Skip to content
Menü

Zuweisung der ehelichen Wohnung nach Scheidung

OLG Frankfurt – Az.: 6 UF 87/22 – Beschluss vom 18.07.2022

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der angefochtene Beschluss wie folgt abgeändert:

Der Antrag der Antragstellerin, ihr die Ehewohnung zur alleinigen Nutzung zuzuweisen, wird zurückgewiesen und die Absätze 2 und 3 der Ziff. 1 des Tenors entfallen.

Dem Antragsgegner wird die Wohnung in der Straße1, Stadt1, 1. Stock rechts, bestehend aus 3 Zimmern, Küche, Bad zur alleinigen Nutzung zugewiesen. Die Antragstellerin wird verpflichtet, diese Wohnung bis zum 31.12.2022 zu räumen und an den Antragsgegner herauszugeben.

Die Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000,00 Euro festgesetzt.

Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt. Zur Wahrnehmung ihrer Rechte wird ihr Rechtsanwalt A, Stadt2, beigeordnet.

Dem Antragsgegner wird für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt. Zur Wahrnehmung seiner Rechte wird ihm Rechtsanwältin C, Stadt2, beigeordnet.

Gründe

I.

Die Beteiligten sind seit 24.08.2021 rechtskräftig geschiedene Eheleute, die wechselseitig die Zuweisung der ehelichen Wohnung begehren.

Aus der Ehe der Beteiligten sind drei Kinder hervorgegangen, die am XX.XX.2008 geborene B, der am XX.XX.2010 geborene D und der am XX.XX.2014 geborene E. Die Familie lebte in der im Alleineigentum des Antragsgegners stehenden 3-Zimmer-Wohnung in Stadt1. Zur Finanzierung der Eigentumswohnung zahlt der Antragsgegner auf ein Darlehen monatlich 944,35 Euro. Zudem zahlt er ein monatliches Hausgeld von 354,06 Euro. Seit August 2019 lebten die Beteiligten zunächst innerhalb der Ehewohnung getrennt. Auf Antrag der Antragstellerin wurde die Ehewohnung für die Zeit des Getrenntlebens gemäß § 1361 b BGB durch Beschluss des Amtsgerichts vom 24.07.2020 in dem Verfahren …, auf den Bezug genommen wird, der Antragstellerin zur alleinigen Nutzung zugewiesen, weil das zum Schutz der Kinder vor einem im Wesentlichen durch den Beschwerdegegner verursachten Loyalitätskonflikt in einem schon lange anhaltenden Trennungsstreit geboten erschien. Dem Antragsgegner wurde eine Räumungsfrist bis 31.08.2020 gewährt. Die gegen den Beschluss des Amtsgerichts erhobene Beschwerde nahm der Antragsgegner zurück. Seit dem Auszug des Antragsgegners bewohnt die Antragstellerin die Ehewohnung mit den Kindern alleine. Seit 26.05.2020 wird sie von einer sozialpädagogischen Familienhilfe unterstützt. Das von dem Antragsgegner unter dem Aktenzeichen … angestrengte Sorgerechtsverfahren mit dem Ziel der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf ihn wurde mit einer Vereinbarung über die Beantragung der sozialpädagogischen Familienhilfe beendet. In dem Verfahren … wurde die Antragstellerin durch Beschluss vom 29.07.2021 verpflichtet, an den Antragsgegner monatlich 1.094,14 Euro Nutzungsentschädigung (820,00 Euro Kaltmiete und 274,14 Euro Nebenkosten) zu zahlen. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wurde der Beschluss vom Senat in dem Verfahren … teilweise abgeändert. Die Nutzungsentschädigung wurde erst ab April 2021 zuerkannt, weil eine frühere Zahlungsaufforderung fehlte und ab diesem Zeitpunkt auf monatlich 774,00 Euro herabgesetzt (240,00 € Nebenkosten + 820,00 € Kaltmiete – 286,00 € Abschlag für die Zurverfügungstellung der Wohnung für die Kinder). Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss des Senats vom 13.12.2021 Bezug genommen. Die Antragstellerin bezieht Leistungen nach dem SGB II und dem UVG und übt eine geringfügige Beschäftigung aus. Sie hat bisher keine Nutzungsentschädigung an den Antragsgegner gezahlt. Der Antragsgegner hat keinen Trennungs- oder Kindesunterhalt gezahlt. Er wurde in dem Verfahren … auf Zahlung des Mindestunterhalts für die Kinder in Anspruch genommen. Durch Beschluss vom 07.03.2022 wurde er verpflichtet, ab April 2022 monatlichen Kindesunterhalt zu zahlen, an das Kind B in Höhe von 316,90 Euro, an das Kind D in Höhe von 316,90 Euro und an das Kind E in Höhe von 254,50 Euro. Ab 01.09.2022 wurde er verpflichtet, den monatlichen Mindestkindesunterhalt an die Kinder zu zahlen. Der Antragsgegner hat gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt, die bei dem Senat unter dem Aktenzeichen … geführt wird. Der Antragsgegner begehrt die Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses und die Zurückweisung der Anträge der Kinder.

