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Verwandtenunterhalt hängt nicht von einer Billigkeitsabwägung ab

Das Oberlandesgericht Stuttgart hat entschieden, dass die Antragsgegnerin nicht verpflichtet ist, ihren Vermögensstamm zu verwerten, um den Kindesunterhalt zu decken. Die Entscheidung stützt sich auf § 1603 Abs. 1 BGB, der den eigenen angemessenen Unterhalt des Unterhaltspflichtigen schützt und berücksichtigt zudem die testamentarischen Verfügungen der Eltern sowie die Nutzungsrechte des Vaters am Grundstück.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 18 UF 96/22

✔ Kurz und knapp

  • Verwandtenunterhalt unterliegt nicht einer Billigkeitsabwägung, sondern hängt allein von den gesetzlichen Voraussetzungen des § 1603 Abs. 1 BGB ab.
  • Ein Unterhaltspflichtiger muss grundsätzlich auch seinen Vermögensstamm zur Bestreitung des Unterhalts einsetzen.
  • Eine Ausnahme besteht, wenn die Vermögensverwertung den Unterhaltspflichtigen von Einkünften abschneiden würde, die er für weitere Unterhaltsansprüche, andere berücksichtigungswürdige Verbindlichkeiten oder den eigenen angemessenen Unterhalt benötigt.
  • Die Verwertung einer selbstgenutzten angemessenen Immobilie kann in der Regel nicht verlangt werden.
  • Eine Vermögensverwertung ist nicht erforderlich, wenn dies für den Unterhaltspflichtigen einen wirtschaftlich nicht mehr vertretbaren Nachteil bedeuten würde.
  • Bei der Beurteilung sind stets die Umstände des Einzelfalls maßgeblich, eine generelle Billigkeitsabwägung findet nicht statt.

Verwandtenunterhalt: Grenzen der Vermögensverwertungspflicht

Verwandtenunterhalt ist ein wichtiges, aber oft komplexes Thema im Familienrecht. Anders als beim nachehelichen Unterhalt, für den das Gesetz eine Billigkeitsabwägung vorsieht, hängt der Anspruch auf Unterhalt zwischen Verwandten allein von den rechtlichen Voraussetzungen ab. Dabei spielen insbesondere die Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten und die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen eine entscheidende Rolle.

Grundsätzlich muss ein Unterhaltspflichtiger auch seinen Vermögensstamm zur Deckung des Unterhalts einsetzen. Allerdings gibt es Ausnahmen, etwa wenn die Verwertung des Vermögens den Unterhaltspflichtigen von Einkünften abschneiden würde, die er für weitere Unterhaltsansprüche oder seinen eigenen Bedarf benötigt. Auch die Aufgabe einer selbstgenutzten, angemessenen Immobilie kann in der Regel nicht verlangt werden.

Im Folgenden soll ein Gerichtsurteil vorgestellt werden, das sich eingehend mit den Besonderheiten des Verwandtenunterhalts befasst und die relevanten Kriterien für die richterliche Entscheidungsfindung erläutert.

Verwandtenunterhalt: Klare Regeln, komplexe Situationen

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✔ Der Fall vor dem Oberlandesgericht Stuttgart


Verwandtenunterhalt ohne Billigkeitsabwägung: Die rechtliche Auseinandersetzung

Der vorliegende Fall dreht sich um die Frage des Verwandtenunterhalts und die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Vermögensverwertung. Der Antragsteller forderte Unterhaltsleistungen für die Kinder der Antragsgegnerin, die er im Rahmen des Unterhaltsvorschussgesetzes (UVG) erbracht hatte. Konkret verlangte er die Rückzahlung von insgesamt 34.857,00 €, die sich auf die Zeit vom 01.01.2017 bis 31.05.2020 beziehen.

Die Antragsgegnerin erzielte während des streitgegenständlichen Zeitraums Einkommen aus einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit und hatte zudem diverse finanzielle Verpflichtungen, darunter Zahlungen für Pkw-Kredite und frühere Unterhaltsrückstände. Ihr durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen betrug zwischen 1.359,30 € und 1.488,37 €. Die Antragsgegnerinist zudem Miteigentümerin eines Grundstücks, das sie zusammen mit ihrer Schwester von der verstorbenen Mutter geerbt hatte. Die rechtliche Auseinandersetzung konzentrierte sich darauf, ob die Antragsgegnerin verpflichtet ist, dieses Vermögen zur Deckung des Kindesunterhalts zu verwerten, insbesondere durch eine Teilungsversteigerung des Grundstücks, das von ihrem 88-jährigen Vater bewohnt wird.

