

Eine Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig (§ 138 Abs. 1 BGB). Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einen Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen (§ 138 Abs. 2 BGB). Sind die Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB nicht voll erfüllt, kann ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, sofern mindestens ein weiterer, die Sittenwidrigkeit begründender Umstand hinzutritt, die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts nach § 138 Abs. 1 BGB begründen (vgl. BGH NJW 2014, 1652, juris Rn. 5 ff. m.w.N.).

(1) Eine einseitige objektive Lastenverteilung zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vermag der Senat bei einer Gesamtwürdigung nicht feststellen.

(a) Die Antragstellerin hat auf etwas mehr als die Hälfte der ihr zustehenden Anrechte verzichtet, die ihr bei einer ex-post Betrachtung, also unter Berücksichtigung des tatsächlich eingetretenen Verlaufs, zugestanden hätten.

In diese Vergleichsberechnung ist einerseits die erfolgte abgeltungsweise getätigte Zahlung und das der Antragstellerin infolge der Vereinbarung verbleibende, ansonsten auszugleichende Anrecht bei der Deutschen Rentenversicherung Bund, andererseits der kapitalisierte Wert des der Antragstellerin zustehenden Rentenrechts aus der schweizerischen AHV-Rente ihres geschiedenen Ehemannes (sogenannte 1. Säule) sowie der der Antragstellerin zustehende Anteil an der schweizerischen betrieblichen Rente des Antragsgegners (so genannte 2. Säule) einzustellen.

Maßgebend für die Beurteilung eines auffälligen Missverhältnisses ist das Jahr 2010, in dem die Vereinbarung geschlossen wurde. Daher müssen sämtliche korrespondierenden Kapitalwerte zeitlich auf diesen Zeitpunkt auf dem Wege einer Barwertrechnung angepasst werden.

(aa) Ausgleichsanspruch der Antragstellerin bezüglich der AHV-Rente des Antragsgegners:

Der Sachverständige hat zunächst eine schuldrechtliche Ausgleichsrente (brutto) in Höhe von 483 CHF zum 21.05.2016 errechnet. Davon ausgehend hat er zum Zeitpunkt der Erstellung seines Gutachtens am 27.02.2019 unter Berücksichtigung eines Rechnungszinses von 2,29% einen Abfindungsbetrag als versicherungsmathematischen Barwert in Höhe von brutto 55.447,87 CHF errechnet. Diese Berechnung ist in sich schlüssig und wird von den Beteiligten auch nicht beanstandet.

Dieser Betrag ist über 9 Jahre auf das Jahr 2010 abzuzinsen, dabei legt der Senat den vom Sachverständigen verwendeten Rechnungszins zugrunde. Hieraus ergibt sich ein Barwertfaktor vom 0,8156 (1/1,0229⁹) und für das Jahr 2010 ein Barwert von 45.223,28 CHF (0,8156 * 55.447,87 CHF). Unter Berücksichtigung des zum 14.02.2010 geltenden Wechselkurses beläuft sich der korrespondierende Kapitalwert auf 30.751,83 € (45.223,28 CHF * 0,68).

(bb) Für den Ausgleichsanspruch der Antragstellerin hinsichtlich des betrieblichen Anrechts des Antragsgegners legt der Senat den vom Sachverständigen ermittelten Ausgleichswert von 76.792,08 CHF zugrunde, den der Sachverständige überzeugend abgeleitet hat und der von der Antragstellerin auch nicht beanstandet wird.

Zur Ermittlung des Ehezeitanteils des im Jahr 2008 ausgezahlten betrieblichen Anrechts hat der Sachverständige die Betriebszugehörigkeit von 477 Monaten im Verhältnis zu der ehezeitlichen Betriebszugehörigkeit von 247 Monaten gesetzt und den Ausgleichswert mit 76.792,08 CHF errechnet (296.597,60 CHF * 247 Monate : 477 Monate : 2 = 76.792,08 CHF). Auf das Jahr 2010 aufgezinst ergibt sich – gerechnet mit demselben Zinssatz wie oben – ein Betrag von 80.349,43 CHF. Unter Berücksichtigung des einschlägigen Wechselkurses ergeben sich 54.637,61 € (80.349,43 CHF * 0,68).

