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Vollmachtserteilung – Kind in persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten zu vertreten

Vollmachtserteilung und elterliche Sorge: Eine Analyse des OLG Bremen

Das Oberlandesgericht Bremen hat in einem bemerkenswerten Beschluss vom 07.09.2023 über die Frage der elterlichen Sorge und der Wirksamkeit einer Vollmacht entschieden. Im Kern des Falles stand die Frage, ob die Vollmachtserteilung für Kind durch den Kindesvater an die Kindesmutter ausreicht, um die gemeinsame elterliche Sorge beizubehalten, oder ob eine Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf die Kindesmutter notwendig ist.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 5 UF 13/23   >>>

Das Wichtigste in Kürze


  • Oberlandesgericht Bremen entscheidet über Vollmachtserteilung und elterliche Sorge.
  • Kindesmutter beantragt alleinige elterliche Sorge, Amtsgericht Bremen stimmt zu.
  • Kindesvater legt Beschwerde ein und erteilt der Mutter eine Vollmacht für alle Bereiche der elterlichen Sorge.
  • Vollmacht als milderes Mittel gesehen, das die Übertragung der alleinigen Sorge entbehrlich macht.
  • Kindesmutter hat Bedenken gegen die Vollmacht, möchte gemeinsame elterliche Sorge nicht fortsetzen.
  • Jugendamt sieht keine Gefährdung bei gemeinsamer elterlicher Sorge; durch Vollmacht kann Mutter Entscheidungen allein treffen.
  • Bei Problemen mit der Vollmacht könnte in der Zukunft ein neuer Sorgerechtsantrag gestellt werden.

Die Hintergründe des Falles

Vollmachtserteilung – Kind
(Symbolfoto: fizkes /Shutterstock.com)

Die Kindesmutter hatte ursprünglich beim Amtsgericht Bremen beantragt, die alleinige elterliche Sorge für die gemeinsame Tochter X zu erhalten. Das Amtsgericht hatte diesem Antrag stattgegeben. Der Kindesvater legte gegen diesen Beschluss Beschwerde ein und stellte im Laufe des Verfahrens klar, dass er den Aufenthalt der Tochter bei der Kindesmutter akzeptiert. Er erteilte der Kindesmutter zudem eine Vollmacht, die es ihr ermöglicht, sämtliche Bereiche der elterlichen Sorge für das Kind allein auszuüben.

Die rechtlichen Erwägungen des OLG

Das OLG Bremen stellte fest, dass die elterliche Sorge ein hohes Gut darstellt, das durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützt ist. Jeder Eingriff in dieses Recht, wie beispielsweise die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge, muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Das bedeutet, dass eine solche Maßnahme nur dann ergriffen werden darf, wenn sie zum Wohl des Kindes notwendig ist und mildere Mittel nicht ausreichen.

In diesem Zusammenhang betonte das Gericht die Bedeutung der Vollmacht. Eine solche Vollmacht kann als milderes Mittel angesehen werden, das die Übertragung der alleinigen Sorge entbehrlich macht. Voraussetzung ist jedoch, dass die Vollmacht dem bevollmächtigten Elternteil eine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrnehmung der Kindesbelange gibt.

Die Entscheidung des OLG

Das OLG Bremen kam zu dem Schluss, dass die vom Kindesvater an die Kindesmutter erteilte Sorgerechtsvollmacht ausreichend ist, um die Belange des Kindes ohne Abstimmung mit dem Kindesvater wahrzunehmen. Das Gericht sah keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kindesvater die Vollmacht missbrauchen könnte, um Macht über die Kindesmutter auszuüben. Es wurde auch betont, dass die Kindesmutter aufgrund der erteilten Vollmacht in der Lage ist, die Kindesbelange allein wahrzunehmen.

Das Gericht hob hervor, dass die Vollmacht dem hauptverantwortlichen Elternteil erweiterte Handlungsbefugnisse gibt. Sollte es in der Zukunft zu Problemen bei der Ausübung der elterlichen Sorge durch die Kindesmutter kommen, könnte ein neuer Sorgerechtsantrag gestellt werden.

Schlussgedanken zum OLG-Beschluss

Das Urteil des OLG Bremen unterstreicht die Bedeutung der elterlichen Sorge und die hohen Anforderungen, die an einen Eingriff in dieses Recht gestellt werden. Es zeigt auch, dass eine Vollmacht ein wirksames Instrument sein kann, um die Interessen des Kindes zu wahren und gleichzeitig die Rechte beider Elternteile zu respektieren. Das Urteil macht deutlich, dass das Wohl des Kindes immer im Mittelpunkt stehen muss und dass die Gerichte sorgfältig prüfen müssen, welche Maßnahmen im besten Interesse des Kindes sind.

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Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Bremen – Az.: 5 UF 13/23 – Beschluss vom 07.09.2023

Auf die Beschwerde des Kindesvaters wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Bremen vom 23.12.2022 dahingehend abgeändert, dass der Antrag der Kindesmutter auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für die am […] 2015 geborene gemeinsame Tochter X mit der Folge zurückgewiesen wird, dass es bei der gemeinsamen elterlichen Sorge der Kindeseltern verbleibt.

Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Kindeseltern je zur Hälfte; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Kindeseltern streiten über das Sorgerecht für ihre Tochter (nachfolgend: X).

Der Kindesvater, […], und die Kindesmutter, […], haben am […] 2011 die Ehe miteinander geschlossen, aus der am […] 2015 X hervorgegangen ist.