Gerichtliche Entscheidung und Abwägung der Leistungsfähigkeit

Das Amtsgericht Bad Urach hatte die Antragsgegnerin zunächst zur Zahlung des rückständigen Kindesunterhalts verurteilt. Es argumentierte, dass die Antragsgegnerin aufgrund ihres hälftigen Miteigentums an einem wertvollen Grundstück leistungsfähig sei. Die Antragsgegnerin legte gegen dieses Urteil Beschwerde ein und brachte vor, dass eine Verwertung der Immobilie praktisch nicht möglich sei, da sie keine ausreichenden Einkünfte habe, um eine Beleihung zu bedienen, und eine Zwangsverwertung ihren Vater obdachlos machen würde.

Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hob die Entscheidung des Amtsgerichts auf und wies den Antrag des Antragstellers zurück. Das OLG stellte fest, dass die Antragsgegnerin nicht verpflichtet sei, den Stamm ihres Vermögens zu verwerten, um den Unterhalt zu decken. Diese Entscheidung stützte sich auf § 1603 Abs. 1 BGB, der den Unterhaltspflichtigen vorrangig seinen eigenen angemessenen Unterhalt sichert und nur bei ausreichenden Mitteln eine Unterhaltszahlung erlaubt. Das Gericht betonte, dass die Antragsgegnerin durch eine Verwertung des Vermögensstammes ihren eigenen Unterhalt und die Erfüllung weiterer Verpflichtungen gefährden würde.

Berücksichtigung des Testaments und der Erbregelungen

Ein weiterer entscheidender Punkt war das Testament der Eltern der Antragsgegnerin, das eine Nacherbfolge vorsieht. Gemäß diesem Testament sollte der überlebende Ehepartner voll über die Hinterlassenschaften verfügen, bevor die beiden Töchter zu gleichen Teilen erben. Dies wurde bei der Erteilung des Erbscheins und der Eintragung im Grundbuch nicht berücksichtigt, was zu einer fehlerhaften Annahme der Vermögenslage führte.

Das Gericht erkannte, dass der Vater der Antragsgegnerin weiterhin Nutzungsrechte an dem Grundstück hatte, die eine Verwertung praktisch unmöglich machten. Diese schuldrechtlichen Ansprüche des Vaters führten dazu, dass das Grundstück nicht als verwertbares Vermögen im Sinne von § 1603 Abs. 1 BGB anzusehen war.

Kostenentscheidung und Verfahrenswert

Das OLG Stuttgart entschied zudem, dass der Antragsteller die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Beschwerdeverfahrens zu tragen hat. Der Verfahrenswert wurde auf 29.336,00 € festgesetzt. Das Gericht sah keinen Grund, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, da der Fall keine grundsätzliche Bedeutung hatte und keine Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderte.

Die Entscheidung des OLG Stuttgart betont, dass die Verpflichtung zur Zahlung von Verwandtenunterhalt klare Grenzen hat, insbesondere wenn die Verwertung des Vermögensstammes die eigene wirtschaftliche Existenz des Unterhaltspflichtigen gefährden würde.

✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall


Die Entscheidung des OLG Stuttgart bekräftigt, dass Unterhaltspflichtige gemäß § 1603 Abs. 1 BGB nicht verpflichtet sind, ihren Vermögensstamm zu verwerten, wenn dies ihre eigene Existenz gefährdet. Bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit sind sowohl die individuellen finanziellen Verhältnisse als auch erbrechtliche Ansprüche Dritter zu berücksichtigen. Das Urteil schafft Klarheit bezüglich der Grenzen der Unterhaltspflicht und betont den Schutz des eigenen angemessenen Unterhalts des Verpflichteten.

✔ FAQ – Häufige Fragen: Grenzen der Vermögensverwertungspflicht beim Verwandtenunterhalt


Wann sind Verwandte verpflichtet, ihr Vermögen zur Deckung des Unterhalts zu verwerten?

Verwandte sind verpflichtet, ihr Vermögen zur Deckung des Unterhalts zu verwerten, wenn sie nicht in der Lage sind, den Unterhalt aus ihren laufenden Einkünften zu bestreiten. Dies ergibt sich aus § 1603 Abs. 1 BGB, der besagt, dass ein Unterhaltspflichtiger nicht unterhaltspflichtig ist, wenn er bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Verfügt der Unterhaltspflichtige jedoch über verwertbares Vermögen, so muss er dieses einsetzen, um den Unterhalt zu gewährleisten.

Die Verpflichtung zur Verwertung des Vermögensstamms ist jedoch nicht uneingeschränkt. Es gibt Ausnahmen, wenn die Verwertung unwirtschaftlich oder unbillig wäre. Beispielsweise ist es nicht zumutbar, Vermögenswerte mit ideellem Wert, wie Familiendokumente oder Trauringe, zu verwerten, insbesondere wenn der erzielbare Erlös nicht im Verhältnis zur Unterhaltspflicht steht. Auch Vermögenswerte, die zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts notwendig sind, wie eine selbstgenutzte Immobilie, fallen unter das Schonvermögen und müssen nicht verwertet werden.