Die Antragstellerin hat während des erstinstanzlichen Verfahrens keine Anstrengungen unternommen, für sich und die Kinder eine neue Wohnung zu finden. Sie lehnte es ausweislich des Berichts der Familienhilfe vom 17.02.2022 sogar ab, einen Antrag auf eine geförderte Wohnung im Raum Stadt1 zu stellen.

Das Jugendamt hat in seiner erstinstanzlichen Stellungnahme vom 24.02.2022, auf die Bezug genommen wird, keine konkrete Kindeswohlgefährdung durch einen Umzug festgestellt, aber bei einem kurzfristigen Umzug erhebliche Nachteile für die Entwicklung der Kinder in Form einer Destabilisierung gesehen und empfohlen, der Antragstellerin eine angemessene Frist (1,5 Jahre mit Verlängerungsoption) zu setzen, um mit der Unterstützung der sozialpädagogischen Familienhilfe eine neue Wohnung in Stadt1 zu finden.

Die Antragstellerin hat erstinstanzlich beantragt, ihr die Wohnung in der Straße1, Stadt1, 1. Stock rechts, bestehend aus 3 Zimmern, Küche, Bad zur alleinigen Nutzung zuzuweisen und hilfsweise die Wohnungszuweisung bis 31.07.2023 zu befristen.

Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen und im Wege des Widerantrags verlangt, ihm die Wohnung in der Straße1, Stadt1 zur alleinigen Nutzung zuzuweisen und hilfsweise, zwischen ihm und der Antragstellerin ein Mietverhältnis unter Zahlung einer Warmmiete von 1.220,14 Euro monatlich beginnend ab dem 25.08.2021 befristet auf ein Jahr zu begründen.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht nach Anhörung der Beteiligten der Antragstellerin unter Zurückweisung des Widerantrags die Ehewohnung befristet bis zum 31.08.2022 zur alleinigen Nutzung zugewiesen und rückwirkend ab dem 25.08.2021 ein Mietverhältnis zwischen den Beteiligten begründet mit einer laufenden monatlichen Kaltmiete von 558,80 Euro und Nebenkosten in Höhe von 240,00 Euro ab Februar 2022. Zudem hat es rückständigen Mietzins ab August 2021 festgesetzt. Die Ehewohnung sei der Antragstellerin zur Vermeidung einer unbilligen Härte zuzuweisen, weil sie derzeit über keine Ersatzwohnung verfüge und ein sofortiger Auszug den Kindern, zumal während des laufenden Schuljahres, nicht zugemutet werden könne. Diese seien in Stadt1 durch den Besuch wohnortnaher Schulen, Freunde im örtlichen Umfeld und die Mitgliedschaft in Fußballvereinen sozial eingebunden, so dass bei einem kurzfristigen Umzug Nachteile für ihre Entwicklung zu besorgen wären. Die Wohnungszuweisung sei allerdings im Hinblick auf Art. 14 GG bis 31.08.2022 zu befristen, zumal der Antragsgegner seine Eigentumswohnung wieder selbst beziehen wolle und die Antragstellerin es versäumt habe, sich rechtzeitig um eine geeignete Ersatzwohnung zu kümmern. Zudem sei ein Umzug nach Ende des Schuljahres für die Kinder verträglicher als ein sofortiger Umzug.