Nach ihrer Darstellung vollzog die Kindesmutter bereits 2016 eine emotionale Trennung vom Kindesvater, setzte jedoch aufgrund dessen einschüchternden Verhaltens ihren Trennungswunsch seinerzeit nicht über die Nutzung getrennter Schlafzimmer hinausgehend um. Einen im Mai 2019 eingereichten Scheidungsantrag nahm die Kindesmutter wenige Monate später wieder zurück. Im Oktober 2020 zog sie mit X in eine andere Wohnung und stellte gleichzeitig beim Familiengericht (Gesch.-Nr.: 69 F 3150/20) den Antrag, ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Tochter im Wege einstweiliger Anordnung zu übertragen. In jenem Verfahren wurden im Termin vom 30.10.2020 unter anderem die Einholung eines Sachverständigengutachtens in einem Hauptsacheverfahren sowie eine einem paritätischen „Wechselmodell“ entsprechende Betreuung Xs durch beide Elternteile für die Dauer des Hauptsacheverfahrens vereinbart. Zu dem in Aussicht genommenen Hauptsacheverfahren kam es indes nachfolgend nicht mehr, weil die Kindesmutter dem Familiengericht unter dem 11.12.2020 mitteilte, dass die Kindeseltern mit X wieder im gemeinsamen Haushalt lebten, sodass ein Hauptsacheverfahren nicht mehr erforderlich sei.

Am 16.07.2021 beantragte die Kindesmutter sodann bei Familiengericht, ihr im Wege einstweiliger Anordnung zum einen die Ehewohnung zuzuweisen (Gesch.-Nr.: 69 F 2299/21) und zum andern die elterliche Sorge für X zu übertragen (Gesch.-Nr.: 69 F 2300/21). Gleichzeitig tauschte sie die Schlösser der Ehewohnung – einer Doppelhaushälfte, deren andere Hälfte von ihren Eltern bewohnt wird – aus und machte dem Kindesvater dadurch den weiteren Zutritt unmöglich. Mit Beschluss vom 8.8.2021 übertrug das Familiengericht der Kindesmutter im Wege einstweiliger Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für X. Mit Beschluss vom 9.8.2021 überließ es der Kindesmutter im Wege einstweiliger Anordnung die eheliche Wohnung für die Dauer des Getrenntlebens der Kindeseltern zur alleinigen Nutzung und untersagte dem Kindesvater das Betreten der Immobilie.

Das Trennungsgeschehen und die jeweiligen Beiträge der sich wechselseitig massives Fehlverhalten vorwerfenden Kindeseltern dazu werden von diesen überwiegend höchst divergent dargestellt.

Seit Juni 2021 findet zwischen X und dem Kindesvater kein Kontakt mehr statt; X lehnt diesen ab.

In dem vorliegenden (Hauptsache-)Verfahren, das der Kindesvater am 26.8.2021 eingeleitet hat, hat das Familiengericht, nachdem die Kindeseltern zuletzt wechselseitig jeweils die Übertragung der elterlichen Sorge für X auf sich allein beantragt hatten, nach Einholung eines schriftlichen psychologischen Gutachtens der Sachverständigen S vom 28.6.2022 mit Beschluss vom 23.12.2022, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, unter Zurückweisung des Antrags des Kindesvaters der Kindesmutter die elterliche Sorge für X, die es in diesem Verfahren mit Verweis auf ein von der Sachverständigen festgestelltes Risiko einer Kindeswohlgefährdung – anders als zuvor am 4.8.2021 im Verfahren zur Gesch.-Nr. 69 F 2300/21 – nicht persönlich angehört hat, übertragen.

Gegen diese Entscheidung, die ihm am 30.12.2022 zugestellt worden ist, wendet sich der Kindesvater mit seiner am 26.1.2023 beim Familiengericht eingelegten Beschwerde, mit der er zunächst beantragt hat, ihm in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung die elterliche Sorge für X zu übertragen und über die Sache nach persönlicher Anhörung des Kindes zu entscheiden. Zur Begründung seines Rechtsmittels hat er unter Heranziehung einer von Prof. Dr. Z unter dem 27.2.2023 für ihn erstellten „Expertise“ angebliche methodische und fachliche Mängel des vom Familiengericht eingeholten Sachverständigengutachtens gerügt, insbesondere beanstandet, dass die Sachverständige keinen Vater-Kind-Kontakt beobachtet habe, und darüber hinaus im Wesentlichen Folgendes geltend gemacht: Nach Vereinbarung des Wechselmodells im Oktober 2020 habe X keine Scheu vor ihm gezeigt, sondern die Zeit mit ihm genossen. Ihre Beziehung zu ihm sei problemlos und liebevoll gewesen. Seit dem Austausch der Schlösser zur Ehewohnung verweigere die Kindesmutter einseitig jede direkte Kommunikation mit ihm und sei nicht bereit, an einer Verbesserung zu arbeiten, an der er interessiert sei. Über die Schulwahl sei eine Verständigung der Kindeseltern per E-Mail möglich gewesen. Auch ansonsten sei die schriftliche Kommunikation zwischen ihnen sachlich und lösungsorientiert. Es sei ihnen also möglich, gemeinsame Entscheidungen für X zu treffen. Gegebenenfalls könne dazu professionelle Begleitung herangezogen werden. Einer Allleinsorge der Kindesmutter bedürfe es jedenfalls nicht. Allenfalls käme eine Übertragung lediglich des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Kindesmutter in Betracht. Zudem wäre eine Vollmachtlösung als milderes Mittel in Betracht zu ziehen. Keinesfalls sei er bereit, sich dauerhaft völlig aus dem Erleben des Kindes zu verabschieden, wie es augenscheinlich das Ziel der Kindesmutter sei. Die Übertragung der gesamten elterlichen Sorge auf die Kindesmutter in Verbindung mit dem Ausschluss seines Umgangs mit X führe dazu, dass die Kindesmutter keine Motivation habe, ihr Verhalten zu ändern. Sie werde ihn daher weiterhin „dämonisieren“ und keine Veranlassung haben, den Kontakt der Tochter zu ihm zu fördern. Der Verlust des Vaters werde für Xs Entwicklung langfristig gravierende Folgen haben und entspreche nicht dem Kindeswohl. Im Übrigen hätte das Familiengericht auf eine Anhörung des Kindes im vorliegenden Verfahren nicht verzichten dürfen. Es sei fraglich, ob ein autonomer Kindeswille vorliege.