Für minderjährige Kinder und privilegierte volljährige Kinder bis zum 21. Lebensjahr, die im Haushalt der Eltern leben und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden, besteht eine gesteigerte Unterhaltspflicht. In diesen Fällen sind die Eltern verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und dem Kindesunterhalt gleichmäßig zu verwenden.

Ein weiteres Beispiel betrifft den Elternunterhalt. Hier sind erwachsene Kinder grundsätzlich verpflichtet, für ihre bedürftigen Eltern finanziell einzustehen. Allerdings bleibt die eigene Altersvorsorge unangetastet, und es wird ein großzügiges Schonvermögen gewährt, um den Lebensstandard des Unterhaltspflichtigen zu sichern und zu verhindern, dass dieser im Alter auf staatliche Unterstützung angewiesen ist.

Insgesamt hängt die Pflicht zur Verwertung des Vermögens von den individuellen finanziellen Verhältnissen des Unterhaltspflichtigen ab und erfordert eine umfassende Beurteilung des Einzelfalls, wobei auch die familiären Beziehungen und die Art des Vermögens berücksichtigt werden müssen.


Welche Rolle spielt der eigene angemessene Unterhalt des Unterhaltspflichtigen bei der Verwertung des Vermögensstamms?

Der eigene angemessene Unterhalt des Unterhaltspflichtigen spielt eine zentrale Rolle bei der Verwertung des Vermögensstamms. Gemäß § 1603 Abs. 1 BGB ist ein Unterhaltspflichtiger nicht verpflichtet, Unterhalt zu zahlen, wenn er dadurch seinen eigenen angemessenen Unterhalt gefährden würde. Dies bedeutet, dass die Verwertung des Vermögensstamms nicht verlangt werden kann, wenn dadurch die Existenz des Verpflichteten gefährdet würde.

Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass der Unterhaltspflichtige grundsätzlich auch den Stamm seines Vermögens zur Bestreitung des Unterhalts einsetzen muss. Allerdings sind dabei die sonstigen Verpflichtungen des Unterhaltsschuldners zu berücksichtigen, und er darf seinen eigenen angemessenen Unterhalt nicht gefährden. Dies umfasst auch die Altersvorsorge, die neben der gesetzlichen Rentenversicherung mit weiteren 5 % vom Bruttoeinkommen betrieben werden darf. Das so gebildete Altersvorsorgevermögen bleibt im Rahmen des Elternunterhalts unangreifbar.

Ein Beispiel verdeutlicht dies: Ein unterhaltspflichtiges Kind, das über eine selbstgenutzte Immobilie verfügt, muss diese nicht verwerten, da dies als unzumutbar gilt. Auch andere Vermögenswerte, die zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts notwendig sind, fallen unter das Schonvermögen und müssen nicht verwertet werden.

Zusammenfassend schützt § 1603 Abs. 1 BGB den Unterhaltspflichtigen vor einer Verwertung seines Vermögensstamms, wenn dadurch sein eigener angemessener Unterhalt gefährdet würde. Dies stellt sicher, dass der Unterhaltspflichtige nicht in eine existenzbedrohende Lage gerät, während er seiner Unterhaltspflicht nachkommt.


Welchen Einfluss haben erbrechtliche Ansprüche Dritter auf die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen?

Erbrechtliche Ansprüche Dritter können erheblichen Einfluss auf die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen haben. Solche Ansprüche, wie Nutzungsrechte oder Nacherbfolgen, schränken die Verwertbarkeit von Vermögen ein und müssen bei der Beurteilung der Unterhaltspflicht berücksichtigt werden.

Ein Beispiel hierfür ist die Vor- und Nacherbfolge. Der Vorerbe kann über das der Vorerbschaft unterliegende Vermögen nicht völlig frei verfügen, da er für bestimmte Verfügungen die Zustimmung des Nacherben benötigt. Dies bedeutet, dass der Vorerbe das Vermögen nicht ohne Weiteres veräußern oder belasten kann, was die Verwertbarkeit des Vermögens für Unterhaltszwecke einschränkt.

Ein weiteres Beispiel betrifft Nutzungsrechte, wie das Wohnrecht in einer Immobilie. Solche Rechte können die Verwertbarkeit des Vermögens ebenfalls einschränken, da die Immobilie nicht ohne Weiteres verkauft oder vermietet werden kann, um liquide Mittel für Unterhaltszahlungen zu generieren.

Diese Einschränkungen müssen bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen berücksichtigt werden, da sie die tatsächliche Verfügbarkeit von Vermögenswerten beeinflussen. Der Bundesgerichtshof hat in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass die Verwertung des Vermögensstamms nicht verlangt werden kann, wenn dadurch der eigene angemessene Unterhalt des Unterhaltspflichtigen gefährdet würde.

Insgesamt zeigt sich, dass erbrechtliche Ansprüche Dritter die Verwertbarkeit von Vermögen erheblich beeinflussen können und daher bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen eine wichtige Rolle spielen.