Gegen diesen Beschluss haben beide Beteiligte Beschwerde erhoben.

Die Antragstellerin erstrebt mit ihrer am 12.04.2022 eingegangenen Beschwerde gegen den ihr am 15.03.2022 zugestellten Beschluss die Begründung eines unbefristeten Mietverhältnisses erst ab 01.11.2021 zu einem monatlichen Mietzins von 558,80 Euro und hilfsweise eine Befristung bis 31.08.2023. Gründe für eine Befristung aus Billigkeitserwägungen seien nicht ersichtlich. Die Rechte aus Art. 14 GG müssten hinter den Kindeswohlinteressen zurückstehen. Die Begründung eines Mietverhältnisses rückwirkend auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung sei unzulässig. Das Mietverhältnis habe frühestens ab Verlangen der Begründung eines Mietverhältnisses begründet werden dürfen, also frühestens ab dem erstinstanzlich im Oktober 2021 gestellten Antrag. Nebenkosten hätte das Amtsgericht nicht festsetzen dürfen. Die angesetzte Höhe der Nebenkosten sei nicht nachvollziehbar. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründung vom 09.06.2022 Bezug genommen. Mit weiterem Schriftsatz vom 09.06.2022 trägt sie vor, versucht zu haben, Wohnraum zu finden, was für eine alleinerziehende Mutter mit 3 Kindern und mit Migrationshintergrund ambitioniert sei. Es gebe keinen alternativen Wohnraum und schon gar nicht zu einem Mietzins von ca. 560,00 Euro.

Der Antragsgegner erstrebt mit seiner am 12.04.2022 eingegangenen Beschwerde gegen den ihm am 15.03.2022 zugestellten Beschluss die Wohnungszuweisung an sich und beantragt im Beschwerdeverfahren, die Antragstellerin zur Räumung und Herausgabe der Wohnung zu verpflichten. Zur Begründung führt er an, er habe in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag gestellt, insbesondere habe er den Hilfsantrag nicht stellen wollen. Es läge keine unbillige Härte vor. Das Jugendamt habe mitgeteilt, dass das Kindeswohl durch einen Umzug nicht gefährdet sei. Die Kindesmutter habe sich weder um eine Wohnung bemüht noch einen Antrag gestellt. Sie habe ab August 2020 die Möglichkeit gehabt, sich um anderen Wohnraum zu kümmern. Da die Wohnung im Alleineigentum des Beschwerdeführers stehe, dieser die Annuitäten und das Wohngeld zahle und die Antragstellerin sich nicht darum bemühe, eine andere Wohnung zu finden, sei ihm die Wohnung zur alleinigen Nutzung zuzuweisen, zumal die Antragstellerin nicht bereit sei, die titulierte Nutzungsentschädigung für die Trennungszeit und den im vorliegenden Verfahren festgesetzten Mietzins zu zahlen, obwohl sie die Kosten für die Wohnung bei dem Sozialleistungsträger gemäß § 22 SGB II geltend machen könne. Zudem nehme die Antragstellerin ihn auf Zahlung von Kindesunterhalt in Anspruch. Bei der erstinstanzlichen Berechnung des Kindesunterhalts seien die Annuitäten für die Eigentumswohnung nicht in Abzug gebracht worden. Es sei eine Gesamtschau erforderlich. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründung vom 10.05.2022 Bezug genommen.