Die Kindesmutter hat mit Schriftsatz vom 15.3.2023 die erstinstanzliche Entscheidung verteidigt, die Zurückweisung der Beschwerde beantragt und insbesondere geltend gemacht, dass Grundlage für eine Verbesserung der Kommunikation zwischen den Kindeseltern zunächst wäre, dass der Kindesvater das eigene Verhalten reflektieren, eigene Anteile an der Situation erkennen und sein künftiges Verhalten am Kindeswohl und an einer respektvollen Elternschaft ausrichten müsste, wozu er aber nicht in der Lage sei. Vielmehr nehme er nach den Feststellungen der Sachverständigen die Trennung von der Kindesmutter als „existenzbedrohend“ wahr und sei unfähig, sich emotional von ihr zu lösen, was zu einer „dysfunktionalen Trennungsbewältigung“ geführt habe. Dadurch sei X aus seinem Fokus geraten. Es seien nicht die vermeintlichen Verhaltensweisen der Kindesmutter, sondern das eigene Erleben Xs mit dem Kindesvater, das zu dessen Ablehnung durch die Tochter geführt habe.

Der Verfahrensbeistand hat sich in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 29.3.2023 zunächst dafür ausgesprochen, die Beschwerde des Kindesvaters zurückzuweisen. Die Kindeseltern seien in so erheblichem Maße zerstritten, dass die für die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge notwendige Kommunikationsbasis nicht gegeben sei. Für X sei es letztendlich wichtig, dass möglichst weitere Konflikte zwischen den Kindeseltern vermieden werden. Diese gebe es seit nunmehr über zwei Jahren in ganz erheblichem Umfang. Versuche, Gespräche zu führen, seien letztendlich gescheitert. Die Auswirkungen der bestehenden Schwierigkeiten auf X seien ganz erheblich gewesen. Dies gelte es in Zukunft zu vermeiden. Für Xs Entwicklung sei es wichtig, dass sie sich, unabhängig von dem Streit der Kindeseltern, auf ihre eigenen Entwicklungsaufgaben und ihre Bedürfnisse konzentrieren dürfe. Dies wäre aufgrund der zwischen den Eltern bestehenden Kommunikationsschwierigkeiten nicht gegeben, wenn es bei der gemeinsamen elterlichen Sorge verbliebe. Eine Verbesserung des Verhältnisses der Kindeseltern und damit auch ihrer Kommunikationsebene wäre zwar wünschenswert. Dies sei auch mit Unterstützung versucht worden, jedoch erfolglos geblieben. Vor diesem Hintergrund sei die erstinstanzliche Entscheidung zutreffend und aufrechtzuerhalten.

Der Senat hat die Sache mit den Beteiligten am 15.6.2023 erörtert. Der Termin diente zugleich der Erörterung im zur Geschäftsnummer 5 UF 14/23 des Senats (= 69 F 15/22 AG Bremen) geführten Umgangsverfahren, das die Beschwerde des Kindesvaters gegen den – weiteren – Beschluss des Familiengerichts vom 23.12.2022 betraf, mit dem dieses das Umgangsrecht des Kindesvaters mit X für die Dauer von zehn Monaten ausgeschlossen hat, und welches mit der vom Kindesvater im Termin erklärten Beschwerderücknahme abgeschlossen worden ist. Zum vorliegenden Sorgerechtsverfahren äußerte die Kindesmutter unter anderem, dass sie aktuell keine Möglichkeit sehe, mit dem Kindesvater gemeinsam Entscheidungen zu treffen. Der Kindesvater gab an, eine gleichberechtigte Elternschaft anzustreben und vor allem nicht die gesamte elterliche Sorge verlieren zu wollen. Zu dem Hinweis der Kindesmutter auf eine im Herbst 2023 bei X anstehende kieferorthopädische Behandlung bemerkte er, dass er gegen diese Behandlung und deren Veranlassung durch die Kindesmutter keine Bedenken habe. Der Verfahrensbeistand bezeichnete im Rahmen seiner Stellungnahme unter anderem eine „Vollmachtlösung“ für denkbar, verbunden mit der Anmerkung, dass die von X benötigte Ruhesituation am klarsten gegeben wäre, wenn es nur einen Entscheidungsträger gäbe, der den anderen Elternteil umfassend informierte. Im weiteren Verlauf erklärte die Verfahrensbevollmächtigte des Kindesvaters für diesen zu Protokoll: „Der Kindesvater erteilt hiermit der Kindesmutter die Vollmacht, sämtliche Bereiche der elterlichen Sorge für das Kind umfassend allein auszuüben.“ Zudem stellte der Kindesvater klar, dass – anders als im Beschwerdeantrag formuliert – Ziel der Beschwerde im Hinblick auf die Vollmacht die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge sei, und dass er den Aufenthalt Xs bei der Kindesmutter akzeptiere. Die Kindesmutter betonte, dass sie ungeachtet einer Sorgerechtsvollmacht den Fortbestand der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht befürworte. Sie halte die Bereitschaft des Kindesvaters, ihr eine Vollmacht zu erteilen, lediglich für ein taktisches Mittel, um wieder Macht ausüben zu können. Wenn einmal eine beiderseitige „Psychohygiene“ – eine solche war zuvor von der Sachverständigen angeregt worden – erfolgt sein werde, wäre für sie gegebenenfalls wieder ein gemeinsames Sorgerecht denkbar. Zu berücksichtigen sei bei ihrer Haltung auch, dass der Kindesvater unter anderem ihren Vater mehrfach bedroht habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird ergänzend auf das Sitzungsprotokoll vom 15.6.2023 und den diesem als Anlage beigefügten Anhörungsvermerk vom 16.6.2023 Bezug genommen.