§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils


  • § 1601 BGB: Verwandtenunterhaltspflicht zwischen Verwandten in gerader Linie, d.h. Eltern und Kinder sind einander unterhaltspflichtig.
  • § 1603 Abs. 1 BGB: Unterhaltspflichtiger ist nur dann leistungsfähig, wenn er den Unterhalt ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts gewähren kann. Berücksichtigt werden müssen alle sonstigen Verpflichtungen.
  • § 1603 Abs. 3 BGB: Grenzen der Unterhaltspflicht. Der Unterhaltspflichtige muss den Stamm seines Vermögens grundsätzlich nicht verwerten, wenn dies zu einem wirtschaftlich nicht vertretbaren Nachteil führt.
  • § 7 Unterhaltsvorschussgesetz (UVG): Regelt den Anspruch auf Unterhaltsvorschuss und dessen Übergang auf den Staat, der dann den Unterhaltsrückgriff gegen den Unterhaltspflichtigen geltend macht.
  • § 1577 Abs. 3 BGB und § 1581 S. 2 BGB: Diese Paragraphen enthalten Regelungen zur Billigkeitsabwägung im nachehelichen Unterhalt, sind aber nicht direkt auf den Verwandtenunterhalt anwendbar.
  • § 1939 BGB: Vermächtnis, das im Testament der Eltern eine schuldrechtliche Verpflichtung begründen kann, beispielsweise für ein Wohnrecht oder Nießbrauch.
  • § 2100 ff. BGB: Nacherbfolge, die im Testament der Eltern festgelegt wurde, wonach die Töchter erst nach dem Tod des zweiten Elternteils erben sollen.
  • § 2353 BGB: Regelungen zur Ausstellung von Erbscheinen, die lediglich deklaratorisch wirken und keine konstitutive Wirkung haben.
  • § 2365 f. BGB: Rechtswirkung des Erbscheins im Außenverhältnis, die im vorliegenden Fall zu beachten ist.
  • § 892 Abs. 1 BGB: Öffentlicher Glaube des Grundbuchs, der die Richtigkeit und Vollständigkeit der Eintragungen im Grundbuch gewährleistet.
  • § 873 BGB: Notarielle Beurkundung und Eintragung im Grundbuch erforderlich für die Wirksamkeit von dinglichen Rechten wie Nießbrauch oder Wohnungsrecht.
  • § 898 BGB: Anspruch auf Berichtigung des Grundbuchs, der unverjährbar ist, und hier vom Vater der Antragsgegnerin geltend gemacht werden könnte.
  • § 243 Nr. 1 FamFG: Kostenregelung im familiengerichtlichen Verfahren, nach der der unterlegene Antragsteller die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.
  • § 51 Abs. 2 FamGKG: Bestimmung des Verfahrenswerts im Beschwerdeverfahren, relevant für die Kostenberechnung.


⬇ Das vorliegende Urteil vom Oberlandesgericht Stuttgart

OLG Stuttgart – Az.: 18 UF 96/22 – Beschluss vom 27.06.2023

1. Der Beschluss des Amtsgerichts Bad Urach – Familiengericht -, Az.: 1 F 220/20, vom 08.06.2022 wird abgeändert. Der Antrag des Antragstellers wird zurückgewiesen.

2. Der Antragsteller trägt die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Beschwerdeverfahrens.

3. Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 29.336,00 € festgesetzt.

Gründe

1.

Der Antragsteller macht Unterhaltsleistungen gegen die Antragsgegnerin aus übergegangenem Recht gemäß § 7 Unterhaltsvorschussgesetz i.V.m. §§ 1601 ff. BGB geltend.

Der Antragsteller hat im streitgegenständlichen Unterhaltszeitraum vom 01.01.2017 bis 31.05.2020 für die Kinder der Antragsgegnerin B. Unterhaltsleistungen in Höhe von insgesamt 7.334,00 €, P. Unterhaltsleistungen in Höhe von insgesamt 8.456,00 €, J. Unterhaltsleistungen in Höhe von insgesamt 8.456,00 € und F. Unterhaltsleistungen in Höhe von insgesamt 10.611,00 € nach dem Unterhaltsvorschussgesetz erbracht.