Das Jugendamt bezieht sich im Beschwerdeverfahren im Wesentlichen auf seine erstinstanzliche Stellungnahme. Es müsse eine realistische Frist gesetzt werden, damit die Kindesmutter für sich und die Kinder eine geeignete Wohnung mit Platz für eine vierköpfige Familie und in der näheren Umgebung der bisherigen Wohnung finden könne. Es sei zu viel verlangt, von der Kindesmutter zu erwarten, dass sie neben den bisher erzielten Fortschritten bereits eine Wohnung gefunden habe müsste. Die Belange der Kinder, die auch weiterhin bei der Mutter leben sollten, seien schutzwürdig. Die Familienhilfe habe mitgeteilt, dass die Kindesmutter online und im Freundes-/Bekanntenkreis nach entsprechenden Wohnungen suche und eine Anmeldung bei der „Neuen Wohnraumhilfe“ und bei dem Wohnungsamt der Stadt1 stattgefunden habe.

Die Akten der Verfahren … (…), … (…) und … waren beigezogen.

II.

Die gemäß § 58 FamFG statthaften Beschwerden sind zulässig, insbesondere form- und fristgelegt eingelegt.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Das Amtsgericht hat der Antragstellerin die Ehewohnung zu Unrecht zur alleinigen Nutzung zugewiesen. Der angefochtene Beschluss war daher zu Ziff. 1 Abs. 1 bis 3 dahin abzuändern, dass der Antrag der Antragstellerin, ihr die Ehewohnung zur alleinigen Nutzung zuzuweisen, zurückgewiesen wird und die Absätze 2 und 3 ganz entfallen.

Nach § 1568 a Abs. 2 BGB kann der andere Ehegatte von dem Ehegatten, der Alleineigentümer der Ehewohnung ist, deren Überlassung nur verlangen, wenn dies notwendig ist, um eine unbillige Härte zu vermeiden. Bis zur Ehescheidung hat der Ehegatte, der Nichteigentümer ist, noch ein Besitzrecht. Nach der Ehescheidung sind grundsätzlich die Eigentumsverhältnisse zu beachten (Grüneberg/Götz, 81. Auflage 2022, § 1568 a BGB, Rn. 7). Wegen des Eingriffs in verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen und wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift sind an die Annahme einer unbilligen Härte hohe Anforderungen zu stellen (OLG Naumburg, FamRZ 2002, 672; OLG Köln, FamRZ 1992, 322). Die Zuweisung an den anderen Ehegatten ist nur zulässig, wenn dies dringend erforderlich ist, um eine unerträgliche Belastung abzuwenden, die ihn außergewöhnlich beeinträchtigen würde (OLG Naumburg, a. a. O.; OLG Hamm, FamRZ 2004, 888), etwa wenn ein Ehegatte für sich und die von ihm betreuten Kinder keine Wohnung finden kann (OLG Köln, FamRZ 1996, 492; Grüneberg/Götz, a. a. O., Rn. 8). Für die Annahme einer unbilligen Härte reicht es nicht aus, wenn der Umzug erhebliche Unbequemlichkeiten, auch für das gemeinschaftliche Kind mit sich bringt und auf Seiten des weichenden Ehegatten anders als beim Alleineigentümer ein dringender Wohnungsbedarf besteht. Die Schwelle wird auch nicht herabgesetzt, wenn der dinglich Berechtigte keinen oder nur geringen Unterhalt zahlt und der andere aus finanziellen Gründen keine der Ehewohnung vergleichbare Ersatzwohnung finden kann (OLG München, FamRZ 1995, 1205). Denn die Zuweisung der Ehewohnung soll nicht zu einer Art Naturalunterhalt führen, der die Unterhaltslücke schließt (BayObLG, FamRZ 1965, 513 ff.).

Nach diesen Maßstäben lagen die Voraussetzungen für die Annahme einer unbilligen Härte i. S. v. § 1568 a Abs. 2 BGB bereits im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung nicht vor. Nach Rechtskraft der Scheidung kam und kommt dem Eigentum des Antragsgegners an der Ehewohnung ein erhebliches Gewicht zu. Aus dem Vortrag der Antragstellerin ergibt sich nicht, dass die Zuweisung der Ehewohnung an sie dringend erforderlich sein könnte, um eine unerträgliche Belastung abzuwenden oder die Nichtzuweisung der Ehewohnung zu ungewöhnlich schweren Beeinträchtigungen führen könnte.

