Oberlandesgericht Köln, Az.: 26 UF 107/16, Beschluss vom 08.11.2016
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 15.6.2016 wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Düren vom 3.5.2016 (Az. 25 F 387/15) abgeändert und sein Tenor wie folgt neu gefasst:
Die Anträge des Antragstellers werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen trägt der Antragsteller.
Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.122 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller wurde durch das als Anl. A 1 (Bl. 6) zur Gerichtsakte gereichte Schluss- und Versäumnisurteil vom 7.1.2008 verurteilt, an die Antragsgegnerin ab dem 1.4.2007 Trennungsunterhalt in Höhe von monatlich 223 € zu zahlen. Letztmalig fällig war der Trennungsunterhalt im Monat April 2008.
Aufgrund dieses Titels betrieb die Antragsgegnerin im Jahre 2008 die Zwangsvollstreckung. Der Antragsteller gab am 26.11.2008 die eidesstattliche Versicherung ab. Der Antragsteller verlegte in der Folge seinen Wohnsitz von E nach L, von dort zurück nach E und sodann nach O. Im Jahre 2015 trat die Antragsgegnerin erneut – durch ein Inkassobüro – an den Antragsteller heran und begehrte aus dem Titel die Zahlung von 3.122 €. Hiernach leitete sie erneut die Zwangsvollstreckung ein.
Der Antragsteller hat erstinstanzlich die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem Schluss- und Versäumnisurteil des Amtsgerichts Düren sowie die Herausgabe des Titels beantragt.
Hierzu hat er die Auffassung vertreten, die titulierten Ansprüche seien verwirkt. Da die Antragsgegnerin über sieben Jahre hinweg keine Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen habe, habe er sich darauf eingestellt, dass dies auch künftig nicht mehr erfolgen werden.
Die Antragsgegnerin hat behauptet, der Antragsteller habe sich durch mehrere Umzüge bewusst der Vollstreckung zu entziehen versucht. Nach der im Jahr 2008 abgegebenen eidesstattlichen Versicherung sei sie aus Rechtsgründen für drei Jahre an der erneuten Beantragung einer Vermögensauskunft gehindert gewesen. Aus ihrem Nichtstun habe kein schützenswertes Vertrauen entstehen können.
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 3.5.2016 die Zwangsvollstreckung für unzulässig erklärt und die Antragsgegnerin zur Herausgabe des Titels an den Antragsteller verpflichtet. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Ansprüche seien verwirkt, da die Antragsgegnerin nach der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung am 26.11.2008 in keinster Weise deutlich gemacht habe, dass sie auf die Durchsetzung ihrer Unterhaltsansprüche nicht verzichten wolle.
Gegen den ihr am 18.5.2016 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 17.6.2016 Beschwerde eingelegt. Mit der Beschwerde begehrt sie die Aufhebung des amtsgerichtlichen Beschlusses sowie die Zurückweisung der erstinstanzlich vom Antragsteller gestellten Anträge. Zur Begründung führt sie an, das Nichtstun erfülle die Kriterien des Umstandsmoments nicht, so dass die Ansprüche nicht verwirkt seien.
Der Antragsteller verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.
II.
Der Senat hat die Beteiligten am 29.9.2016 darauf hingewiesen, dass und weshalb er beabsichtigt, den Beschluss des Amtsgerichts abzuändern und die Anträge zurückzuweisen. Der Senat hat hierzu wie folgt ausgeführt:
„Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts sind die titulierten Ansprüche nicht verwirkt. Der Einwand der Verwirkung stellt einen Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung aufgrund widersprüchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) dar und setzt sich aus einem Zeit- und einem Umstandsmoment zusammen. Danach ist ein Recht verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (vgl. BGH NJW-RR 2014, 195).