(cc) Der von der Deutschen Rentenversicherung Bund mit Schreiben vom 06.04.2017 mitgeteilte korrespondierende Kapitalwert des Ausgleichswertes in Höhe von 15.833,17 € für das Anrecht der Antragstellerin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund bezieht sich auf das Ende der Ehezeit am 28.02.1993 und errechnete sich aus den mitgeteilten 3,5631 Entgeltpunkten und dem Umrechnungsfaktor für das Jahr 1993 von 8691,0250 (3,5631 Entgeltpunkte * 8691,0250 = 30.966,991 DM; 30.966,991 DM : 1,95583 = 15.833,17 €).

Bezogen auf das hier maßgebende Jahr 2010 ergibt sich unter Zugrundelegung des Umrechnungsfaktor für das Jahr 2010 von 6368,5970 ein korrespondierender Kapitalwert von 22.691,95 € (3,5631 Entgeltpunkte * 6368,5970 = 22.691,95 €).

Unter Zugrundelegung dieser Zahlen hätte die Antragstellerin bei einer Saldierung und ex post betrachtet einen Ausgleichsanspruch von 62.697,50 € gehabt (Schweizer AHV: 30.751,83 € + Schweizer Pensionskasse: 54.637,61 € – DRV: 22.691,95 €).

Da sie lediglich 30.000 € erhalten hat, hätte sie auf rund 32.500 €, somit etwas mehr als die Hälfte verzichtet.

(b) Der Senat ist sich bewusst, das es sich insoweit nur um Näherungswerte handelt.

Soweit fraglich ist, ob das erfolgte Splitting der AHV Renten beider Beteiligter in den Gutachten berücksichtigt wurde, unterstellt der Senat zugunsten der Antragstellerin, dass dieses – wie vom Sachverständigen gegenüber dem Familiengericht telefonisch mitgeteilt – berücksichtigt wurde, obwohl eine Herausrechnung der Jahre, die bereits durch das Rentensplittung ausgeglichen wurden, für den Senat aus den Gutachten nicht ersichtlich ist.

Weiterhin ist bei der Ermittlung des korrespondierenden Kapitalwertes der betrieblichen Anrechte des Antragsgegners – zugunsten der Antragstellerin – unberücksichtigt geblieben, dass die ehezeitliche Betriebszugehörigkeit von August 1972 bis Februar 1993 die letzten 10 Jahre der Betriebszugehörigkeit (Ende: Dezember 2007), in der erfahrungsgemäß die höchsten Löhne erzielt werden, nicht erfasst.

Schließlich hat der Senat auch die betrieblichen Anrechte der Antragstellerin aus ihrer Tätigkeit bei der Firma M. vom 01.09.1988 – 31.05.1989, die diese sich hat auszahlen lassen und die in die Ehezeit fielen, nicht weiter ermittelt, da es letztlich auch darauf nicht mehr ankommt.

(c) Für die Bewertung, ob ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung besteht, ist vorliegend zu berücksichtigen, dass die Beteiligten mit Abschluss des Rechtsgeschäfts bereits im Jahre 2010 mehrere, bedeutsame Ungewissheiten beseitigt und für die Antragstellerin eine Forderung begründet haben, auf die sie zu jenem Zeitpunkt, da die Voraussetzungen nach §§ 22 Satz 2, 20 Abs. 2 VersAusglG nicht erfüllt waren, keinen Anspruch hatte. Allenfalls hätte sie nach § 23 VersAusglG eine zweckgebundene Abfindung verlangen können, was sie jedoch ausdrücklich bereits im Jahre 2007 abgelehnt hatte, weil sie das Geld zur eigenen freien Verfügung erhalten wollte. Damit verzichtete der Antragsgegner auf die für ihn günstige Möglichkeit, dass die Antragstellerin vor Erreichen der Fälligkeitsvoraussetzungen nach §§ 22 Satz 2, 20 Abs. 2 VersAusglG versterben würde mit der Folge, keinerlei Ausgleich mehr zu schulden (§ 31 Abs. 3 Satz 1 VersAusglG). Die Antragstellerin wurde zwar nicht des Risikos eines Vorversterbens des Antragsgegners enthoben (vgl. §§ 31 Abs. 3 Satz 2, 25, 26 VersAusglG; Art. 24a AHVG, 19 Abs. 1 BVG, 20 Abs. 1 BVV2), wohl aber, dass Ansprüche gegen ihn oder seine Erben hinsichtlich der bereits erfolgten einmaligen Kapitalauszahlung nicht mehr wirtschaftlich durchsetzbar gewesen wären. Außerdem wurde die Antragstellerin durch Begründung eines in Euro denominierten Anspruchs von dem durchaus erheblichen künftigen Wechselkursrisikos zum Schweizer Franken befreit.