Die Antragsgegnerin hatte im streitgegenständlichen Unterhaltszeitraum Einkommen aus einer vollschichtigen nichtselbständigen Erwerbstätigkeit. Die Wochenarbeitszeit betrug 42 Stunden. Die Fahrtstrecke vom Wohnort der Antragsgegnerin in … zu ihrer Arbeitsstelle in … betrug ca. 25 km. Die Fahrtzeit zur Arbeitsstelle mit dem eigenen Pkw belief sich einfach auf ca. 40 Minuten. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln hätte die Fahrtzeit ausweislich der vom Senat mit Google Maps durchgeführten Recherche ca. 1 Stunde 45 Minuten inklusive eines Fußwegs von 30 Minuten betragen. Die Antragsgegnerin erbrachte monatliche Zahlungen auf einen laufenden Pkw-Kredit in Höhe von monatlich 100,00 € und laufende Zahlungen an eine Inkassogesellschaft betreffend eine frühere Pkw-Finanzierung in Höhe von monatlich 100,00 €. Auf für den Antragsteller titulierte Unterhaltsrückstände bezahlte die Antragsgegnerin monatlich 100,00 €. Im Jahr 2018 betrieb die Antragsgegnerin zusätzliche Altersvorsorge in Höhe von monatlich 14,38 € und im Jahr 2019 in Höhe von monatlich 57,50 €. Im Jahr 2018 erhielt die Antragsgegnerin eine Steuererstattung in Höhe von 132,87 € (monatlich 11,07 €), im Jahr 2019 in Höhe von 104,00 € (monatlich 8,66 €) und im Jahr 2020 in Höhe von 95,75 € (monatlich 7,98 €).

Das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen der Antragsgegnerin betrug unstreitig im Jahr 2017 1.359,30 €, im Jahr 2018 1.397,01 €, im Jahr 2019 1.431,78 € und im Zeitraum Januar bis einschließlich Mai 2020 1.488,37 €.

Die Antragsgegnerin ist zusammen mit ihrer Schwester … zur Hälfte Miteigentümerin des Grundstücks … in …. Am 11.01.2013 erteilte das Amtsgericht … der Antragsgegnerin und ihrer Schwester einen gemeinschaftlichen Erbschein zu je 1/2 des Nachlasses der am 17.08.2012 in … verstorbenen Mutter der Antragsgegnerin, die vormals Alleineigentümerin des Grundstücks … in … war. Dem Erbschein lag das ausweislich des Vermerks des Amtsgerichts auf dem Testament (Bl. 154 der erstinstanzlichen Akte) am 18. September 2012 eröffnete Testament der Eltern der Antragsgegnerin zugrunde, in dem die verstorbene Mutter der Antragsgegnerin und ihr Vater, der bis zum heutigen Tage das auf dem Grundstück … in … befindliche Haus mietfrei bewohnt, u.a. verfügten, dass „bei Ableben eines Ehepartners der Verbleibende voll über die Hinterlassenschaften verfügt und dass nach dem Tod des anderen Ehepartners die beiden Töchter, …, geborene …, und …, zu gleichen Teilen erben“.

Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten wird auf die erstinstanzlich gewechselten Schriftsätze und vorgelegten Anlagen Bezug genommen.

Der Antragsteller hat erstinstanzlich zuletzt beantragt:

1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an den Antragsteller rückständigen Kindesunterhalt für das am … geborene Kind B. für die Zeit vom 01.01.2017 bis 31.05.2020 in Höhe von 7.334,00 € zu bezahlen.

2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an den Antragsteller rückständigen Kindesunterhalt für das am … geborene Kind P. für die Zeit vom 01.01.2017 bis 31.05.2020 in Höhe von 8.456,00 € zu bezahlen.

3. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an den Antragsteller rückständigen Kindesunterhalt für das am … geborene Kind J. für die Zeit vom 01.01.2017 bis 31.05.2020 in Höhe von 8.456,00 € zu bezahlen.

4. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an den Antragsteller rückständigen Kindesunterhalt für das am … geborene Kind F. für die Zeit vom 01.01.2017 bis 31.05.2020 in Höhe von 10.611,00 € zu bezahlen.

Die Antragsgegnerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt, die Anträge des Antragstellers zurückzuweisen.

2.

Das Amtsgericht hat mit der angegriffenen Entscheidung vom 14.06.2022 die Antragsgegnerin verpflichtet, an den Antragsteller rückständigen Kindesunterhalt für das am … geborene Kind B. für die Zeit vom 01.01.2017 bis 31.05.2020 in Höhe von 7.334,00 € zu bezahlen,

für das am … geborene Kind P. für die Zeit vom 01.01.2017 bis 31.05.2020 rückständigen Kindesunterhalt in Höhe von 7.334,00 € zu bezahlen,

für das am … geborene Kind J. für die Zeit vom 01.01.2017 bis 31.05.2020 in Höhe von 7.334,00 € zu bezahlen und

für das am … geborene Kind F. für die Zeit vom 01.01.2017 bis 31.05.2020 rückständigen Kindesunterhalt in Höhe von 7.334,00 € zu bezahlen.