Ob die Zeitspanne von sieben Jahren vorliegend geeignet ist, ein hinreichendes Zeitmoment zu begründen, kann im Ergebnis offen bleiben, da jedenfalls kein der Antragsgegnerin zuzurechnendes Verhalten vorliegt, das geeignet gewesen wäre, ein berechtigtes Vertrauen des Antragstellers zu begründen, die Antragsgegnerin werde ihre Forderungen nicht mehr weiterverfolgen. Es trifft zwar zu, dass bei der Titulierung laufender Unterhaltsforderungen dem Schutz des Schuldners ein besonderes Interesse beigemessen wird. Dieses wird maßgeblich damit begründet, dass der Schuldner bei fortlaufenden, erst nach Rechtskraft des Titels fällig werdenden Verpflichtungen einer nicht mehr zu überblickenden Schuldenlast ausgesetzt sein kann, wenn die titulierten Forderungen nicht zeitnah geltend gemacht werden. Umgekehrt bringe der Gläubiger, dessen laufenden Lebensunterhalt ein solcher Titel letztlich sicherstellen soll durch ein Nichtstun zum Ausdruck, dass er auf die titulierten Forderungen nicht angewiesen zu sein scheine. Diese Erwägungen kommen hier indes nur begrenzt zum Tragen. Der Titel vom 7.1.2008 erstreckt sich bis einschließlich Januar 2008 auf rückständigen Unterhalt. Der Gesichtspunkt einer schleichenden Überschuldung des Schuldners durch fortlaufend anwachsende, nicht vollstreckte aber gleichwohl titulierte Unterhaltsforderungen kommt hier ebenfalls nicht zum Tragen, da augenscheinlich bei Erlass des Titels das Ende der Verpflichtung zur Zahlung von Trennungsunterhalt unmittelbar absehbar war.
Da die oben dargelegte besondere Schutzbedürftigkeit des Antragstellers, die eine frühzeitige Verwirkung titulierter Forderungen herbeiführen kann, nicht vorliegt, ist die vom Antragsteller zitierte Rechtsprechung im vorliegenden Fall nicht anzuwenden. Vielmehr ist mit dem Bundesgerichtshof (NJW-RR 2014, 195) zu verlangen, dass über das reine Zeitmoment hinaus weitere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen. Das bloße Nichtstun begründet kein solches Vertrauen. Vielmehr ist bei natürlicher Betrachtungsweise davon auszugehen, dass ein Gläubiger, dem bereits die eidesstattliche Versicherung des Schuldners vorliegt, von weiteren Vollstreckungsversuchen schon aus wirtschaftlichen Gründen absieht, solange er nicht damit rechnen braucht, der Schuldner sei wieder leistungsfähig geworden. Derartige Anhaltspunkte hat der Schuldner nicht vorgetragen. Vielmehr hat er erklärt, die Beteiligten hätten zwischen 2008 und 2015 keinen Kontakt mehr gehabt. Der Bundesgerichtshof hat ausdrücklich herausgestellt, dass es bei dem Rechtsgedanken der Verwirkung in erster Linie auf das Verhalten des Berechtigten ankomme. Abgesehen von der unterlassenen Vollstreckung kontinuierlich fortlaufender, existenzsichernder Unterhaltsverpflichtungen kommt einem Nichtstun des Gläubigers grundsätzlich kein verwirkungsrelevanter Bedeutungsgehalt zu. Der Gesetzgeber hat vielmehr in § 197 BGB deutlich zum Ausdruck gebracht, in welchen zeitlichen Grenzen ein Schuldner grundsätzlich mit der Vollstreckung titulierter Forderungen rechnen muss. Der Gläubiger hat mit dem Betreiben des zum Titel führenden Verfahren bereits hinreichend seinen Willen bekundet, die Forderung durchsetzen zu wollen. Innerhalb der in § 197 BGB festgelegten Zeiträume steht es grundsätzlich zur Disposition des Gläubigers, wann er eine Vollstreckung durchführt. Dass die Antragsgegnerin bereits 2008 einen erfolgslosen Vollstreckungsversuch durchgeführt und sodann keinen weiteren unternommen hat, vermag ihr dabei nicht zum Nachteil gereichen. Obgleich schon die Antragsgegnerin in keiner Weise zu erkennen gegeben hat, sie werde künftig nicht aus dem Titel vollstrecken, ist auch nicht dargelegt, dass und inwieweit sich der Antragsteller tatsächlich auf dergleichen eingerichtet haben könnte.“
Gleichzeitig hat der Senat darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, im schriftlichen Verfahren gem. § 68 Abs. 3 FamFG zu entscheiden und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu gegeben. Der Antragsteller hat darauf mit Schriftsatz vom 24.10.2016 nochmals dargelegt, dass nach seiner Auffassung die Geltendmachung der Ansprüche verwirkt sei. Die Antragsgegnerin hätte insbesondere ihre Ansprüche trotz der Vermögenslosigkeit des Antragstellers auch weiterhin außerhalb eines kostenauslösenden Vollstreckungsverfahrens etwa durch ein einfaches Schreiben geltend machen können. Er gehe davon aus, dass ihm für das vorliegende Verfahren Verfahrenskostenhilfe zu gewähren sei, wonach die Angelegenheit in der nötigen Breite behandelt werden könne.
