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Vaterschaftsanfechtung – Beginn der Anfechtungsfrist

OLG Jena – Az.: 1 WF 643/11 – Beschluss vom 20.03.2012

1. Der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Jena vom 07.10.2011 wird abgeändert.

Dem Antragsteller wird für die Rechtsverfolgung vor dem Amtsgericht ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin B., E., zu den Bedingungen eines am Ort des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwalts bewilligt.

2. Eine Kostenentscheidung sowie die Festsetzung des Beschwerdewertes sind im Verfahren über die Verfahrenskostenhilfe nicht veranlasst.

Gründe

Vaterschaftsanfechtung - Beginn der Anfechtungsfrist
Symbolfoto: Von Henrik Dolle/Shutterstock.com

Der Antragsteller hat vor dem Amtsgericht mit Antrag vom 14.06.2011, eingegangen am 16.06.2011, beantragt, festzustellen, dass die Antragsgegnerin, geboren am 25.06.1991, nicht seine Tochter ist.

Der Antragsteller hat durch Urkunde die Vaterschaft für die Antragsgegnerin anerkannt. Der Antragsgegner war mit der Kindesmutter nicht verheiratet; es wurden keine übereinstimmenden Sorgeerklärungen im Sinne von § 1626a Abs. 1 BGB abgegeben.

Der Antragsteller hat vorgetragen, er habe in der Empfängniszeit vom 29.08. bis zum 26.12.1990 der Mutter des Kindes – Frau K. U., wohnhaft S. – zwar beigewohnt. Jedoch sei es nach den inzwischen bekannt gewordenen Umständen unmöglich, dass er der Vater der Antragsgegnerin sein könne, weil das im Verfahren vor dem Amtsgericht Jena zum dortigen Az. 44 F 209/08 eingeholte Gutachten den Antragsteller ausdrücklich und eindeutig als leiblichen Vater ausschließe.

Die zweijährige Anfechtungsfrist des § 1600b Abs. 1 BGB sei eingehalten, da der Antragsteller somit erst seit dem 17.06.2009 von dem zur Anfechtung berechtigenden Sachverhalt Kenntnis erhalten habe, abgestellt auf die Kenntnis der Bevollmächtigten.

Rechtsklarheit und Rechtssicherheit erforderten die Feststellung der Nichtvaterschaft des Antragstellers.

Der Antragsteller hat bei seiner Anhörung am 15.09.2011 vor dem Amtsgericht erklärt, die Kindesmutter habe angegeben, dass er der Vater von N. sei. Nachdem sich die Mutter von N. von ihm getrennt habe, habe er Zweifel an der Vaterschaft bekommen. Er habe versucht, das außergerichtlich zu klären; das sei etwa im Jahre 2000 gewesen. Bereits damals sei außergerichtlich herausgekommen, dass er nicht der Vater von N. sei. Danach habe er beim Amtsgericht Jena Anfechtungsklage erhoben. Im Zuge der Trennung habe er gehört, dass da eventuell noch ein anderer Mann im Spiel gewesen sein könnte. Deshalb habe er das damals überprüfen lassen.

Das Anfechtungsverfahren vor dem Amtsgericht Jena sei im Jahre 2004 geführt worden. Damals sei die Prozesskostenhilfe zurückgewiesen worden, da nach Auffassung des zuständigen Gerichts die Anfechtungsfrist bereits abgelaufen war.

Der Antragsteller hat beantragt,

1. festzustellen, dass der Antragsteller nicht der leibliche Vater der Antragsgegnerin, Frau N. R., geboren am 25.06.1991, sei,

2. ihm Verfahrenskostenhilfe für die Rechtsverfolgung vor dem Amtsgericht zu bewilligen.

Die Antragsgegnerin hat keinen Antrag gestellt.

Die Antragsgegnerin hat erklärt, sie wisse, dass sie nicht die leibliche Tochter des Antragsgegners sei. Anfechtungsklage habe sie aber binnen der Zwei-Jahresfrist nicht erhoben.