Mit Blick auf das vorhandene verwertbare Vermögen sei die Antragsgegnerin für den Unterhalt ihrer Kinder in Höhe der bezogenen UVG-Leistungen leistungsfähig. Ausweislich der inzwischen vorliegenden Grundstücksbewertung aus dem Jahr 2015 sei von einem Verkehrswert von mindestens 400.000,00 € auszugehen, an dem die Antragsgegnerin hälftig beteiligt sei. Damit werde das Schonvermögen deutlich überschritten. Ob die Antragsgegnerin sich des Wertes bewusst gewesen sei oder diesen bewusst verschwiegen habe, könne dahinstehen. Weder im Hinblick auf die von der Antragsgegnerin zu berücksichtigenden Interessen des Vaters, dem Ersatzwohnraum beschafft werden müsste, noch ihrer Schwester, die mit einer Verwertung angeblich nicht einverstanden ist, sei keine andere Sichtweise vertretbar. Im Übrigen sei die drohende Zwangsverwertung Sache der Vollstreckung und beseitige die bestehende Leistungsfähigkeit der Antragsgegnerin zur Deckung des Kindesunterhalts nicht. Da es sich um Unterhaltsrückstände handele und der laufende Unterhalt durch öffentliche Leistungen gesichert sei, werde der Antragsteller im Interesse einer bestmöglichen Verwertung ohnehin von einer sofortigen Vollstreckung absehen.

3.

Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde vom 19.10.2022, mit der sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens einwendet, die Antragsgegnerin sei aus laufenden Einkünften nicht leistungsfähig. Die streitentscheidende Frage sei, ob die Antragsgegnerin verpflichtet sei, die im hälftigen Miteigentum mit der Schwester stehende Immobilie in …, die vom 88-jährigen Vater der Antragsgegnerin seit über 30 Jahren bewohnt werde, verwerten zu müssen. Eine Verwertung komme nur durch eine Teilungsversteigerung in Betracht. Dadurch würde der Vater obdachlos. Angesichts seines Alters sei ihm auch ein Umzug nicht zuzumuten. Angesichts des geringen Einkommens der Antragsgegnerin sei diese auch nicht in der Lage, die Immobilie zu beleihen, da sie keine laufenden Zins- und Tilgungsleistungen erbringen könne. Eine Zwangsverwertung sei in der Tat erst Sache der Vollstreckung. Vorab sei jedoch zu entscheiden, inwieweit die Antragsgegnerin jetzt die Immobilie verwerten müsse und dadurch leistungsfähig werde.

Der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren eingewandt, dass die Antragsgegnerin verpflichtet sei, ihr hälftiges Miteigentum an der Immobilie in … zu verwerten. Die dingliche Rechtslage sei eindeutig. Die angedeutete Unrichtigkeit des Erbscheins und der darauf beruhenden Eintragung im Grundbuch sei spekulativ und werde mit Nichtwissen bestritten. So sei es beispielsweise durchaus möglich, dass es nach dem Testament aus dem Jahr 1989 noch eine weitere Verfügung von Todes wegen gegeben habe, wonach die Antragsgegnerin und ihre Schwester als Alleinerbinnen eingesetzt worden seien. Es werde mit Nichtwissen bestritten, dass sich die Erbfolge nach dem Testament vom 13.03.1989 gerichtet habe. Ansonsten wäre weder ein Erbschein erteilt, noch der Grundbucheintrag vorgenommen worden. Wäre der Vater der Antragsgegnerin Alleinerbe geworden, so hätte der Antragsgegnerin ein Pflichtteil zugestanden, den die Antragsgegnerin im Hinblick auf ihre Unterhaltspflicht hätte verlangen müssen. Zudem sei der Vater der Antragsgegnerin weder gegen den Erbschein noch gegen die Grundbucheintragung seiner Töchter vorgegangen. Nutzungsrechte des Vaters an dem Grundstück seien im Grundbuch nicht eingetragen. Der Inhalt des Grundbuchs genieße nach § 892 Abs. 1 BGB aber öffentlichen Glauben, d. h. ein potentieller Erwerber könne sich auf die Richtigkeit des Grundbuchs verlassen, sofern kein Widerspruch eingetragen sei. Etwaige schuldrechtliche Beschränkungen des Veräußerers seien gegenüber dem Erwerber aber nur wirksam, wenn sie aus dem Grundbuch ersichtlich seien. Ohne notarielle Beurkundungen und Eintragungen im Grundbuch kämen gem. § 873 BGB aber weder ein Nießbrauch noch ein Wohnungsrecht an einer Immobilie wirksam zustande.

Die Argumentation mit vermeintlichen schuldrechtlichen Ansprüchen des Vaters der Antragsgegnerin ginge daher fehl. Die Schwester der Antragsgegnerin sei ja auch bereit, die Eigentumshälfte der Antragsgegnerin im Falle etwaiger Lasten zu übernehmen. Diese habe hierzu bereits am 07.06.2022 Kontakt mit der Antragstellerin aufgenommen und die Bereitschaft zum Kauf erklärt. Des Weiteren würden sich, im Falle einer unterstellten Erbfolge aufgrund des Testaments vom 13.03.1989, auch noch weitere werthaltige Ansprüche der Antragsgegnerin gegen den Bruder der Mutter ergeben (“Aufteilung des Anteils der verstorbenen Mutter am Ferienhaus …“), die ebenfalls mit Sicherheit über ein etwaiges Schuldvermögen deutlich hinausgingen.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

4.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist gem. den §§ 58 ff. FamFG zulässig. Insbesondere ist sie form- und fristgerecht erhoben.