Im Anschluss an den Erörterungstermin vom 15.6.2023 ist den Beteiligten unter anderem Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme zu der Frage gegeben worden, ob und aus welchen Gründen sie im vorliegenden Fall eine Sorgerechtsvollmacht zur Abwendung einer Sorgerechtsübertragung (nicht) für geeignet halten.

Der Kindesvater hat mit Schriftsatz vom 30.6.2023 ergänzend zu der zum Protokoll der Sitzung vom 15.6.2023 abgegebenen Erklärung eine von ihm unterzeichnete, vom 16.6.2023 datierende Sorgerechtsvollmacht zur Akte gereicht (Bl. 625 ff. d. A.), auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird. Er vertritt die Ansicht, dass die Kindesmutter mit dieser Vollmacht in der Lage sei, die Interessen des Kindes umfassend alleine zu vertreten, so dass ihm die elterliche Sorge nicht entzogen werden dürfe, zumal er den gewöhnlichen Aufenthalt Xs im mütterlichen Haushalt nicht in Frage stelle und akzeptiert habe, dass er aktuell keinen Umgang mit X hat.

Die Kindesmutter meint, die protokollierte Vollmachterteilung rechtfertige keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Mit Schriftsatz vom 10.7.2023 beanstandet sie unter anderem, dass ihr nicht die Originalvollmacht, sondern nur eine Kopie vorliege, die im Rechtsverkehr keine Akzeptanz finden werde, und dass die Vollmacht aus von ihr näher genannten Gründen inhaltlich unzureichend sei. Außerdem sei nicht zu erwarten, dass der Kindesvater hinreichend verlässlich in der Lage sein werde, seine Mitwirkungshandlungen zu erbringen, die unter Umständen auch im Falle einer bestehenden Vollmacht notwendig werden können, z. B. wenn Dritte die Vollmacht nicht akzeptierten. Für diese Annahme spreche, dass der Kindesvater trotz bestehenden Umgangsausschlusses X am 3.7.2023 eine Einladungskarte zu einer Gartenparty habe zukommen lassen. Dies belege, dass der Kindesvater sich nicht an gerichtliche Beschlüsse oder Absprachen halte und auch nicht in der Lage sei, sein Verhalten an sachverständigen Feststellungen auszurichten.

Der Verfahrensbeistand hat unter dem 5.7.2023 vor allem die Wichtigkeit betont, dass X betreffende Entscheidungen nicht durch die zwischen den Eltern bestehenden Streitigkeiten „blockiert“ oder im Rahmen einer Vollmacht getroffene Entscheidungen vom Vater revidiert werden, weil sich dies sonst unmittelbar auf X auswirken würde. Unter dem 19.7.2023 hat der Verfahrensbeistand mit Rücksicht auf die von der Kindesmutter angeführte Einladungskarte Zweifel daran geäußert, ob es dem Kindesvater gelingen werde, sich an Absprachen im Rahmen einer Sorgerechtsvollmacht zu halten.

Der Kindesvater hat mit Schriftsatz vom 21.7.2023 erklärt, ein Original der Vollmacht per Einschreiben direkt an die Kindesmutter – diese hat unter dem 8.8.2023 indes wiederum mitgeteilt, es handele sich „nicht um das Original, sondern scheinbar um eine Kopie“ – übermittelt zu haben und dies mit Schriftsatz vom 18.8.2023 nochmals bestätigt. Er vertritt die Auffassung, die darin enthaltene Beschränkung im Innenverhältnis stehe der Wirksamkeit der Vollmacht im Außenverhältnis nicht entgegen. Sollte er die Vollmacht widerrufen oder sich nicht kooperativ verhalten, werde er keine Möglichkeit mehr haben, die Übertragung des Sorgerechts auf die Kindesmutter zu verhindern. Er beabsichtige auch nicht, den Umgang mit X zeitnah wieder zu beantragen, sondern werde seinen Umgangswunsch von Xs Entwicklung und ihrer Bereitschaft zum Umgang abhängig machen. Er habe X am 3.7.2023 eine Einladungskarte zum Sommerfest geschrieben, und zwar mit der Bitte an die Kindesmutter, diese in Xs „Kiste“ zu legen. Hierbei handele es sich um ein früher mit Frau […] vom Jugendamt und der Kindesmutter besprochenes Prozedere, nach dem er X schreiben kann, diese Briefe aber X nicht ausgehändigt, sondern für einen späteren Zeitpunkt aufbewahrt werden. Es sei ihm wichtig, für X dokumentieren zu können, dass er sie in der langen Zeit der Abwesenheit sehr vermisst hat. Er werde zukünftig seine Briefe an X in seinem eigenen Haushalt aufbewahren.