Das Amtsgericht Jena hat den Antrag des Antragstellers mit Beschluss vom 29.09.2011 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Antragsteller sei anfechtungsberechtigt gemäß § 1600 BGB. Die Anfechtung sei jedoch nur innerhalb der von Amts wegen zu beachtenden Ausschlussfrist des § 1600 b BGB möglich. Bei Versäumung erlösche das Anfechtungsrecht, und zwar auch dann, wenn außergerichtlich feststehe, dass das Kind nicht von dem als Vater geltenden Mann abstamme.

Vorliegend sei die Anfechtungsfrist des § 1600 b Abs. 1 BGB verstrichen, da beim Antragsteller nach eigenen Angaben bereits im Jahr 2000 ernsthafte Zweifel an der Vaterschaft der Antragsgegnerin erweckt worden seien. Er habe daraufhin sogar eine Anfechtungsklage erhoben. Bereits in diesem Verfahren sei der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wegen Versäumung der Anfechtungsfrist zurückgewiesen worden.

Auch in dem Verfahren Az. 47 F 209/08, in dem es um den Unterhaltsanspruch der Antragsgegnerin ging, habe der Antragsteller Zweifel an seiner Vaterschaft geäußert. Im Termin vom 12.03.2009 hätten die Beteiligten daher vereinbart, ein Abstammungsgutachten einzuholen. Nach dem Ergebnis dieses Gutachtens sei der Antragsteller zwar der rechtliche, nicht aber der leibliche Vater der Antragsgegnerin. Die Anfechtungsfrist sei nach Auffassung des Gerichtes bereits im Jahr 2002, spätestens im März 2011 abgelaufen.

Der Zeitpunkt der Erörterung der eventuellen Nichtvaterschaft des Antragstellers sei im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf jeden Fall der Zeitpunkt, an dem ernsthafte Zweifel an der Vaterschaft beim Antragsteller bestanden haben. Die Zweifel seien so eminent gewesen, dass sogar ein Gutachten eingeholt worden sei. Der Antragsteller habe zudem vorgetragen, dass bereits im Jahr 2004 ein außergerichtliches Vaterschaftsgutachten eingeholt worden sei, woraus hervorgehe, dass er nicht der Vater sei.

Der Antragsteller habe von der Erhebung der Anfechtungsklage zu einem möglichen früheren Zeitpunkt abgesehen, was dazu führe, dass die Anfechtungsfrist des § 1600 b Abs. 1 BGB unwiderruflich abgelaufen und der Anfechtungsantrag abzuweisen sei.

Das Amtsgericht hat dem Antragsteller weiter mit Beschluss vom 17.10.2011 Verfahrenskostenhilfe verweigert.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der die Entscheidung des Amtsgerichts auch gleichzeitig in der Hauptsache angreift.

Er trägt vor, es sei zutreffend, dass er bereits im Jahre 2000 ernsthafte Zweifel an seiner Vaterschaft gehabt habe. Er habe ein illegales Vaterschaftsgutachten eingeholt, das er nicht habe verwerten dürfen. Im Jahre 2004 habe das Amtsgericht ihm Prozesskostenhilfe für ein Vaterschaftsanfechtungsverfahren verweigert mit der Begründung, die Anfechtungsfrist sei abgelaufen.

Das im beiderseitigen Einverständnis innerhalb des Unterhaltsverfahrens eingeholte rechtsmedizinische Gutachten sei analog zu § 1598 a BGB zu sehen. Mit der Beauftragung des Gutachtens über die Rechtsmedizin sei inzidenter die Klärung der leiblichen Abstammung des Antragsgegners erfolgt.

Erst mit Zugang des Gutachtens, mithin dem frühestens möglichen Zeitpunkt der Kenntnisnahme der im Unterhaltsverfahren Bevollmächtigten habe der Antragsteller also „sichere Kenntnis“. Damit wäre die Anfechtungsfrist aber noch gewahrt. Durch das Gutachten sei die Vaterschaft des Antragsgegners „ex tunc“ beseitigt worden.