(2) Vorliegend fehlt es auch an hinreichenden Anhaltspunkten für eine subjektive Imparität oder weiteren, die Sittenwidrigkeit begründenden Umständen zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses.

(a) Eine Zwangslage der Antragstellerin zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestand nicht.

(aa) Zwischen den Beteiligten wurde ausweislich des vom Antragsgegner vorgelegten Schreibens vom 07.12.2007 bereits im Jahr 2007 über eine Abfindung des Versorgungsausgleichs durch Zahlung von 30.000 € gesprochen. In dem Schreiben bestätigte der Antragsgegner, dass er der Antragstellerin „als Versorgungsausgleich“ einmalig 30.000 € auszahlen werde. Da bis zur Auszahlung des Geldes im Jahr 2010 mehrere Jahre vergangen sind, vermag der Senat nicht erkennen, dass die Antragstellerin, die nach ihren mündlichen Ausführungen gegenüber dem Senat bereits seit ihrer zweiten Scheidung im Jahr 2002 durchgehend arbeitslos gewesen ist, zeitlich unter Druck stand und eine Zwangslage der Antragstellerin ausgenutzt wurde.

(bb) Die Abfindungshöhe von 30.000 € wurde auch nicht vom Antragsgegner vorgeschlagen, sondern, wie die Antragstellerin bei der Anhörung durch den Senat eingeräumt hat, von ihr selbst. Da der Antragsgegner ihr das Geld sofort gegeben habe, hätten sie 30.000 € ausgemacht.

(cc) Soweit die Antragstellerin darauf abstellt, sie sei die wirtschaftlich schwächere gewesen, begründet dies vorliegend keine zu berücksichtigende soziale oder wirtschaftliche Abhängigkeit der Antragstellerin vom Antragsgegner. Der Antragsgegner zahlte der Antragstellerin zwar nur für kurze Zeit Unterhalt. Eventuelle Unterhaltsansprüche erloschen jedoch durch die nur acht Monate nach Rechtskraft der Scheidung erfolgte Wiederheirat der Antragstellerin (§ 1586 Abs. 1 BGB).

(dd) Die Antragstellerin hätte, soweit sie vorträgt, der Antragsgegner habe sie über die Höhe seiner Schweizer Anrechte im Unklaren gelassen, diese in dem bereits von ihr Ende Dezember 2007 – somit während der „Überlegungszeit“ – eingeleiteten versorgungsrechtlichen Verfahren 2 F 315/07 gerichtlich ermitteln lassen können. Das Familiengericht hatte damals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass im Rahmen des Verfahrens die durch den Antragsgegner erworbenen Anwartschaften ermittelt werden müssen.

(ee) Schließlich hätte sich die Antragstellerin auch anwaltlich beraten lassen können.

(b) Der Senat hat auch keine Zweifel, dass die Antragstellerin damals die notwendigen Kenntnisse besaß, um die Folgen der Vereinbarung über den Versorgungsausgleich einschätzen zu können.

(aa) Zum Zeitpunkt der Vereinbarung im Jahr 2010 war der Antragstellerin bekannt, dass der Antragsgegner in der Schweiz sowohl Anwartschaften nach der Säule 1 als auch nach der Säule 2 erworben hatte und beide Anrechte unter den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich fallen.

Zwar wurden im Scheidungsurteil lediglich Rentenanrechte des Antragsgegners bei der AHV erwähnt. Die betrieblichen Anrechte waren jedoch im Ehescheidungsverfahren vom Antragsgegner im Fragebogen zum Versorgungsausgleich aufgeführt.