III.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zu der aus dem Tenor ersichtlichen Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst vollumfänglich auf die unter II. wiedergegebenen Ausführungen des Senats in dem Hinweisbeschluss vom 29.9.2016 verwiesen. Der vom Antragsteller zuletzt hiergegen erhobene Einwand, die Antragsgegnerin hätte ihre Ansprüche auch durch ein einfaches Schreiben weiterverfolgen können, ist unerheblich. Wie bereits in dem Hinweisbeschluss dargelegt, kommt es für die Verwirkung von Ansprüchen der vorliegenden Art auf konkrete Umstände an, die den Schluss zulassen, der Gläubiger werde eine titulierte Forderung künftig nicht mehr geltend machen. Vorliegend hat die Antragsgegnerin jedoch gerade nichts unternommen, was einen solchen Schluss hätte zulassen können. Insbesondere war ihr phasenweise nicht einmal der Aufenthalt des Antragstellers, der mehrfach umgezogen ist, bekannt. Solange die Antragsgegnerin „nur“ untätig geblieben ist, ohne dass ihr eine wesentliche Veränderung der Vermögensverhältnisse des Antragstellers bekannt geworden wäre, vermag daraus kein schützenswertes Vertrauen des Schuldners abgeleitet werden. Der Senat hat im Hinweisbeschluss dargelegt, dass und weshalb die in der Rechtsprechung entwickelten (besonderen) Grundsätze zur Verwirkung fortlaufender Unterhaltsverpflichtungen im Streitfall nicht einschlägig sind. Bei abgeschlossenen Unterhaltszeiträumen gelten die allgemeinen Grundsätze, wonach die zeitlichen Grenzen, innerhalb derer der Schuldner mit der Inanspruchnahme rechnen muss, vom Gesetzgeber in § 197 BGB geregelt sind. Dass die Antragsgegnerin den Antragsteller nicht durch einfache Schreiben weiterhin zur Zahlung aufgefordert hat, ist hiernach unerheblich. Es steht in den zeitlichen Grenzen des § 197 BGB grundsätzlich zur Disposition des Gläubigers, wann er eine Vollstreckung durchführt.
IV.
Der Senat entscheidet im schriftlichen Verfahren gem. § 68 Abs. 3 S. 2, 117 FamFG ohne – erneute – Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Eine mündliche Verhandlung wurde bereits in erster Instanz durchgeführt. Den Beteiligten wurde Gelegenheit gegeben, zur Rechtsauffassung des Senats Stellung zu nehmen. Ihnen wurde damit rechtliches Gehör gewährt. Von der erneuten Durchführung einer mündlichen Verhandlung sind keine erheblichen zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten.
Über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für den Antragsteller kann derzeit nicht entschieden werden. Bislang ist kein Verfahrenskostenhilfeantrag gestellt worden. Die Ausführungen im Schriftsatz vom 24.10.2016 können ohne entsprechende Klarstellung nicht mit hinreichender Deutlichkeit als Antragstellung verstanden werden. Soweit der Antragsteller sich dahingehend erklärt, wird bereits jetzt darauf hingewiesen, dass ein Verfahrenskostenhilfegesuch derzeit nicht entscheidungsreif ist, da für die zweite Instanz keine Erklärungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Antragstellers bzw. deren Veränderung gegenüber der ersten Instanz abgegeben worden sind. Eine Bewilligung wird daher auch im Lichte des § 119 Abs. 1 S. 2 ZPO erst ab dem Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Gesuchs in Betracht kommen, wobei einer Rückwirkung allenfalls auf dem Zeitpunkt der – bislang nicht erfolgten – Antragstellung in Betracht käme.
Soweit der Antragsteller angekündigt hat, er werde nach einer Verfahrenskostenhilfebewilligung „die Angelegenheit in der nötigen Breite behandeln“, hindert dies den Senat nicht an einer Entscheidung in der Sache. Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers hat in der zweiten Instanz sowohl inhaltlich auf die Beschwerde erwidert als auch zu dem Hinweis des Senats Stellung genommen. Dass sein Tätigwerden von der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe abhängen würde, kann hiernach nicht angenommen werden. Soweit der Antragsteller einerseits inhaltlich zur Beschwerde und dem Hinweisbeschluss Stellung nimmt, andererseits aber ausdrücklich Sachvortrag zurückhält, hindert dies den Senat nicht an einer Sachentscheidung. Insbesondere wurde bis unmittelbar vor den Ablauf der vom Senat gesetzten Stellungnahmefrist kein Verfahrenskostenhilfeantrag gestellt, ohne dass erkennbar ist, weshalb eine Antragstellung bis dahin unterblieben ist.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG. Die Wertfestsetzung beruht auf § 51 FamGKG.