Erst durch das Ergebnis des Gutachtens, das ohne weiteres medizinisch/fachlich und auch den Anforderungen eines im Anfechtungsverfahren einzuholenden Gutachtens entspreche, habe der Antragsteller zweifelsfrei und auch für das Gericht erkennbar, eine schlüssige Darlegung seiner Nichtvaterschaft gewährleisten können.

Der Antragsteller beantragt im Hauptsacheverfahren, den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Jena vom 29.09.2011, Az. 47 F 471/11 dahingehend abzuändern, als festgestellt wird, dass der Antragsteller nicht der leibliche Vater der Antragsgegnerin, Frau N. R., geboren am 25.06.1991, ist.

Der Antragsteller beantragt weiter, in Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts – Familiengericht – Jena vom 17.10.2011 ihm Verfahrenskostenhilfe für die Rechtsverfolgung vor dem Amtsgericht zu gewähren.

Die Antragsgegnerin hat im Beschwerdeverfahren keine Stellungnahme abgegeben.

Der Senat hat die Akten des Amtsgerichts Jena, S. ./. R., Az. 47 F 209/08, beigezogen.

II.

Die in förmlicher Hinsicht (§§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2 ZPO) Bedenken nicht begegnende Beschwerde ist begründet.

Im Einzelnen ist folgendes auszuführen:

Gemäß Art. 224 § 1 Abs. 2 EGBGB richtet sich eine Vaterschaftsanfechtung, die – wie hier – nach dem 01.07.1998 stattfindet, nach dem neuen Recht, also nach §§ 1599 Abs. 1, 1600, 1600 b Abs. 1, 1600 e Abs. 1 BGB n.F. Danach kann der Antragsteller als derjenige Mann, der als der Vater der Antragsgegnerin gilt, die Vaterschaft binnen zwei Jahren, beginnend mit dem Zeitpunkt, in dem er von den Umständen erfährt, die gegen seine Vaterschaft sprechen, anfechten.

Nach den Feststellungen des Sachverständigengutachtens des Universitätsklinikums, Rechtsmedizin, Jena vom 05.06.2009, erstellt in dem Verfahren M. S../. N. R., AG Jena, Az. 47 F 209/08, ist die Vaterschaft des Antragstellers zu der Antragsgegnerin offenbar unmöglich. Der Antragsteller hat innerhalb von zwei Jahren ab Erhalt des Gutachtens am 16.06.2011 den Antrag auf Vaterschaftsfeststellung eingereicht.

Die Vaterschaftsanfechtungsfrist ist eingehalten, wenn nach dem Ergebnis der Anhörung der Beteiligten davon auszugehen ist, dass der Antragsteller nicht länger als zwei Jahre vor Eingang des Anfechtungsantrages vom 16.06.2011 Kenntnis von Umständen hatte, die gegen seine Vaterschaft sprechen (§ 1600b Abs. 1 S. 1 BGB). Die Frist beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Anfechtungsberechtigte von den Umständen erfährt, die gegen die Vaterschaft sprechen; § 1600b Abs. 1 S. 2 BGB.

Bei der für den Beginn der Vaterschaftsanfechtungsfrist von 2 Jahren maßgeblichen Kenntnis im Sinne des § 1600b Abs. 1 S. 2 BGB ist zu unterscheiden zwischen den für die Nichtvaterschaft sprechenden objektiven Umständen, von denen volle oder sichere Kenntnis des Anfechtungsberechtigten vorliegen muss und der daraus als Schlussfolgerung zu gewinnenden möglichen Überzeugung von der eigenen Nichtvaterschaft. Der Anfechtungsberechtigte muss nicht persönlich aus den ihm bekannten Tatsachen die Überzeugung gewinnen, dass das Kind nicht von ihm abstammt. Es genügt vielmehr der objektive Verdacht, d.h. dass aus der Sicht eines verständigen, medizinisch-naturwissenschaftlich nicht vorgebildeten Laien die Vaterschaft ernstlich in Frage gestellt ist bzw. die Nichtvaterschaft nicht gänzlich fern liegt. Soweit Zweifel verbleiben über die Kenntniserlangung des Anfechtungsberechtigten über außerehelichen Geschlechtsverkehr der Mutter in der Empfängniszeit, geht dies zu Lasten des Anfechtungsgegners (BGH, FamRZ 1978, 494:“ Die bisherige Rechtsprechung des Senats darf nicht dahin verstanden werden, dass durch die Kenntnis eines Ehebruchs in der gesetzlichen Empfängniszeit stets für den Ehemann die Anfechtungsfrist in Lauf gesetzt würde“; vgl. auch BGH, FamRZ 1990, 507; OLG Rostock, FamRZ 2004, 479).