Weiterhin war die Antragstellerin selbst in der Schweiz tätig gewesen und hatte sich ihr eigenes Pensionsguthaben bei der Firma M. nach ihrem Ausscheiden im Jahr 1989 auszahlen lassen.

(bb) Die Antragstellerin wusste auch, dass die betrieblichen Anrechte unter den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich fallen. Anders lässt sich ihr Schreiben vom 30.11.2007 an das Familiengericht nicht erklären, in dem sie die Durchführung des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs beantragte und darauf hinwies, dass der Antragsgegner neben einer Rente zusätzlich auch eine Einmalzahlung als zweites Standbein erhalten werde, die ebenfalls auszugleichen sei.

(cc) Ihr war auch bekannt, dass im Versorgungsausgleich die Trennungsjahre bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags berücksichtigt werden.

Bereits im Scheidungsurteil wurde die Dauer der Ehe im Sinne des § 1587 Abs. 2 BGB vom 01.08.1972 bis zum 28.02.1993 aufgeführt.

Weiterhin wurde am 05.12.2007 das Rentensplitting bei der AHV für den Zeitraum vom 01.09.1988 – 31.05.1989 durchgeführt. Da sich die Beteiligten bereits am 01.10.1986 getrennt hatten, umfasst dieser Zeitraum nur die Trennungszeit.

(dd) Darüber hinaus wusste die Antragstellerin, dass sie nach der bis zum 31.08.2009 geltenden Rechtslage keinen Anspruch auf Zahlung an sich hatte. Insoweit hatte nämlich das Familiengericht Singen in dem Verfahren 2 F x/07 darauf hingewiesen, dass ein gerichtlich gemäß § 1587l Abs. 3 BGB zugesprochener Ausgleichsbetrag nicht als Bargeldbetrag, sondern ausschließlich als Beitragszahlung zur gesetzlichen oder einer privaten Altersvorsorge verwendet werden kann. An dieser Rechtslage hat sich durch den seit dem 01.09.2009 geltenden § 23 VersAusglG nichts verändert. Die Abfindung steht weiterhin nicht zur freien Verfügung des Ausgleichsberechtigten, sondern muss zwingend für den Ausbau eines bestehenden oder die Begründung eines neuen Anrechts bei einem Versorgungsträger verwendet werden (§ 23 Abs. 1 Satz 2 VersAusglG).

(ee) Schließlich hatte die Antragstellerin auch Kenntnis vom vorzeitigen Versterbensrisiko. Nach § 31 Abs. 3 Satz 1 VersAusglG erlöschen Ausgleichsansprüche gemäß den §§ 20 bis 24 VersAusglG mit dem Tod eines Ehegatten. Bereits in ihrem Antrag in dem Verfahren 2 F x/07 hatte die Antragstellerin ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ihr von der Deutschen Rentenversicherung Bund erklärt worden sei, dass bei Versterben des Verpflichteten kein weiterer Anspruch auf monatliche Rente bestehe. Deshalb beantragte sie damals auch eine Abfindungszahlung und keine monatliche Rentenzahlung.

(3) Letztlich ist die Vereinbarung auch nicht deshalb sittenwidrig und nichtig, weil sie den Träger der Sozialhilfe belastet.

Eine Vereinbarung über den Versorgungsausgleich kann dann unwirksam sein, wenn sie voraussichtlich dazu führt, individuelle Vorteile zum Nachteil der Grundsicherung nach dem SGB XII zu erzielen. Voraussetzung dafür wäre, dass schon bei Vertragsabschluss hinreichend sicher vorhersehbar gewesen wäre, dass ein Ehegatte künftig auf die Grundsicherung im Alter angewiesen sein wird, dies aber ohne die Vereinbarung nicht der Fall wäre (vgl. BT-Drucks. 16/10144 Seite 53; Wick, a.a.O., Rn. 793 MünchKomm/Weber, a.a.O., § 8 VersAusglG Rn. 18).