Das Jugendamt sieht ausweislich seiner Stellungnahme vom 6.7.2023 keine Anhaltspunkte dafür, dass das gemeinsame Ausüben der elterlichen Sorge beider Elternteile für X eine Gefährdung darstellt und die Entscheidungen nicht zum Wohle des Kindes getroffen werden. Durch das Ausstellen einer vollumfänglichen Sorgerechtsvollmacht des Kindesvaters an die Kindesmutter könne diese Entscheidungen für X allein treffen. Der Kindesvater habe jedoch ein umfängliches Informationsrecht. Im Fall der gemeinsamen elterlichen Sorge sei der Kindesvater befugt, von Beteiligten aus dem System der für X installierten Hilfen Informationen zu erhalten, ohne in einen direkten, persönlichen Kontakt mit der Kindesmutter treten zu müssen. Dies könnte aufgrund der Hochstrittigkeit von Vorteil sein und Konflikte durch direkte Konfrontationen zwischen den Kindeseltern vermeiden. Beide Eltern hätten sich gegenüber dem Jugendamt bereit erklärt, an Terminen im Rahmen einer Trennungs- und Scheidungsberatung teilzunehmen, die voraussichtlich Mitte August 2023 beginnen werde. Durch die Begleitung von zwei Fachkräften könne es den Eltern in einem sicheren Rahmen gelingen, Informationen auszutauschen und Entscheidungen für X abzustimmen. Auch wenn es derzeit keinen Kontakt zwischen X und dem Kindesvater gebe, sei es wichtig, diesen mit einzubeziehen. Es werde davon ausgegangen, dass beide Elternteile trotz der Konflikte im Sinne des Kindes handeln und entscheiden können und zum Wohle des Kindes beitragen. Die vollumfängliche Vollmacht biete der Kindesmutter alleinige Entscheidungsfreiheit und könne aus Sicht des Jugendamts zur Abwendung einer Sorgerechtsübertragung geeignet sein.

Die Sachverständige hat auf die im Erörterungstermin vom 15.6.2023 vom Senat an sie gerichtete Bitte, nochmals Kontakt zu X aufzunehmen und sodann mitzuteilen, ob deren Anhörung durch den Senat mit dem Kindeswohl vereinbar ist, mit Schreiben vom 20.6.2023, auf dessen Inhalt wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, die Einschätzung abgegeben, dass mit Blick auf das Risiko einer Kindeswohlgefährdung auf eine gerichtliche Anhörung Xs verzichtet werden sollte. Der Verfahrensbeistand hat sich dieser Einschätzung in seiner Stellungnahme vom 26.6.2023 angeschlossen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt sowie auf den Inhalt der beigezogenen Akten des Familiengerichts zu Gesch.-Nrn. 69 F 1747/19, 69 F 3150/20, 69 F 2299/21, 69 F 2300/21, 69 F 2448/21 und 69 F 15/22 Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Kindesvaters ist begründet und führt – mit der Folge, dass es bei der gemeinsamen elterlichen Sorge der Kindeseltern verbleibt –, zu der aus dem Tenor dieses Beschlusses ersichtlichen Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Die erstinstanzliche Entscheidung ist zwar rechtsfehlerfrei ergangen und vom Familiengericht ausgesprochen gut begründet worden. Zum Zeitpunkt ihres Erlasses lagen die Voraussetzungen für eine Übertragung der elterlichen Sorge für X auf die Kindesmutter nach § 1671 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch aus Sicht des Senats vor. Das Familiengericht ist, nicht zuletzt mit Rücksicht auf die von der Sachverständigen getroffenen Feststellungen – an deren Richtigkeit, ohne dass dies hier einer weiteren Vertiefung bedarf, das vom Kindesvater vorgelegten Privatgutachten nach Auffassung des Senats keine relevanten Zweifel aufzuwerfen geeignet ist –, zutreffend davon ausgegangen, dass es den Kindeseltern derzeit an dem für eine gemeinsame Sorgerechtsausübung notwendigen Mindestmaß an Fähigkeit und Bereitschaft fehlt, miteinander kindeswohlverträglich zu kommunizieren und zu kooperieren. Darüber hinaus waren die Kindeseltern damals uneins über den Lebensmittelpunkt ihrer Tochter. Während der Kindesvater das Wechselmodell anstrebte, favorisierte die Kindesmutter das Residenzmodell mit festem Lebensmittelpunkt Xs in ihrem Haushalt. Schließlich lehnten beide Elternteile im Termin des Familiengerichts vom 7.10.2022 eine vom Verfahrensbeistand vorgeschlagene Vollmachtlösung ab. Unter diesen Umständen kam seinerzeit allein die Übertragung der elterlichen Sorge auf die das – gegenwärtig jeglichen Kontakt zum Kindesvater ablehnende – Kind seit der räumlichen Trennung der Kindeseltern allein betreuende Kindesmutter in Betracht.

Allerdings kann an dieser Entscheidung aufgrund der zwischenzeitlich im Verlauf des Beschwerdeverfahrens eingetretenen Entwicklungen nicht festgehalten werden. Nachdem der – nunmehr die Beibehaltung des gemeinsamen Sorgerechts anstrebende – Kindesvater ausdrücklich klargestellt hat, den Lebensmittelpunkt Xs im Haushalt der Kindesmutter nicht mehr in Frage zu stellen, ferner den vom Familiengericht ausgesprochenen befristeten Umgangsausschluss durch Rücknahme seiner Beschwerde im Verfahren 5 UF 14/23 (= 69 F 15/22 AG Bremen) akzeptiert und schließlich der Kindesmutter eine umfangreiche Sorgerechtsvollmacht erteilt hat, lässt sich eine – vollständige oder teilweise – Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht (mehr) rechtfertigen. Vielmehr ist der Alleinsorgeantrag der Kindesmutter zurückzuweisen und hat es bei der gemeinsamen elterlichen Sorge der Kindeseltern insgesamt zu verbleiben.