Die für den Fristbeginn maßgebliche Kenntnis liegt vor, wenn dem Anfechtungsberechtigten Tatsachen bekannt werden, die bei sachlicher Beurteilung geeignet sind, Zweifel an der eigenen Vaterschaft zu wecken und die nicht ganz fern liegende Möglichkeit der Vaterschaft eines Dritten zu begründen (OLG Karlsruhe, FamRZ 2001, 702).

Der Senat teilt die Auffassung des Amtsgerichts, dass der Antragsteller entsprechend seinen Angaben spätestens im Jahre 2000, als ein außergerichtliches Vaterschaftsgutachten eingeholt wurde, woraus hervorging, dass er nicht der Vater sei, Zweifel daran hatte, da ihm Umstände bekannt geworden waren, die gegen seine Vaterschaft sprachen.

Wie der BGH (FamRZ 2008, 501-502) entschieden hat, darf ein ohne Zustimmung des Kindes oder seines gesetzlichen Vertreters eingeholtes privates DNA-Vaterschaftsgutachten gegen den Willen des Kindes bzw. seines gesetzlichen Vertreters im Verfahren der Vaterschaftsanfechtung nicht verwertet werden, weil es auf einer nicht gerechtfertigten Verletzung des Rechts des betroffenen Kindes auf informationelle Selbstbestimmung beruht; es ist deshalb auch nicht zur schlüssigen Darstellung von Zweifeln an der Vaterschaft im Sinne des § 1600 b BGB geeignet (BGH, FamRZ 2005, 340 ff.; FamRZ 2005, 342 ff.).

Von den objektiven Umständen muss volle oder sichere Kenntnis bestehen. Dass der Antragsteller im Jahre 2004, als er ein Anfechtungsverfahren vor dem Amtsgericht Jena einleitete, ihm aber Prozesskostenhilfe wegen Fristversäumnis verweigert wurde, eine Kenntnis erlangt hat, die für einen „Anfangsverdacht“ ausreicht, ist aus dem bisherigen Vortrag des Antragstellers nicht ersichtlich. Zweifel gehen zu Lasten des darlegungs- und beweispflichtigen Kindes.

Soweit Zweifel bestehen bleiben über die Kenntniserlangung über außerehelichen Geschlechtsverkehr der Mutter in der Empfängniszeit, geht dies zu Lasten des Anfechtungsgegners (BGH, FamRZ 1990, 507). Es ist Sache des Kindes nachzuweisen, dass der klagende Vater schon früher von Umständen Kenntnis erlangt, die gegen seine Vaterschaft sprechen (OLG Koblenz, DAVorm 1976, 632). Für die Umstände, aus denen sich die nicht ganz fernliegende Möglichkeit seiner Nichtvaterschaft ergibt, ist das Kind darlegungs- und beweispflichtig ist (BGH, FamRZ 1978, 494, 495).

Der Beschwerde war daher stattzugeben.

III.

Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst, da der Beschwerdeführer aufgrund des Erfolges seiner Beschwerde keine Beschwerdegebühr zu tragen hat und im Übrigen eine Erstattung der Kosten nicht stattfindet (§ 127 Abs. 4 ZPO).

 

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