Eine solche Prognose, die auch sonstige Vermögenswerte, die zur Alterssicherung geeignet sein können, miteinzubeziehen hat, kann vorliegend nicht mit Sicherheit gestellt werden.

Vereinbart wurde, dass die von der Antragstellerin während der Ehezeit erworbenen Anrechte nicht geteilt werden. Es verblieb somit ihre gesamte selbst erwirtschaftete Altersversorgung bei der Deutschen Rentenversicherung Bund zuzüglich die durch das durchgeführte Rentensplitting erhöhten AHV-Anrechte bei ihr. Dass dies für eine Absicherung im Alter ohne die Inanspruchnahme einer Grundsicherung ausreichte, zeigt die Gegenwart. Tatsächlich bezieht die Antragstellerin nämlich keine Grundsicherung, lediglich Wohngeld.

Hinzu kommt für die im Jahr 2010 zu erstellende Prognose, dass die Antragstellerin zum Vertragsabschluss im Jahre 2010 zwar bereits 59 Jahre alt, aber nicht erwerbsunfähig war. Folglich konnten die Beteiligten damals davon ausgehen, dass die Antragstellerin noch Zeit und Gelegenheit zum weiteren Ausbau ihrer Altersvorsorge haben würde.

Schließlich hätte die Antragstellerin die erhaltenen 30.000 € für eine zusätzliche Altersvorsorge anlegen oder damit ihre Eigentumswohnung, die sie nach ihrer zweiten Scheidung gekauft hatte (II, 177) und am 10.07.2019 noch mit 20.000 € belastet war, abbezahlen können.

cc) Die Vereinbarung ist im Wege der Ausübungskontrolle weder nach § 242 BGB zu korrigieren noch nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) anzupassen.

(1) Hält eine von den Beteiligten getroffenen Scheidungsfolgenvereinbarung einer richterlichen Wirksamkeitskontrolle am Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB stand, bleibt zu prüfen, ob und inwieweit es dem Antragsgegner nach Treu und Glauben unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) verwehrt ist, sich auf die vereinbarte Abgeltung wechselseitiger Versorgungsausgleichsansprüche zu berufen. Dafür ist entscheidend, ob sich nunmehr zum heutigen Zeitpunkt aus der Vereinbarung eine evident einseitige Lastenverteilung ergibt, die für den belasteten Betroffenen auch bei angemessener Berücksichtigung der Belange des anderen Vertragspartners und seines Vertrauens in die Geltung der getroffenen Abrede unzumutbar ist (vgl. BGH FamRZ 2020, 1347, juris Rn. 40; FamRZ 2018, 1415, juris Rn. 20 m.w.N.).

Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die tatsächliche einvernehmliche Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse von der ursprünglichen, dem Vertrag zugrunde liegenden Lebensplanung grundlegend abweicht (vgl. BGH FamRZ 2018, 1415, juris Rn. 20 m.w.N.).

Diese Grundsätze sind vorliegend bei der lange nach Scheidung abgeschlossenen Vereinbarung nicht anwendbar, da die Ehe der Beteiligten bereits geschieden war und sich die ehelichen Lebensverhältnisse hier nicht mehr nach Vertragsabschluss ändern und dadurch Anlass zu einer Ausübungskontrolle geben konnten (vgl. BGH FamRZ 2020, 1347, juris Rn. 41). Vielmehr lag die Lebensführung der Antragstellerin allein in ihrer Verantwortung, insbesondere, ob sie die erhaltenen 30.000 € für ihre Altersvorsorge zurückbehält, zur Abzahlung ihrer Eigentumswohnung verwendet oder verbraucht sowie, ob die Antragstellerin nach Vertragsabschluss im Jahr 2010 durch eine Erwerbstätigkeit noch Einkünfte und Rentenanrechte erwirbt oder nicht.

Dass die Antragstellerin heute Wohngeld bezieht und nach eigenem Vortrag verschuldet ist, begründet daher im Nachhinein keine einseitige unzumutbare Lastenverteilung für die Antragstellerin.

Andere Anhaltspunkte dafür, dass die Vereinbarung im Wege der Ausübungskontrolle nach § 242 BGB zu korrigieren wäre, wurden von der Antragstellerin nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich.