Da mit der Aufhebung der gemeinsamen Sorge und der Übertragung der Alleinsorge auf den antragstellenden Elternteil gemäß § 1671 BGB zwangsläufig ein Eingriff in das durch Art. 6 Abs. 2 GG geschützte Elternrecht des anderen Elternteils verbunden ist, unterliegt auch die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, sodass sie nur in Betracht kommt, wenn dem Kindeswohl nicht durch mildere Mittel als die Sorgerechtsübertragung entsprochen werden kann (vgl. BVerfG FamRZ 2019, 802). Als ein milderes Mittel, das die Sorgerechtsübertragung entbehrlich machen kann, kommt nach der Rechtsprechung des BGH die Bevollmächtigung eines mitsorgeberechtigten Elternteils durch den anderen in Betracht, wenn und soweit sie jenem eine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrnehmung der Kindesbelange gibt, was allerdings auch eine ausreichende Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern voraussetzt, soweit eine solche unter Berücksichtigung der durch die Vollmacht erweiterten Handlungsbefugnisse des bevollmächtigten Elternteils unerlässlich ist (BGH NJW 2020, 2182, 2184). Dass bei Vorliegen dieser Voraussetzungen eine Übertragung des Sorgerechts unterbleiben muss, folgt zwingend aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Denn ein Eingriff in die elterliche Sorge als Bestandteil des Elternrechts muss stets auf das im Sinne des Kindeswohls und der beiderseitigen Elternrechte erforderliche Maß begrenzt bleiben. Der Eingriff ist aber nicht erforderlich, wenn die Handlungsbefugnisse des Elternteils bereits durch die Vollmacht erweitert sind und dieser dadurch in die Lage versetzt wird, in den maßgeblichen Kindesbelangen allein tätig zu werden. Infolge der ihm erteilten Vollmacht ist der Elternteil dann auch ohne Abstimmung mit dem anderen Elternteil ausreichend handlungsfähig und trägt dementsprechend die Hauptverantwortung für das Kind. Die Vollmacht ermöglicht so vor allem, dass Konflikte in der Kommunikation und Kooperation mit dem anderen Elternteil weitgehend vermieden werden können (BGH NJW 2020, 2182, 2185 unter Hinweis auf Geiger/Kirsch FamRZ 2009, 1879, 1884). Ob die Vollmacht unter den gegebenen Umständen ausreicht, um die Kindesbelange verlässlich wahrnehmen zu können, ist dabei im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden und bestimmt sich nach den für die Sorgerechtsübertragung nach § 1671 BGB anerkannten Kriterien, wobei die Erforderlichkeit einer (teilweisen) Sorgerechtsübertragung stets mit Blick auf die erteilte Vollmacht und die durch sie erweiterten Handlungsbefugnisse des hauptverantwortlichen Elternteils zu beurteilen ist (BGH NJW 2020, 2182, 2185).

Im vorliegenden Fall erachtet der Senat die vom Kindesvater der Kindesmutter erteilte Sorgerechtsvollmacht nach den vorgenannten Grundsätzen als geeignetes, gegenüber einer Sorgerechtsübertragung milderes Mittel, das die Kindesmutter hinreichend in die Lage versetzt, die Belange Xs ohne Abstimmung mit dem Kindesvater wahrzunehmen, sodass Konflikte zwischen den Kindeseltern im Zusammenhang mit für die gemeinsame Tochter zu treffenden Entscheidungen, durch die X in den elterlichen Konflikt involviert werden könnte, ausreichend sicher vermieden werden können, wie es nach den Feststellungen der Sachverständigen unbedingt notwendig ist.

Der Kindesvater hat die Kindesmutter umfassend bevollmächtigt. Bereits durch die von seiner Verfahrensbevollmächtigten im Termin vom 15.6.2023 zu Protokoll des Senats abgegebene Erklärung hat er deutlich gemacht, es der Kindesmutter im Wege der Vollmacht ermöglichen zu wollen, sämtliche Bereiche der elterlichen Sorge für X allein ausüben zu können. Mit der von ihm unter dem 16.6.2023 erstellten schriftlichen Vollmacht, in der er sich nochmals ausdrücklich mit dem Lebensmittelpunkt Xs bei der Kindesmutter einverstanden erklärt, hat er sodann die Kindesmutter mit sofortiger Wirkung „in Form einer Generalvollmacht zur Vertretung unseres Kindes in allen persönlichen und vermögensrechtlichen Angelegenheiten, soweit dies gerichtlich und außergerichtlich zulässig ist“ zur Ausübung der elterlichen Sorge auch in seinem Namen bevollmächtigt und dabei lediglich exemplarisch und – wie das Wort „insbesondere“ verdeutlicht – offenkundig nicht abschließend einzelne in Betracht kommende Entscheidungen in persönlichen Angelegenheiten konkret benannt. Der Umfang der Vollmacht macht die Kindesmutter mithin uneingeschränkt allein handlungsfähig für X.