Die Antragstellerin kann sich insbesondere nicht darauf berufen, dass es für sie und die Kinder unmöglich ist, eine Ersatzwohnung zu finden. Denn sie hat trotz Kenntnis, dass ihr die Wohnung nur bis zur Rechtskraft der Scheidung zugewiesen war und dem Antragsgegner das Alleineigentum an der Wohnung zusteht, keinerlei Anstrengungen unternommen, Ersatzwohnraum zu beschaffen. Ausweislich des Berichts der sozialpädagogischen Familienhilfe hat sie es sogar abgelehnt, einen Antrag auf eine geförderte Wohnung im Raum Stadt1 zu stellen. Konkrete Bemühungen um Ersatzwohnraum hat sie ausweislich der Stellungnahme des Jugendamts erst im Beschwerdeverfahren durch Anmeldung bei der Wohnraumhilfe und dem Wohnungsamt der Stadt1 sowie durch eine online-Suche und durch Suche im Freundes- und Bekanntenkreis entfaltet. Zwar stand der Antragstellerin zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung keine andere Wohnung zur Verfügung. Der Senat ist aber davon überzeugt, dass sie bei hinreichenden Bemühungen binnen angemessener Zeit Ersatzwohnraum hätte beschaffen können bzw. beschaffen kann, zumal sie administrative Hilfe von der sozialpädagogischen Familienhilfe erhält und als Alleinerziehende mit drei Kindern bei der Vergabe von Sozialwohnungen vorrangig zu berücksichtigen ist. Entgegen der Ansicht des Jugendamts konnte von der Antragstellerin erwartet werden, dass sie in den letzten zwei Jahren neben der Sicherung ihres Lebensunterhalts und der Etablierung eines konsequenten Erziehungsstils die Wohnungssuche betreibt. Dass sie in ihrer Situation nicht einmal den von der sozialpädagogischen Familienhilfe ins Gespräch gebrachten Antrag auf geförderten Wohnraum gestellt hat, ist nicht nachvollziehbar. Auch im Übrigen ist nicht erkennbar, weshalb der Antragstellerin die Wohnungssuche nicht zumutbar gewesen sein sollte. Sie übte lediglich eine Tätigkeit auf geringfügiger Basis aus und hätte sich zumindest während des Schulbesuchs der Kinder um eine andere Wohnung bemühen können. Der Antragstellerin ist zwar zuzugestehen, dass der Wohnungsmarkt in Stadt2 und der näheren Umgebung angespannt ist. Dies rechtfertigt es aber nicht, die Wohnungssuche überhaupt nicht zu betreiben. Es bedeutet auch nicht, dass kein Wohnraum zur Vermietung steht.

Für die Annahme einer außergewöhnlich schweren Beeinträchtigung reicht es auch nicht aus, dass der Antragsgegner bisher keinen Unterhalt an die Antragstellerin und die Kinder zahlt. Die Antragstellerin bezieht Unterhaltsvorschussleistungen und Leistungen nach dem SGB II, so dass der Antragsgegner Erstattungsansprüchen der Sozialleistungsträger aufgrund übergegangener Ansprüche ausgesetzt ist. Zudem umfasst der Bedarf gemäß § 22 SGB II auch die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, soweit diese angemessen sind, so dass eine Wohnungssuche auch nicht an den wirtschaftlichen Verhältnissen der Antragstellerin scheitert.