Mit Beschluss vom 07.11.2022 wurde der Antragsgegnerin gegen die Versäumung der Beschwerdefrist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bewilligt. Die Antragsgegnerin hatte nach Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 17.10.2022 mit Schriftsatz vom 19.10.2022, eingegangen beim Amtsgericht Bad Urach am 21.10.2022, Beschwerde erhoben und diese zugleich begründet.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist auch begründet und führt zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung und Zurückweisung des Antrags des Antragstellers. Anders als das erstinstanzliche Gericht es angenommen hat, ist der Senat der Auffassung, dass die Antragsgegnerin nicht verpflichtet ist, den Stamm ihres Vermögens in Form des hälftigen Miteigentums an der Gebäude- und Freifläche, … in …, zu verwerten.

a.

Ein Unterhaltsanspruch gemäß § 1601 BGB besteht nur dann, wenn der Unterhaltsberechtigte bedürftig und der Unterhaltspflichtige leistungsfähig ist, und zwar nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur während der gleichen Zeit (BGH – XII ZR 69/01 – FamRZ 2004, 443, 444 f.; BVerfG FamRZ 2005, 1051, 1053 m.w.N.). Das war in der hier relevanten Zeit auf Seiten der dem Grunde nach unterhaltspflichtigen Antragsgegnerin auch im Hinblick auf verwertbares Vermögen nicht der Fall.

Die Verpflichtung zur Zahlung von Verwandtenunterhalt findet nach § 1603 Abs. 3 BGB dort ihre Grenze, wo der Unterhaltspflichtige bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt des Berechtigten zu gewähren. § 1603 Abs. 1 BGB gewährt damit jedem Unterhaltspflichtigen vorrangig die Sicherung seines eigenen angemessenen Unterhalts; ihm sollen grundsätzlich die Mittel verbleiben, die er zur angemessenen Deckung des seiner Lebensstellung entsprechenden allgemeinen Bedarfs benötigt. In welcher Höhe dieser Bedarf des Verpflichteten zu bemessen ist, obliegt der tatrichterlichen Beurteilung des Einzelfalls.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Unterhaltspflichtiger zwar grundsätzlich auch den Stamm seines Vermögens zur Bestreitung des Unterhalts einsetzen. Eine allgemeine Billigkeitsgrenze, wie sie § 1577 Abs. 3 BGB und § 1581 S. 2 BGB für den nachehelichen Ehegattenunterhalt vorsehen, enthält das Gesetz im Bereich des Verwandtenunterhalts nicht. Deshalb ist auch hinsichtlich des einsetzbaren Vermögens allein auf § 1603 Abs. 1 BGB abzustellen, wonach nicht unterhaltspflichtig ist, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außer Stande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Hierzu außer Stande ist jedoch nicht, wer über verwertbares Vermögen verfügt. Einschränkungen der Obliegenheit zum Einsatz des Vermögensstammes ergeben sich aber daraus, dass nach dem Gesetz auch die sonstigen Verpflichtungen des Unterhaltsschuldners zu berücksichtigen sind und er seinen eigenen angemessenen Unterhalt nicht zu gefährden braucht. Daraus folgt, dass eine Verwertung des Vermögensstammes nicht verlangt werden kann, wenn sie den Unterhaltsschuldner von fortlaufenden Einkünften abschneiden würde, die er zur Erfüllung weiterer Unterhaltsansprüche oder anderer berücksichtigungswürdiger Verbindlichkeiten oder zur Bestreitung seines eigenen Unterhalts benötigt.

Auch die Verwertung eines angemessenen selbst genutzten Immobilienbesitzes kann regelmäßig nicht gefordert werden. Allgemein braucht der Unterhaltsschuldner den Stamm seines Vermögens auch dann nicht zu verwerten, wenn dies für ihn mit einem wirtschaftlich nicht mehr vertretbaren Nachteil verbunden wäre; denn auch das wäre mit der nach dem Gesetz gebotenen Berücksichtigung der ansonsten zu erfüllenden Verbindlichkeiten nicht zu vereinbaren und müsste letztlich den eigenen angemessenen Unterhaltsbedarf des Verpflichteten in Mitleidenschaft ziehen (BGH – XII ZR 98/04 – juris Rn. 26 f.).

b.

Die Antragsgegnerin war aus ihren laufenden Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit im streitgegenständlichen Zeitraum für den Kindesunterhalt der Kinder B., P., J. und F., für die der Antragsteller UVG Leistungen erbracht hat, nicht leistungsfähig. Die diesbezüglichen zutreffenden Feststellungen und rechtlichen Bewertungen des Amtsgerichts hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren nicht angegriffen.

c.