Soweit die Kindesmutter geltend macht, ihr liege das Original der Vollmachturkunde nicht vor, sondern nur eine Kopie, steht dies zum einen im Widerspruch zu der Erklärung des Kindesvaters, er habe die Vollmacht im Original mit Einwurfeinschreiben vom 22.7.2023 an die Kindesmutter versendet. Zum anderen rechtfertigt es nicht die Annahme, die Kindesmutter sei durch die ihr erteilte Vollmacht nicht hinreichend handlungsfähig für X. Dabei ist zu berücksichtigen, dass – anders als eine Sorgeerklärung (§ 1626d BGB) – eine Sorgerechtsvollmacht keiner besonderen Form bedarf, ihre schriftliche Erteilung zwecks Nachweises der Bevollmächtigung jedoch gleichwohl geboten ist (Münch, Familienrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 3. Aufl., § 8 Rn. 304). Selbst wenn der Kindesmutter entgegen den Angaben des Kindesvaters lediglich eine Kopie der Vollmachturkunde vorliegen sollte, folgt daraus indes nicht zwingend, dass ihr dadurch Schwierigkeiten bei der Alleinvertretung Xs durch mangelnde Akzeptanz der Vollmacht im Rechtsverkehr entstehen werden.

Unabhängig davon wäre, wenn tatsächlich künftig einmal solche Schwierigkeiten entstehen sollten, nach Einschätzung des Senats davon auszugehen, dass der Kindesvater dann auf Zuruf der Kindesmutter seiner Verpflichtung nachkommen würde, umgehend etwaige dadurch notwendig werdende eigene Mitwirkungshandlungen zur Umsetzung der betreffenden von der Kindesmutter für X getroffenen Entscheidung (z. B. Unterschriftsleistung für eine Kontoeröffnung) zu erbringen. Dass es diesbezüglich an der nach der skizzierten Rechtsprechung des BGH notwendigen ausreichenden Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern im Sinne einer Restkooperation (so Rake, NZFam 2022, 344, 345), fehlt, ist nicht feststellbar. Vielmehr geht der Senat davon aus, dass dem Kindesvater – wie dieser selbst in seinem Schriftsatz vom 21.7.2023 deutlich zum Ausdruck gebracht hat – absolut bewusst ist, dass die Kindesmutter künftig erfolgreich die Alleinsorge für X beantragen könnte, sollte es trotz der Vollmachtserteilung zu Problemen bei der Sorgerechtsausübung durch die Kindesmutter kommen. Vor diesem Hintergrund spricht nichts für die Annahme, der Kindesvater werde die Vollmachtausübung durch die Kindesmutter durch eigene Handlungen konterkarieren oder nutze die Vollmacht lediglich als taktisches Mittel, um Macht über die Kindesmutter ausüben zu können. Allein auf das besonders konfliktbeladene Elternverhältnis und das zerrüttete Verhältnis zwischen dem Kindesvater und den Eltern der Kindesmutter kann die von dieser trotz vom Kindesvater erteilter Vollmacht gewünschte Sorgerechtsübertragung nicht gestützt werden. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob ein – hier gegenwärtig nicht erkennbares – konkretes Hindernis besteht, die elterliche Sorge unter Verwendung der Vollmacht auszuüben, das eine Kooperationspflicht des Kindesvaters auslöst. Nur wenn der Kindesvater im Falle eines ihm bekannten Hindernisses eine ungenügende Restkooperation zeigen würde, wäre eine Sorgerechtsübertragung trotz Vollmachterteilung erforderlich. Lediglich abstrakte Kooperationsdefizite, die sich nicht konkret auf die Wahrnehmung der Kindesbelange auswirken, reichen hingegen nicht aus, um eine Ungeeignetheit der Vollmacht zur Wahrnehmung der Kindesbelange festzustellen (vgl. Rake, NZFam 2022, 344, 347). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Kindesvater im Termin vom 15.6.2023 bereits sein Einverständnis mit der Veranlassung der demnächst anstehenden kieferorthopädischen Behandlung Xs durch die Kindesmutter erklärt hat, sodass diesbezüglich für die Kindesmutter ohnehin keinerlei Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung der Kindesbelange zu erwarten sind. Darüber hinaus gibt es durchaus Anlass, auf eine künftige Verbesserung der Elternebene zu hoffen. So hat der Kindesvater im Termin vom 15.6.2023 glaubhaft die Bereitschaft erklärt, mit therapeutischer Hilfe an seiner Selbstreflexion arbeiten zu wollen. Auch schätzt die Sachverständige grundsätzlich – wenn auch mit der Empfehlung einer vorherigen „Psychohygiene“ – einen moderierten Austausch der Kindeseltern als möglich ein. Beide Kindeseltern sind ferner zur Teilnahme an einer Trennungs- und Scheidungsberatung bereit. Auch der Einwand der Kindesmutter, wonach die am 3.7.2023 vom Kindesvater an X adressierte Einladungskarte gegen die erforderliche Fähigkeit und Bereitschaft zur Restkooperation spreche, verfängt nicht, nachdem der Kindesvater dazu mit Schriftsatz vom 21.7.2023 die plausible und unwidersprochen gebliebene Erklärung abgegeben hat, die Einladungskarte mit der Bitte an die Kindesmutter geschrieben zu haben, diese in Xs „Kiste“ zu legen, wobei es sich um ein früher mit dem Jugendamt und der Kindesmutter besprochenes Prozedere handele. Im Übrigen liegen belastbare Anhaltspunkte, die geeignet sind, ein Scheitern der erforderlichen Restkooperation nahezulegen, nicht vor. Die Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen der Auflösung des gemeinsamen Sorgerechts trotz Vollmachterteilung trifft indes die den Antrag auf Alleinsorge verfolgende Kindesmutter (Rake, NZFam 2022, 344, 346).