Schließlich können auch die Belange der minderjährigen Kinder die Annahme einer unbilligen Härte nicht rechtfertigen. Eine Kindeswohlgefährdung hat das Jugendamt nicht festgestellt. Die von dem Jugendamt geäußerte abstrakte Befürchtung einer Destabilisierung der Kinder durch einen Umzug mit der Folge des etwaigen Verlusts der sozialen Bindungen in den Bildungseinrichtungen, im Freundeskreis und bei Vereinen erscheint nicht als außergewöhnlich schwere Beeinträchtigung. Die Antragstellerin und die Kinder wohnen seit zwei Jahren in der im Alleineigentum des Antragsgegners stehenden Wohnung und hatten ausreichend Zeit, die Folgen der Trennung zu verarbeiten. Nach der Stellungnahme des Jugendamts hat die Antragstellerin die Hilfe gut angenommen und mit Erfolg an einer klaren und konsequenten erzieherischen Haltung gearbeitet. Mit der Mutter und den Kindern wurden Regeln und Strukturen erarbeitet. Der Senat geht deshalb davon aus, dass die Antragstellerin mit Unterstützung der Familienhilfe die mit einem Umzug für die 7, 12 und 13 Jahren alten Kinder verbundenen Beeinträchtigungen auffangen kann, selbst wenn aufgrund des Umzugs ein Wechsel der Bildungseinrichtungen erforderlich werden sollte. Die Antragstellerin hatte und hat es auch in der Hand, durch eine ernsthafte Wohnungssuche den Zeitpunkt des Umzugs so zu gestalten, dass dieser zu Beginn des neuen Schuljahres stattfindet, was sicherlich für die Kinder weniger einschneidend wäre als ein Wechsel während des laufenden Schuljahrs.

Da die Antragstellerin nach den vorstehenden Ausführungen keinen Anspruch auf Überlassung der Ehewohnung hatte, war auch kein Mietverhältnis gemäß § 1568 a Abs. 5 BGB zwischen ihr und dem Antragsgegner ab der Rechtskraft der Ehescheidung zu begründen. Ein Anspruch auf Mietzinszahlung besteht damit für die Zeit ab Rechtskraft der Scheidung nicht. Ein etwaiger Anspruch auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung gemäß §§ 987 Abs. 1, 990, 100 BGB muss mithin vom Antragsgegner gesondert geltend gemacht werden.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist auch insoweit begründet, als das Amtsgericht seinen Widerantrag, ihm die Wohnung zur alleinigen Nutzung zuzuweisen, zurückgewiesen hat.

Da die Voraussetzungen für einen Überlassungsanspruch der Antragstellerin nach § 1568 a Abs. 2 BGB nicht vorlagen, war die Ehewohnung dem Antragsgegner als dem allein dinglich Berechtigten zuzuweisen. Begehrt der Alleineigentümer – wie hier – eine Wohnungszuweisung nach § 1568 a Abs. 1 BGB, nachdem er dem anderen Ehegatten während der Trennungszeit die Wohnung überlassen hat bzw. zu überlassen hatte, und verlangt er erst nach Rechtskraft der Scheidung die Überlassung an sich, gilt der Maßstab des § 1568 a Abs. 2 BGB analog, so dass ihm die Wohnungszuweisung nur dann zu versagen ist, wenn sich der andere Ehegatte auf eine unzumutbare Härte berufen kann (OLG Düsseldorf, FamRZ 2018, 1816; Dürbeck, in: Johannsen/Henrich/Althammer, 7. Auflage 2020, § 1568 a BGB Rn. 12). So liegt der Fall hier. Die Ehewohnung war der Antragstellerin für die Zeit des Getrenntlebens bis zur Rechtskraft der Ehescheidung am 24.08.2021 zugewiesen. Der Antragsgegner ist Alleineigentümer der Wohnung und hat seinen Überlassungsanspruch nach Rechtskraft der Scheidung geltend gemacht. Wie oben bereits ausgeführt, kann die Antragstellerin sich vorliegend auch unter Berücksichtigung der Belange der Kinder nicht auf eine unzumutbare Härte berufen.