(2) Auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, wonach die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) auf Eheverträge Anwendung finden können, wenn und soweit die tatsächliche Gestaltung der ehelichen Lebensverhältnisse von der ursprünglichen, im Ehevertrag zugrunde gelegten Lebensplanung abweicht (vgl. BGH FamRZ 2020, 1347, juris Rn. 43; FamRZ 2018, 1415, juris Rn. 20 m.w.N.), erfasst den vorliegenden Fall nicht. Denn auch insoweit wäre der Anknüpfungspunkt, ob sich die Lebensverhältnisse der Ehegatten gegenüber der ursprünglichen Planung abweichend entwickelt haben, nicht erfüllt.

Anderweitige Gesichtspunkte, die für eine Störung der Geschäftsgrundlage sprechen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

c) Die Vereinbarung ist auch nicht durch die hilfsweise erklärte Anfechtung als von Anfang an nichtig anzusehen, § 142 Abs. 1 BGB.

aa) Die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 24.08.2015 ihre Erklärung vom 14.02.2010 hilfsweise wegen Irrtums (§ 119 BGB) angefochten, soweit sie auch Ansprüche aus der 2. Säule betreffen sollte, den behaupteten Irrtum jedoch nicht nachgewiesen.

Da die erste, bereits am 07.12.2007 von dem Antragsgegner ausgestellte Bestätigung im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Splitting der AHV-Ansprüche am 05.12.2007 und dem Verfahren 2 F x/07 erfolgte, in dem die Antragstellerin sowohl Ausführungen zur AHV-Rente als auch zum „zweiten Standbein“ gemacht hatte, ist ein Irrtum der Antragstellerin nicht erkennbar.

bb) Soweit die Antragstellerin behauptet, der Antragsgegner habe sie damals auch belogen, indem er ihr mitgeteilt habe, seine Anwälte hätten ihm gesagt, es würden lediglich die 13 Ehejahre des Zusammenlebens, nicht aber die 8 Ehejahre des Getrenntlebens gelten, begründet dies keine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung (§ 123 BGB).

Da die Antragstellerin – wie bereits ausgeführt – Kenntnis davon hatte, dass im Versorgungsausgleich die Trennungsjahre bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags berücksichtigt werden, fehlt es bereits an einem durch die behauptete Täuschungshandlung bewirkten Irrtum.

2. Auch der Antragsgegner hat keinen Anspruch auf eine schuldrechtliche Ausgleichsrente hinsichtlich des von der Antragstellerin während der Ehezeit erworbenen Anrechts bei der Deutschen Rentenversicherung Bund.

Zum einen wurden auch diese Ausgleichsansprüche durch die Vereinbarung der Beteiligten abbedungen, zum anderen fehlt es an dem für einen schuldrechtlichen Ausgleich erforderlichen Verfahrensantrag des Antragsgegners (vgl. hierzu: MünchKomm/Stein, FamFG, 3. Auflage 2018, § 223 Rn. 4).

III.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 84, 81 FamFG.

Da der Antragsgegner nach Abschluss der Abfindungsvereinbarung keine Ansprüche geltend gemacht hat und das Verfahren auch nicht von Amts wegen eingeleitet worden wäre, entspricht es der Billigkeit, die Kosten beider Instanzen der Antragstellerin aufzuerlegen, die durch ihre Anträge das für sie erfolglose Verfahren veranlasst hat.

2. Die Festsetzung des Verfahrenswertes für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 40, 50 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 FamGKG. Maßgebend sind die Einkommensverhältnisse zum Zeitpunkt der Einreichung der Beschwerde, § 34 FamGKG. Gegenstand der Beschwerde sind drei Anrechte ((547,45 € Rente Antragstellerin DRV + 92 € Rente Antragstellerin AHV + 2.000 € Einkommen Antragsgegner) * 3 : 5 * 3 = 4.751 €).

3. Die Entscheidung des Senats beruht auf einer Anwendung allgemein anwendbarer Rechtsgrundsätze im Einzelfall und wirft keine rechtsgrundsätzlichen Probleme auf. Die Rechtsbeschwerde ist deshalb nicht zuzulassen.

 

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