Dass die Kindesmutter die Sorgerechtsvollmacht ablehnt, steht der Eignung der Vollmacht, eine Sorgerechtsübertragung entbehrlich zu machen, nicht entgegen. Die Erteilung einer Vollmacht ist eine selbständige, einseitige, nicht annahmebedürftige Erklärung des Vollmachtgebers (BGH NJW-RR 2007, 1202, 1203). Das Grundverhältnis für die Sorgerechtsvollmacht ergibt sich regelmäßig aus dem Fortbestehen der elterlichen Sorge nach §§ 1626 ff. BGB (BGH NJW 2020, 2182, 2184). Eines von den Eltern geschlossenen Vertrags, etwa eines Auftrags, bedarf es daher für das Grundverhältnis nicht, sodass ein solcher auch nicht Voraussetzung für den Vorrang der Vollmacht gegenüber einer Sorgerechtsübertragung sein kann (BGH NJW 2020, 2182, 2185).

Auch der Umstand, dass die vom Kindesvater erteilte Vollmacht widerrufen werden kann, führt zu keinem anderen Ergebnis. Auf den Widerruf der Vollmacht kann wegen der mangelnden Disponibilität des Elternrechts nicht wirksam verzichtet werden (BGH NJW 2020, 2182, 2185 m. w. N.). Daher bedarf es auch keiner – ohnedies unsicheren – Prognose, mit welcher Wahrscheinlichkeit die Vollmacht vom vollmachtgebenden Elternteil künftig widerrufen werden könnte. Da die wirksam erteilte Vollmacht den hauptverantwortlichen Elternteil mit erweiterten Handlungsbefugnissen ausstattet, ergäbe sich insoweit erst durch den Widerruf der Vollmacht eine geänderte Sachlage, die sodann als Grund für eine Sorgerechtsentscheidung nach § 1671 BGB oder gegebenenfalls für die Abänderung einer bereits ergangenen Entscheidung nach § 1696 BGB angeführt werden kann (BGH NJW 2020, 2182, 2186).

Auch die von der Kindesmutter gerügte Beschränkung der Vollmacht im Innenverhältnis nach § 3 der Vollmachturkunde veranlasst keine abweichende Bewertung. Im Außenverhältnis ist die Vollmacht ausdrücklich unbeschränkt erteilt. Bei dieser Sachlage ist nicht erkennbar, dass die Möglichkeiten der Kindesmutter, für X zu handeln, eine Einschränkung erfahren. Soweit es in § 3 der Urkunde um Informationsrechte des Kindesvaters geht, stehen ihm diese ohnehin zu (§ 1686 BGB). Wie die dort enthaltenen Formulierungen im Übrigen – ohne Zutun der Kindesmutter – Stresserleben bei X hervorzurufen geeignet sein sollen, erschließt sich dem Senat nicht. Soweit der Kindesvater in nicht eiligen Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für X Gelegenheit fordert, sich vorher beraten zu lassen, erscheint dies im Hinblick auf sein Informationsrecht unbedenklich und für die Handlungsmöglichkeiten der Kindesmutter ohne Auswirkung, solange nicht ein Widerruf der Vollmacht erfolgt. Soweit es um die Einholung X betreffender ärztlicher Informationen geht, teilt der Senat die Einschätzung des Jugendamts, dass ein entscheidender Vorzug der „Vollmachtlösung“ gerade darin liegt, dass der Kindesvater als (weiterhin) Sorgeberechtigter selbständig Informationen von Ärzten etc. einholen kann, was zur Vermeidung von möglichen Konflikten durch direkte Kontakte zwischen den Kindeseltern geeignet ist.

Auch die ablehnende Haltung Xs gegenüber Kontakten zum Kindesvater kann unter Verhältnismäßigkeitsaspekten die Vollmacht nicht als ungeeignet zur Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge erscheinen lassen. Dieser Haltung wird durch den befristeten Umgangsausschluss hinreichend Rechnung getragen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass allein die (formale) Mitsorgeberechtigung des Kindesvaters bei umfassender Handlungsmöglichkeit der Kindesmutter für X aufgrund der vorliegenden Vollmacht dem Kindeswohl in einem Maße abträglich sein könnte, das eine andere Beurteilung notwendig machen würde, liegen nicht vor. Dies gilt umso mehr, als – uneingeschränkt – das Jugendamt und – mit der aus Sicht des Senats aufgrund der vorliegenden Vollmacht gewährleisteten Einschränkung, dass die notwendige Ruhesituation für X geschaffen wird – auch der Verfahrensbeistand eine „Vollmachtlösung“ für gangbar halten.

Nach alledem ist es – anders als noch am Ende des erstinstanzlichen Verfahrens – derzeit unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten weder notwendig noch gerechtfertigt, die gemeinsame elterliche Sorge aufzuheben und sie ganz oder teilweise der Kindesmutter zu übertragen. Hinsichtlich des Aufenthalts des Kindes bei der Kindesmutter besteht kein Streit mehr und im Übrigen ist die Kindesmutter aufgrund der vom Kindesvater erteilten umfassenden Sorgerechtsvollmacht ausreichend in der Lage, die Kindesbelange allein wahrzunehmen. Sollte sich – wider Erwarten – die „Vollmachtlösung“ künftig doch nicht als tragfähig erweisen, wäre ggf. ein neuer Sorgerechtsantrag zu stellen.

Von einer persönlichen Anhörung Xs vor der Entscheidung hat der Senat mit Rücksicht auf die vom Verfahrensbeistand ausdrücklich geteilte Einschätzung der Sachverständigen aus ihrer schriftlichen Stellungnahme vom 20.6.2023 gem. § 159 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 FamFG ausnahmsweise abgesehen, um eine dadurch zu befürchtende Kindeswohlgefährdung auszuschließen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG, die Wertfestsetzung auf §§ 40 Abs. 1, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

 

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