Der Ausspruch über die Verpflichtung zur Räumung und Herausgabe der Ehewohnung und die Bewilligung der Räumungsfrist bis 31.12.2022 beruht auf § 209 FamFG. Gemäß § 209 FamFG soll das Gericht mit der Endentscheidung die Anordnungen treffen, die zu ihrer Durchführung erforderlich sind. Da die Entscheidung über die Zuweisung der Ehewohnung noch kein Räumungstitel ist, bedarf es zur Vollstreckung neben der Zuweisungsentscheidung einer expliziten Räumungsverpflichtung (Giers, in: Keidel, FamFG – Familienverfahren, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 20. Auflage 2020, § 209 FamFG Rn. 3a; Dürbeck, in : Johannsen/Henrich/Althammer, Familienrecht, 7. Auflage 2020, § 209 FamFG Rn. 4). Der Senat hält nach Abwägung der beiderseitigen Interessen der Beteiligten eine Räumungsfrist bis zum 31.12.2022 für angemessen und ausreichend. Bei der Abwägung sind insbesondere die Belange der Kinder, die besonderen Verhältnisse auf dem örtlichen Wohnungsmarkt, der individuelle Umzugsaufwand sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse und die Interessen des verbleibenden Ehepartners zu berücksichtigen (OLG München, FamRZ 1995, 1205). Bei der Bemessung der Räumungsfrist ist der Senat davon ausgegangen, dass die Lage auf dem örtlichen Wohnungsmarkt zwar angespannt ist, die Antragstellerin aber bereits seit Mitte März 2022 Kenntnis davon hatte, dass ihr die Wohnung nur befristet bis zum 31.08.2022 zugewiesen worden war und sie ab März 2022 intensive Bemühungen um eine Ersatzwohnung hätte entfalten müssen. Für eine weitere Räumungsfrist über diesen Zeitpunkt hinaus sprachen allein die Belange der Kinder. Die Verlängerung der Frist soll der Antragstellerin ermöglichen, den Umzug mit und für die Kinder verträglich zu gestalten und einen eventuell erforderlichen Wechsel der Bildungseinrichtungen reibungslos zu gewährleisten sowie die erforderlichen Anträge auf Übernahme der Kosten einer Mietwohnung bei dem Sozialleistungsträger zu stellen. Gegen eine längere Frist sprach der Umstand, dass der Antragsgegner Eigentümer der Wohnung ist, diese selbst beziehen will und der Schutz des Eigentums seit der Rechtskraft der Scheidung immer mehr Gewicht gewonnen hat. Hierbei war auch zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner den Mietzins für seine derzeitige Mietwohnung und die Lasten der in seinem Eigentum stehenden Ehewohnung alleine trägt, während die Antragstellerin bisher trotz der Titulierung für die Trennungszeit keine Nutzungsentschädigung gezahlt und auch nach Rechtskraft der Scheidung keinen Mietzins entrichtet hat. Dabei kann die Antragstellerin sich nicht darauf berufen, dass ihre wirtschaftlichen Verhältnisse die Zahlung von Nutzungsentschädigung oder Mietzins nicht erlauben. Der Senat hat sie in dem Verfahren … darauf hingewiesen, dass ebenso wie der Mietzins auch eine Nutzungsvergütung nach § 1361b Abs. 3 Satz 2 BGB zu dem von dem Leistungsträger zu erstattenden Unterkunftsbedarf zählt.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die nur befristete Begründung eines Mietvertrags und gegen die Höhe des festgesetzten Mietzinses im angefochtenen Beschluss war zur Klarstellung zurückzuweisen, da die Mietvertragsbegründung mangels Wohnungszuweisung nach § 1568 a Abs. 2 BGB entfällt und damit der Beschwerde ihre Grundlage entzogen ist.

Auf eine erneute Anhörung der Beteiligten im Beschwerdeverfahren wurde gemäß § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG nach pflichtgemäßem Ermessen verzichtet. Von einer Wiederholung dieser durch das erstinstanzliche Gericht vorgenommenen und gut dokumentierten Verfahrenshandlungen waren keine weitergehenden Erkenntnisse zu erwarten.

Die Kostenentscheidung für das erstinstanzliche Verfahren beruht auf 81 FamFG, die für das Beschwerdeverfahren auf §§ 81, 84 FamFG.

Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 48 Abs. 1 Alt. 2 FamGKG.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Familienrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Familienrecht. Von der Scheidung über den Unterhalt bis hin zum Sorgerecht.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Urteile und Beiträge aus dem Familienrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!