Die Antragsgegnerin war aber auch nicht im Hinblick auf das im Grundbuch für sie eingetragene hälftige Miteigentum an dem Grundstück … in … leistungsfähig.

Der Senat hat vorliegend bereits Zweifel daran, ob die Antragsgegnerin tatsächlich nach dem Tod ihrer Mutter (Mit-)Erbin des streitgegenständlichen Grundstücks in … in … geworden ist. Nach dem Testament der Eltern der Antragsgegnerin vom 13. März 1989 sollte bei Ableben eines Ehepartners der Verbleibende voll über die Hinterlassenschaften verfügen. Erst nach dem Tod des anderen Ehepartners sollten die beiden Töchter, die Antragsgegnerin und ihre Schwester …, zu gleichen Teilen erben. Das Testament lag ausweislich des am 18.12.2012 auf dem Testament angebrachten Vermerks des Amtsgerichts auch dem der Antragsgegnerin und ihrer Schwester erteilten Erbschein zugrunde. Diese testamentarische Verfügung ist aber, anders als die Rechtspflegerin des Amtsgerichts … angenommen hat, als Anordnung einer Nacherbfolge zu verstehen (§ 2100 ff. BGB), was eine Unrichtigkeit des am 11.01.2013 erteilten Erbscheins und der darauf beruhenden Eintragung der Antragsgegnerin und ihrer Schwester im Grundbuch als Miteigentümerinnen des streitgegenständlichen Grundstücks nach sich zieht. Der Antragsteller verkennt, dass dem Erbschein keine konstitutive Wirkung zukommt und er keine Aussage über die im Rahmen von § 1603 Abs. 1 BGB maßgebliche materielle Rechtslage trifft (vgl. §§ 2353, 2365 f. BGB).

Dass der Vater den Erbschein und die Eintragung der Töchter ins Grundbuch bislang hingenommen hat, hat im Außenverhältnis die vom Antragsteller in seinem Vorbringen im Beschwerdeverfahren zutreffend beschriebenen Folgen, nämlich dass ein lastenfreier gutgläubiger Erwerb des Grundstücks durch einen Dritten möglich wäre. Dies spielt vorliegend aber keine Rolle. Bei der Frage, ob der Antragsgegnerin ein unterhaltsrechtlich relevanter Vorwurf wegen unterlassener Vermögensverwertung zu machen ist, solange die Antragsgegnerin aus ihrem Miteigentum keine Nutzungen zieht oder es verwertet, allein die materielle Rechtslage ausschlaggebend. Der Anspruch des Vaters der Antragsgegnerin auf Berichtigung des Grundbuchs ist im Übrigen unverjährbar, § 898 BGB.

Jedenfalls folgt aus dem Testament der Eltern der Antragsgegnerin, dass der Vater der Antragsgegnerin zu seinen Lebzeiten über den Grundbesitz verfügen soll, so wie es nach dem Tod der Mutter der Antragsgegnerin von den Beteiligten auch praktiziert wurde. Daraus folgt jedenfalls ein schuldrechtlicher Anspruch des Vaters der Antragsgegnerin auf Einräumung eines Nießbrauchs oder jedenfalls eines Wohnungsrechts im Wege des Vermächtnisses, § 1939 BGB (Weidlich, in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 1939 Rn. 5). Dies ist eine zu berücksichtigende Verpflichtung der Antragsgegnerin im Sinne von § 1603 Abs. 1 BGB. Solange der Vater der Antragsgegnerin Nießbraucher/Wohnungsberechtigter des Grundeigentums ist, ist das Grundstück am Markt praktisch nicht veräußerbar.

Im Hinblick auf das geringe Einkommen der Antragsgegnerin kommt auch eine darlehensweise Beleihung des Grundstücks nicht in Betracht, da die Antragsgegnerin nicht in der Lage wäre, aus ihren laufenden geringen Einkünften das Darlehen zu bedienen.

Mit dem Beschwerdevorbringen behauptete Ansprüche der Antragsgegnerin gegen den Bruder der verstorbenen Mutter sind nicht schlüssig dargelegt. Die Antragsgegnerin hat unwidersprochen vorgetragen, dass sich die Mutter der Antragsgegnerin mit dem Bruder nach der Errichtung des Testaments am 13.03.1989 über die Auseinandersetzung des Grundstücks geeinigt hatte und Ansprüche der Mutter der Antragsgegnerin gegen ihren Bruder mit dieser Einigung erledigt wurden.

d.

Der Senat hat die Beteiligten in der Verfügung vom 10.05.2023 auf die beabsichtigte Zurückweisung der Beschwerde hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt, § 68 Abs. 3 FamFG.

e.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 243 Nr. 1 FamFG. Da der Antragsteller mit seinen Anträgen voll unterlegen ist, hat er die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wurde gem. § 51 Abs. 2 FamGKG festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung ist nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern.

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